Das erregte ohne Zweifel ihre Aufmerksamkeit. Ihre lässige Geringschätzung bekam einen Stoß. »Niemand kann Washington von etwas überzeugen. Da gibt es Flugsand. Du kannst denen sagen, was du willst, und ich werde meine Aussage machen. Dann werden wir sehen, wer den größeren Einfluss hat.« Sie trippelte durchs Zimmer, öffnete die Tür und begrüßte laut eine Schar UN-Beamter.
Nichts als Zeitverschwendung. Er war nicht überrascht. Anders als diejenigen, welche ihm geraten hatten zu kommen, hatte er kein Vertrauen in die Idee gehabt, dass Phyllis vernünftig sein könnte. Wie für viele gläubige Fundamentalisten war für sie Geschäft ein Teil der Religion. Die beiden Dogmen verstärkten sich gegenseitig, waren Teil des gleichen Systems. Vernunft hatte damit nichts zu tun. Und während Phyllis noch an Amerikas Stärke glauben mochte, glaubte sie bestimmt nicht, dass Frank sie lenken könnte. Er würde ihr das Gegenteil beweisen.
Während der Rückfahrt am Kabel hinunter traf er alle halbe Stunden Videoverabredungen, fünfzehn Stunden am Tag. Seine Mitteilungen nach Washington führten bald zu komplexen, durch die Übertragung verzögerten Gesprächen mit seinen Leuten in den Außen- und Handelsministerien und mit den verschiedenen Kabinettschefs, auf die es ankam. Bald würde ihn auch der neue Präsident anhören. Inzwischen hüpften die Nachrichten wie Frösche mit allen möglichen Argumenten hin und her, je nachdem, welcher Korrespondent ihn zuerst erreichte. Es war kompliziert und erschöpfend. Der Fall auf der Erde musste wie ein Kartenhaus gebaut werden, und viele der Karten waren krumm.
Gegen Ende des Fahrt, als das Kabel schon bis hinunter zur Steckdose bei Sheffield zu sehen war, fühlte er sich plötzlich richtig sonderbar. Eine Welle physischer Erinnerung durchlief ihn. Das Gefühl ging vorbei, und nach etwas Nachdenken kam er zu der Ansicht, dass der abbremsende Wagen für einen Moment ein G durchlaufen harte. Es erschien ihm ein Bild, dass er über einen langen Pier liefe, wo unebene Bretter mit silbernen Fischschuppen zusammenplatschten. Er konnte sogar riechen, wie die salzigen Fische stanken. Ein G — merkwürdig, wie sich der Körper daran erinnerte.
Wieder in Sheffield eingetroffen, kam er wieder in den ständigen Trott, dass er Mitteilungen aufzeichnete, eingehende Antworten analysierte, sich mit alten Kumpeln und aufkommenden Mächten abgeben musste, wobei alles zusammen einen Fleckenteppich von Diskussionen ergab, die unterschiedlich schnell abliefen. Einmal, spät im nördlichen Herbst, war er in etwa fünfzig Konferenzen gleichzeitig engagiert. Es war wie mit einem Raum voller Gegner simultan blind Schach zu spielen. Aber nach drei solchen Wochen sprach es sich allmählich herum, hauptsächlich deshalb, weil Präsident Incaviglia persönlich höchst daran interessiert war, etwas gegen Amex, Mitsubishi und Armscor in die Hand zu bekommen. Er war gern bereit, etwas in die Medien dringen zu lassen von seiner Absicht, sich um angebliche Vertragsverletzungen zu kümmern.
Er tat das auch, und die Wertpapiere fielen stark in den betreffenden Sektoren. Zwei Tage später verkündete das Aufzugskonsortium, die Begeisterung für Mars-Ausreisen sei so gestiegen, dass die Nachfrage gegenwärtig das Angebot überträfe. Natürlich würden sie entsprechend ihren Gepflogenheiten die Preise erhöhen, aber sie müssten auch zeitweilig die Emigration verringern, bis mehr Städte und Bauroboter geschaffen würden.
Frank erfuhr dies zuerst durch eine Fernsehmeldung in der Bar, eines Abends bei einem einsamen Dinner. Er grinste wie ein Wolf, während er weiterkaute. »Jetzt sehen wir also, wer beim Ringen in Flugsand besser ist, du Biest.« Nach dem Essen ging er auf der Randpromenade spazieren. Er wusste, dass das nur eine Schlacht war. Und es würde ein bitterer, langer Krieg werden. Aber dennoch machte er ihm Spaß.
Dann meuterten im nördlichen Mittwinter die Bewohner der ältesten Kuppel auf dem Osthang, warfen alle UNOMA-Polizisten hinaus und schlossen sich ein. Die Russen nebenan machten es genauso.
Eine schnelle Besprechung mit Slusinski setzte Frank von der Vorgeschichte in Kenntnis. Offenbar waren beide Gruppen in der Unterabteilung für Straßenbau von Armscor beschäftigt; und beide Kuppelzelte waren mitten in der Nacht von eingedrungenen asiatischen Rowdies überfallen worden, die den Zeltstoff aufgeschlitzt, in jeder Kuppel drei Männer getötet und etliche weitere mit Messern verletzt hatten. Sowohl Amerikaner wie Russen behaupteten, die Angreifer wären yakusa in einem Rassenrausch gewesen, obwohl es sich in Franks Ohren mehr und mehr nach Subarashiis Sicherheitskräften anhörte, einer kleinen Armee, die hauptsächlich aus Koreanern bestand. Auf jeden Fall waren Polizei-Einheiten der UNOMA auf dem Schauplatz erschienen. Sie hatten festgestellt, dass die Angreifer verschwunden waren und die Kuppeln sich in Aufruhr befanden. Sie hatten beide Kuppeln versiegelt und über ihre Bewohner eine Ausgangssperre verhängt. Die Bewohner hatten sich als Gefangene empfunden, waren über diese Ungerechtigkeit erbost aus ihren Schleusen gebrochen — und hatten die durch ihre Bahnhöfe führenden Gleise mit Schweißgeräten zerstört. Auf beiden Seiten wurden einige Leute getötet. Die UNOMA-Polizei hatte massive Verstärkungen geschickt, und die Arbeiter in den beiden Kuppeln saßen nun mehr in der Falle denn je.
Wütend und entrüstet ging Frank wieder nach unten, um sich persönlich darum zu kümmern. Er musste sowohl die üblichen Einwände seines Stabes ignorieren wie auch das Verbot seitens des neuen Managers. (Helmut war zur Erde zurückgerufen worden.) Auf der Station musste er auch noch den Chef der UNOMA-Polizei kleinkriegen, kein leichtes Unterfangen. Er hatte noch nie zuvor versucht, sich so stark auf das Charisma der Ersten Hundert zu verlassen. Das machte ihn ärgerlich. Am Ende musste er bloß zwischen den Polizisten hindurchgehen — ein verrückter alter Mann, der alle zivilisierte Hemmung überwand. Und niemand wollte ihn anhalten. Diesmal nicht.
Die Meute drinnen sah auf den Monitoren wirklich hässlich aus. Aber er klopfte an ihre Schleusentür und wurde schließlich eingelassen, in eine Menge wütender junger Männer und Frauen. Er ging durch die innere Schleusentür und atmete warme abgestandene Luft. Es brüllten so viele Leute durcheinander, dass er die einzelnen Sprecher nicht ausmachen konnte, aber die in der vordersten Reihe erkannten ihn und waren deutlich überrascht, ihn hier zu sehen. Einige stießen Hochrufe aus.
Er schrie: »Okay! Ich bin hier. Wer ist euer Sprecher?«
Sie hatten keinen. Er fluchte heftig. »Was für Idioten seid ihr eigentlich? Ihr solltet besser lernen, mit dem System umzugehen, sonst steckt ihr für immer so in der Klemme. So wie jetzt — oder gar in Leichensäcken!«
Mehrere Leute riefen ihm etwas zu, aber die meisten wollten hören, was er zu sagen hatte. Und immer noch keine Spur von einem Sprecher. Darum brüllte Chalmers: »In Ordnung. Ich werde zu euch allen sprechen. Setzt euch hin, damit ich sehen kann, wer redet!«
Sie konnten sich nicht setzen, standen aber da, ohne sich zu rühren, in einer Gruppe um ihn auf dem zerwühlten Rasen des Hauptplatzes der Kuppel. Chalmers kletterte auf eine umgedrehte Kiste in ihrer Mitte. Es war später Nachmittag, und sie warfen Schatten bis hinunter zum Osthang. Er fragte, was geschehen sei; und verschiedene Stimmen schilderten den mitternächtlichen Angriff und das Scharmützel in der Station, »Ihr wurdet provoziert«, sagte er, als sie fertig waren. »Sie wollten, dass ihr einen idiotischen Krawall macht. Das ist ein uralter Trick. Sie haben euch dazu gebracht, einige Personen zu töten, die mit dem Angriff auf euch nichts zu tun hatten; und jetzt seid ihr die Mörder, die die Polizei erwischt hat! Man hat euch reingelegt, und ihr wart so blöde, euch reinlegen zu lassen.«
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