Frank schaute in eine Küche und fragte: »Was esst ihr?«
Fisch. Gemüse, Reis, Tofu. Das kam alles in Großpackungen. Sie hatten keine Beschwerden und fanden es gut. Amerikaner hatten die heruntergekommensten Gaumen der Geschichte. Her mit ’ner Käsestulle. Nein, was sie nicht mochten, war das Eingesperrtsein, der Mangel an Privatsphäre, die Fernmanipulation, die Beengtheit. Und die sich daraus ergebenden Probleme: »Alle meine Klamotten geklaut am Tag nach meiner Ankunft.« — »Meine auch.« — »Meine auch.« Diebstahl, Überfall, Erpressung. Die Kriminellen kamen alle aus anderen Kuppelstädten, sagten sie. Russen, sagten sie. Weiße Leute mit eigenartiger Sprache. Auch einige Schwarze, aber nicht so viele wie zu Hause. Eine Frau war in der vorigen Woche vergewaltigt worden. »Ihr macht Witze!« sagte Frank.
»Was soll das heißen: Ihr macht Witze?« fragte eine Frau empört.
Schließlich führten sie ihn wieder zum Bahnhof zurück. Frank blieb in der Tür stehen und wusste nicht, was er ihnen sagen sollte. Es war eine ganze Menge zusammengekommen, als Leute ihn erkannt hatten oder zu der Gruppe gerufen oder hinzugekommen waren. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, murmelte er und schlüpfte durch die Schleuse.
Ohne nachzudenken blickte er in Kuppelzelte, als er mit einem Zug wieder nach oben fuhr. Da war eins mit Sargbetten im Tokiostil. Das wäre noch viel enger als El Paso, aber kümmerte das seine Bewohner? Manche Leute waren es gewohnt, wie Kugellager behandelt zu werden. Wirklich eine Menge Leute. Aber auf dem Mars hatte es doch anders sein sollen!
Wieder zurück am Sheffield marschierte er über den Rand Boulevard, blickte auf die dünne vertikale Linie des Aufzugs, ignorierte andere Leute und zwang sie, beiseite zu springen, wenn er kam. Einmal blieb er stehen und sah sich in der Menge um. Es waren im Augenblick etwa fünfhundert Leute zu sehen, die ihr tägliches Leben führten. Wann war es so weit gekommen? Sie waren eine wissenschaftliche Außenstelle gewesen, eine Handvoll Forscher, zerstreut über eine Welt mit so viel Landfläche wie die Erde. Ein ganzes Eurasien, Afrika, Amerika, Australien und Antarctica — alles für sie. All dieses Land gab es da draußen noch; aber wie viel Prozent davon waren überkuppelt und bewohnbar? Weniger als ein Prozent. Aber was sagte UNOMA? Eine Million Menschen schon hier und noch mehr unterwegs. Und keine Polizei oder Verbrechen. Oder vielmehr: Verbrechen ohne Polizei. Eine Million Menschen und kein Gesetz. Kein Gesetz, aber Körperschaftsrecht. Die untere Grenze. Ausgaben minimieren, Profite maximieren. Lief glatt auf Kugellagern.
In der nächsten Woche begannen die Leute in einer Gruppe von Kuppeln am Südhang zu streiken. Chalmers hörte davon, als er zu seinem Büro unterwegs war. Slusinski platzte mit einem Anruf dazwischen. Die streikenden Kuppeln waren zumeist amerikanisch, und sein Stab war in Panik. »Sie haben die Bahnhöfe geschlossen und lassen niemanden aus den Zügen aussteigen. Darum kann man sie nicht kontrollieren, wenn nicht ihre Notschleusen gestürmt werden …« »Halt’s Maul!«
Frank ging an der Südpiste zu den streikenden Kuppeln hinunter, trotz Slusinskis Einwänden. Er wies sogar einige Leute seines Stabes an, ihm nach unten zu folgen.
Ein Team des Sicherheitsdienstes von Sheffield stand im Bahnhof; aber er befahl ihnen, den Zug zu besteigen und sich zu entfernen. Nach einer Beratung mit den leitenden Beamten von Sheffield taten sie es. An der Durchgangsschleuse wies er sich aus und bat, allein hineingelassen zu werden. Sie ließen ihn passieren.
Er erschien auf dem Hauptplatz einer anderen Kuppel, umgeben von einem Meer wütender Gesichter. Er sagte: »Packt das Fernsehen weg! Lasst uns privat miteinander reden!«
Sie stellten die Kameras ab. Es war dasselbe wie in El Paso.
Andere Akzente, aber die gleichen Beschwerden. Sein früherer Besuch machte es ihm möglich, vorwegzunehmen, was sie sagen wollten, und es vor ihnen auszusprechen. Er stellte grimmig fest, dass ihre Gesichter erkennen ließen, wie sehr sie von dieser Fähigkeit beeindruckt waren. Sie waren noch jung.
»Seht, es ist eine schlimme Situation«, sagte er, nachdem sie eine Stunde lang geredet hatten. »Aber wenn ihr lange streikt, macht ihr es nur noch schlimmer. Sie werden Sicherheitsleute schicken; und es wird nicht so sein, als ob Banden und Polizisten unter euch leben, es wird wie das Leben im Gefängnis sein. Ihr habt euren Punkt schon herausgestellt und solltet jetzt wissen, wann es Zeit ist abzulassen und zu verhandeln. Bildet ein Komitee, das euch vertritt, und macht eine Liste von Beschwerden und Wünschen! Dokumentiert alle Fälle von Verbrechen! Schreibt sie einfach auf und lasst sie von den Opfern unterschreiben! Ich werde davon guten Gebrauch machen. Das wird Arbeit bei der UNOMA und daheim erfordern, weil die den Vertrag verletzen.«
Er machte eine Pause, um zu sich zu kommen und seine Züge zu entspannen. »Geht inzwischen wieder an die Arbeit! Damit verbringt ihr die Zeit besser, als wenn ihr hier beisammenhockt, und es wird euch gute Punkte bei den Verhandlungen eintragen. Falls ihr das nicht tut, werden sie euch vielleicht die Verpflegung abschneiden und euch fertigmachen. Besser, es aus freiem Willen tun und wie vernünftige Verhandlungspartner aussehen.«
So endete der Streik. Sie applaudierten ihm sogar, als er wieder in den Bahnhof ging.
Er bestieg den Zug in blinder Wut und lehnte es ab, Fragen seines Stabs zu beantworten oder auf ihre stummen Blicke einzugehen. Er nahm sich den Leiter der Sicherheitsgruppe vor, der ein arroganter Idiot war. »Wenn ihr korrupten Bastarde irgendwelche Integrität besäßet, wäre das nicht passiert. Ihr seid weiter nichts als eine Bestechungsbande. Warum werden Menschen in den Kuppeln Überfallen? Warum zahlen sie Schutzgelder? Wo seid ihr, wenn all das passiert?«
»Das fällt nicht in unsere Zuständigkeit«, sagte der Mann mit blassen Lippen.
»Na, macht schon, was ist denn eure Zuständigkeit? Eure einzige Zuständigkeit ist euer Portemonnaie.« Er fuhr fort, bis die Sicherheitsleute aufstanden und den Wagen verließen, so wütend auf ihn wie er auf sie, aber zu diszipliniert, um zu widersprechen.
In den Büros von Sheffield ging er von Zimmer zu Zimmer, brüllte den Stab an und tätigte Anrufe. Sax, Vlad, Janet. Er sagte ihnen, was geschah, und sie alle machten den gleichen Vorschlag, den er als gut anerkennen musste. Er würde sich mit dem Aufzug nach oben begeben und mit Phyllis sprechen müssen. »Seht zu, ob ihr die Platzreservierungen machen könnt«, sagte er zu seinem Stab.
Der Wagen des Aufzugs war wie ein altes Haus in Amsterdam, eng und hoch, mit einem von Licht erfüllten Raum ganz oben, in diesem Fall ein Raum mit klaren Wänden und einer Kuppel, die Frank an die Blasenkuppel der Ares erinnerte. Am zweiten Tage der Fahrt kam er mit den anderen Passagieren zusammen (in diesem Wagen nur zwanzig, weil nicht sehr viele Leute in diese Richtung fuhren), und sie nahmen den kleinen eigenen Lift des Aufzugs dreißig Stockwerke nach oben zu diesem klaren Dachstübchen, um Phobos vorbeiziehen zu sehen. Der Raum ragte etwas über den eigentlichen Aufzug hinaus, so dass man auch nach unten blicken konnte. Frank sah auf die gekrümmte Horizontlinie des Planeten hinab, viel weißer und dichter, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Die Atmosphäre war jetzt bei 150 Millibar angelangt, wirklich recht eindrucksvoll, selbst wenn sie aus giftigem Gas bestand.
Während sie auf das Erscheinen des kleinen Mondes warteten, schaute Frank den Planeten unter sich an. Der filigranartige Pfeil des Kabels zeigte genau darauf hin. Es sah aus, als stiegen sie auf einer seltsamen dünnen Rakete empor, die sich einige Kilometer über und unter ihnen hinzog. Das war alles, was sie je vom Kabel zu sehen bekommen würden. Und unten sah der runde orangefarbene Boden des Mars genau so leer aus wie bei ihrer ersten Annäherung vor so langer Zeit, unverändert trotz all ihrer Einmischung. Man musste sich nur weit genug entfernen.
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