Die Menge murrte und fluchte, aber einige waren bestürzt. Einer sagte laut: »Diese so genannte Polizei war auch beteiligt!«
»Mag sein«, sagte Chalmers. »Aber es waren korporative Truppen, die euch angriffen, keine beliebigen Japaner in einem Wutausbruch. Ihr hättet den Unterschied erkennen sollen, ihr hättet euch bemühen müssen, das herauszufinden! So, wie es ist, habt ihr ihnen in die Hände gespielt, und die UNOMA-Polizei hat mit Vergnügen losgelegt. Sie stehen jetzt auf der Gegenseite, wenigstens manche von ihnen. Aber die nationalen Streitkräfte sind dabei, sich auf eure Seite zu stellen. Also müsst ihr lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, ihr müsst merken, wer eure Verbündeten sind, und entsprechend handeln. Ich weiß nicht, warum so wenige Leute auf diesem Planeten fähig sind, das zu tun. Es ist, als ob die Passage von der Erde vielen den Verstand verwirrte oder so.«
Manche lachten verdutzt. Frank fragte sie nach den Verhältnissen in den Kuppeln. Sie hatten die gleichen Beschwerden wie die anderen; und wieder konnte er das vorwegnehmen und an ihrer Stelle aussprechen. Dann schilderte er das Ergebnis seiner Reise zu Clarke. »Ich habe ein Moratorium für Emigration bekommen; und das bedeutet mehr als nur gerade etwas mehr Zeit für das Erbauen neuer Städte. Es bedeutet den Beginn einer neuen Phase zwischen den USA und der UN. Sie haben in Washington endlich begriffen, dass die UN für die Transnationalen arbeitet, und müssen darum selbst den Vertrag durchsetzen. Das liegt im vitalen Interesse von Washington, und sie sind die einzigen, die das tun werden. Der Vertrag ist jetzt ein Teil der Schlacht, der Schlacht zwischen dem Volk und den Transnationalen. Ihr steht in dieser Schlacht. Ihr seid angegriffen worden, und ihr müsst herausfinden, wem der Gegenangriff zu gelten hat, und wie ihr euch mit euren Verbündeten zusammenschließt.«
Sie machten dazu grimmige Gesichter, was verständlich war, und Frank sagte: »Ihr sollt wissen, dass wir schließlich gewinnen werden. Unsere Zahl ist größer als die ihre.«
So weit die Rübe, die man Eseln vorhielt. Was den Knüppel anging, war das mit so machtlosen Leuten immer einfach. »Seht, wenn die nationalen Regierungen die Lage nicht schnell ins reine bringen können, wenn hier mehr Unrecht geschieht und sich Chaos anbahnt, dann werden sie sagen: Zum Teufel! Sollen die Transnationalen ihre Arbeiterprobleme selber lösen, dabei werden sie erfolgreicher sein. Und ihr wisst, was das für euch bedeutet.«
»Wir haben das satt!« rief ein Mann.
»Natürlich«, sagte er. »Habt ihr nun einen Plan, die Sache zu Ende zu bringen, oder nicht?«
Es dauerte eine Weile, sie zu einer Übereinkunft zu bringen. Entwaffnung, Kooperation, Organisation, eine Petition an die amerikanische Regierung um Unterstützung und Gerechtigkeit. Die Sache selbst in die Hand zu nehmen, darauf lief es hinaus. Natürlich dauerte das einige Zeit. Und währenddessen musste er versprechen, jede Beschwerde anzuhören, jede Ungerechtigkeit zu bereinigen und alles in Ordnung zu bringen, was falsch war. Das war lächerlich und widerlich, aber er verzog das Gesicht und machte es. Er beriet sie über Medienbeziehungen und Schlichtungsverfahren und wie man Zellen und Komitees bildet und Führer wählt. Sie waren ja so unwissend! Junge Männer und Frauen, sorgfältig erzogen, unpolitisch zu sein, Techniker zu sein, die jede Politik verabscheuten, um sie zu Wachs in der Hand ihrer Anführer zu machen. So wie immer. Es war erschreckend, wie stupide sie waren, und er konnte nicht umhin, sie aufzuputschen.
Als er ging, erhielt er Beifall.
Maya war draußen im Bahnhof. Er war erschöpft und konnte sie nur ungläubig anstarren. Sie hatte ihm über Video zugesehen, wie sie sagte. Frank schüttelte den Kopf. Die Idioten da drin hatten sich nicht einmal bemüht, die inneren Kameras auszuschalten. Vielleicht wussten sie nicht einmal, dass es sie gab. Also hatte die Welt alles gesehen. Und Maya hatte die gleiche Miene von Bewunderung, als ob die Befriedung ausgebeuteter Arbeiter mit Lügen und Raffinesse höchstes Heldentum bedeutete. Was es für sie ohne Zweifel war.
Tatsächlich war sie losgezogen, um in der russischen Kuppel die gleiche Masche anzuwenden, weil es dort keinen Fortschritt gegeben hatte und sie nach ihr gefragt hatten. Also waren die Russen offenbar noch dümmer als die Amerikaner.
Sie bat ihn, sie zu begleiten; und er war zu erschöpft, um Vorteil und Nutzen davon abzuwägen. Mit verzogenem Munde sagte er zu. Es war leichter, einfach weiterzumachen.
Sie nahmen den Zug nach unten zur nächsten Station und bahnten sich ihren Weg durch die Polizei nach innen. Die russische Kuppel war dicht gefüllt wie ein Schaltbrett. Frank sah sich um und sagte: »Du wirst es wohl noch schwerer haben als ich.«
»Russen sind es gewohnt«, erwiderte sie. »Die Unterkünfte in den Kuppeln unterscheiden sich gar nicht so sehr von Moskauer Wohnungen.«
»O ja.« Russland war zu einer Art immensem Korea geworden, das denselben brutalen stromlinienförmigen Kapitalismus kultivierte, perfekt nach dem Taylor-System und mit einer Tünche aus Demokratie und Gebrauchsgütern, um die Junta zu tarnen. »Es ist erstaunlich, wie wenig man braucht, um verhungernde Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.«
»Frank, bitte!«
»Denk daran, und es wird klappen.«
»Wirst du helfen oder nicht?«
»Doch, ja.«
Der Hauptplatz roch nach Bohnen, saurer Milch, Borschtsch und elektrischen Öfen, und die Menge war viel ungebärdiger und lauter als in der amerikanischen Kuppel. Jeder war ein trotziger Führer und bereit, eine Erklärung abzugeben. Es waren viel mehr Frauen dabei als bei den Amerikanern. Die Leute hatten einen Zug zum Entgleisen gebracht, und das hatte sie elektrisiert. Sie drängten auf weitere Aktionen. Maya musste sich eines Handmegaphons bedienen und stand während der ganzen Zeit auf einem Stuhl und redete. Die Menge wirbelte um sie herum, und Teilnehmer mit lauten Argumenten ignorierten sie, als ob sie eine Cocktailpianistin wäre.
Franks Russisch war eingerostet, und er konnte das meiste von dem, was die Menge Maya zubrüllte, nicht verstehen. Er folgte aber sehr gut ihren Antworten. Sie erklärte das Emigrationsmoratorium, den Engpass in der Produktion von Städtebaurobotern und bei der Wasserversorgung, die Notwendigkeit von Disziplin und das Versprechen eines künftigen besseren Lebens, wenn alles ordentlich abliefe. Er hatte den Eindruck, dass das eine typische Babuschka-Ansprache war; und sie hatte den Effekt, die Leute etwas zu beruhigen, da bei vielen Russen jetzt eine starke reaktionäre Stimmung herrschte. Sie erinnerten sich, was soziale Unruhe wirklich bedeutete, und hatten verständlicherweise Angst davor. Und es gab viel zu versprechen. Alles erschien plausibel: eine große Welt, wenig Menschen, eine Menge von Rohstoffen, gute Roboterkonstruktionen, Computerprogramme, Gen-Muster …
Als die Diskussion einmal wirklich laut wurde, sagte er zu ihr auf englisch: »Denk an den Knüppel!«
»Was?«
»Den Knüppel! Droh ihnen! Rübe und Knüppel.«
Sie nickte und nahm wieder das Megaphon. Die ständige Unsicherheit der giftigen Luft, die tödliche Kälte. Sie waren nur durch die Kuppel am Leben und durch die Lieferung von Elektrizität und Wasser. Sie waren auf vielfältige Weise gefährdet, an die sie nicht richtig gedacht hatten und die es daheim überhaupt nicht gab.
Sie war schnell, wie sie es immer gewesen war. Zurück zu Versprechungen. Vor und zurück, Knüppel und Rübe, ein Schlag mit der Peitsche und einige Leckereien. Schließlich waren auch die Russen befriedet.
Nachher im Zug hinauf nach Sheffield schnatterte Maya nervös erleichtert, mit gerötetem Gesicht und leuchtenden Augen. Sie ergriff seinen Arm, warf den Kopf zurück und lachte. Diese nervöse Intelligenz, diese anhaltende physische Präsenz … Er musste selbst erschöpft gewesen sein oder mehr erschüttert durch das, was er während der Zeit in den Kuppeln gesehen hatte. Oder vielleicht war es auch die Begegnung mit Phyllis gewesen. Er hatte jetzt wärmere Gefühle für Maya. Es war, als ob man in eine Sauna käme nach einem kalten Tag im Freien, mit dem gleichen Gefühl von Erleichterung und tiefem Wohlgefühl. Sie sagte schnell: »Ich weiß nicht, was ich hätte tun können ohne dich. Du bist in solchen Situationen wirklich so gut, so klar, fest und scharf. Sie schenken dir Glauben, weil du nicht versuchst, ihnen zu schmeicheln oder die Wahrheit abzumildern.«
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