Zeyks Einladungen kamen oft am Nachmittag, wenn sich in seinem Rover eine Gruppe von Männern zu Kaffee und Gespräch zusammenfand. Frank saß an seinem Platz nahe Zeyk, schlürfte seinen trüben Kaffee und hörte dem Arabischen zu mit aller Aufmerksamkeit, die er aufbringen konnte. Es war eine schöne Sprache, musikalisch und sehr metaphorisch, so dass alle ihre moderne Terminologie von Bildern aus der Wüste widerhallte wegen der Bedeutung der Stammwurzeln aller neuen Wörter, die wie die meisten ihrer abstrakten Ausdrücke konkreten physischen Ursprung hatten. Arabisch war wie Griechisch von Alters her eine wissenschaftliche Sprache gewesen; und es ergaben sich viele überraschende Verwandtschaften mit dem Englischen, auch in der organischen und kompakten Natur des Wortschatzes.
Die Gespräche plätscherten so dahin. Sie wurden aber geleitet von Zeyk und den anderen Senioren, die von den jüngeren Männern in einer Weise geachtet wurden, die Frank unglaublich erschien. Oft wurde die Konversation für ihn zu einer deutlichen Lektion über beduinische Lebensweise, was ihm ermöglichte, zu nicken und Fragen zu stellen und gelegentlich auch Bemerkungen oder Kritik anzubringen. Zeyk sagte: »Wenn es in einer Gesellschaft einen stark konservativen Zug gibt, der sich von dem progressiven Teil absondert, kommt es zu Bürgerkriegen der schlimmsten Art. Wie zum Beispiel bei dem Konflikt in Columbien, den man La Violencia genannt hat. Ein Bürgerkrieg, der zum völligen Zusammenbruch des Staates führte, einem Chaos, das niemand verstehen, geschweige denn kontrollieren konnte.«
»Oder wie Beirut«, sagte Frank arglos.
»Nein, nein« erwiderte Zeyk lächelnd. »Beirut war viel komplexer. Das war nicht nur Bürgerkrieg, sondern auch eine Anzahl äußerer Kriege, die da mitspielten. Es war nicht nur eine Sache sozialer oder religiöser Konservativer, die sich vom normalen Fortgang der Kultur absonderten, wie in Columbien oder im Spanischen Bürgerkrieg.«
»Gesprochen wie ein echter Konservativer.«
»Alle Mahdscharis von Al-Qahira sind definitionsgemäß progressiv, sonst wären wir nicht hier. Aber der Islam hat Bürgerkriege dadurch vermieden, dass er ein Ganzes geblieben ist. Wir haben eine kohärente Kultur, so dass die Araber hier immer noch fromm sind. Das verstehen auch die konservativsten Elemente in der Heimat. Wir werden nie Bürgerkriege erleben, weil wir durch unseren Glauben geeint sind.«
Frank drückte nur durch seine Miene die Tatsache der schiitischen Häresie aus, neben vielen anderen islamischen ›Bürgerkriegen‹ Zeyk verstand ihn, ignorierte das aber und fuhr fort: »Wir alle bewegen uns durch die Geschichte fort, eine lockere Karawane. Man könnte sagen, dass wir hier auf Al-Qahira wie einer unserer prospektierenden Rover sind. Und du weißt, was für ein Vergnügen es ist, in einem solchen zu sein.«
»So …« Frank dachte angestrengt nach, wie er seine Frage formulieren sollte. Seine mangelnde Erfahrung mit dem Arabischen würde ihm nur einen gewissen Spielraum geben, ehe sie beleidigt wären. »Gibt es im Islam wirklich den Begriff des sozialen Fortschritts?«
»Oh, gewiss!« Mehrere hatten das bejaht und nickten. Zeyk sagte: »Ist das nicht deine Ansicht?«
»Nun …« Frank gab es auf. Es gab immer noch keine einzige arabische Demokratie. Es war eine hierarchische Kultur mit hoher Wertschätzung von Ehre und Freiheit; und für diejenigen, die in der Hierarchie weit unten standen, waren Ehre und Freiheit nur durch Ergebenheit erreichbar. Was das System stärkte und stabil hielt. Aber was konnte er sagen?
Ein anderer Mann sagte: »Die Zerstörung von Beirut war eine Katastrophe für die fortgeschrittene arabische Kultur. Beirut war die Stadt, wohin Intellektuelle, Künstler und Radikale gingen, wenn sie von ihren lokalen Regierungen angegriffen wurden. Alle nationalen Regierungen hassten das panarabische Ideal; aber es ist eine Tatsache, dass wir seit etlichen Jahrhunderten eine einzige Sprache sprechen, und Sprache ist ein mächtiges Bindemittel der Kultur. Zusammen mit dem Islam macht sie uns wirklich zu einem Ganzen, trotz der politischen Grenzen. Beirut war immer der Ort, um diese Position zu bestätigen; und als die Israelis es zerstört hatten, wurde diese Bestätigung schwieriger. Die Zerstörung war darauf abgestellt, uns zu zersplittern, und das gelang. Also fangen wir von vorn an.« Und das war ihr sozialer Fortschritt.
Die flächenhafte Kupferlagerstätte, die sie abgeschürft hatten, wurde leer, und es war Zeit für eine weitere rahla, die Bewegung der hidschra zu einer neuen Stätte. Sie fuhren zwei Tage lang und kamen zu einer anderen Flächenablagerung, die Frank gefunden hatte. Frank selbst zog wieder zu einer neuen Mutungsreise los.
Er saß tagelang im Fahrersitz, die Füße auf dem Armaturenbrett, und sah das Land vorbeiziehen. Sie waren in einem Gebiet von thulmas oder kleinen Rippen, die parallel bergab verliefen. Er stellte das Fernsehen überhaupt nicht mehr an. Er musste über vieles nachdenken. »Die Araber glauben nicht an so etwas wie Erbsünde«, schrieb er in sein Notizbuch. »Sie glauben, dass der Mensch unschuldig und der Tod eine natürliche Sache ist. Es gibt weder Himmel noch Hölle, sondern nur Lohn und Strafe, welche die Form dieses Lebens annehmen und wie es gelebt wurde. Das ist sozusagen eine humanistische Korrektur von Judentum und Christenrum. Obwohl sie es in einem anderen Sinne stets abgelehnt haben, die Verantwortung für ihr Schicksal zu tragen. Es ist immer Allahs Wille. Ich verstehe diesen Widerspruch nicht. Aber jetzt sind sie hier. Und die Mahdscharis sind immer ein intimer Teil arabischer Kultur gewesen, oft an führender Stelle. Die arabische Dichtkunst ist im zwanzigsten Jahrhundert wiederbelebt worden von Poeten, die in New York oder Lateinamerika gelebt haben. Vielleicht wird es hier das gleiche sein. Es ist überraschend, wie sehr ihre Sicht der Geschichte dem entspricht, was Boone geglaubt hat. Ich glaube nicht, dass ich beides verstanden habe. Nur wenige Leute bemühen sich überhaupt herauszufinden, was andere Menschen wirklich denken. Sie sind bereit, alles zu akzeptieren, was man ihnen über jemanden erzählt, der hinreichend weit entfernt ist.«
Er stieß auf Porphyrkupfer, ungewöhnlich dicht und auch mit hohen Konzentrationen an Silber. Das würde willkommen sein. Kupfer und Silber waren beide auf der Erde recht knappe Metalle. Aber Silber wurde in großen Mengen von einer großen Anzahl Industrien gebraucht, denen die Ressourcen allmählich ausgingen. Und hier gab es mehr davon, direkt auf der Oberfläche in guten Konzentrationen. Natürlich nicht so viel wie in Silver Mountain auf dem Elysium-Massiv; aber den Arabern würde das nichts ausmachen. Man erntete es ab und würde dann weiterziehen.
Er zog selbst weiter. Die Tage vergingen, die Schatten drehten sich. Der Wind wehte den Abhang hinab, hinauf, hinab und wieder hinauf. Wolken bildeten sich, und Stürme brachen los. Manchmal war der Himmel geschmückt mit Eisbögen und Nebensonnen und Windhosen aus Hagel, die wie Glimmer im rosa Sonnenlicht schimmerten. Manchmal sah er eine der luftgebremsten ständigen Fähren wie einen Meteor gleichmäßig über den Himmel ziehen. An einem klaren Morgen erblickte er Elysium Montes, die über den Horizont wie ein schwarzer Himalaya aufragten. Durch eine Inversionsschicht in der Atmosphäre war die Sicht bis tausend Kilometer über den Horizont gekrümmt worden. Er hielt an und schaltete das Tagebuch aus wie vorher schon den Fernseher. Wind packte den Sand und schleuderte ihn in Wolken gegen den Rover. Khala, das leere Land.
Aber dann begannen ihn Träume zu plagen, Träume der Erinnerung, die so intensiv, voll’ und korrekt waren, als ob er im Schlaf seine Vergangenheit nacherleben würde. Eines Nachts träumte er von dem Tag, an dem ihm endgültig klar geworden war, dass er die amerikanische Hälfte der ersten Marskolonie leiten würde. Er war von Washington zum Shenandoah Valley hinausgefahren und fühlte sich sehr sonderbar. Er ging lange im großen Eastern Hardwood Forest spazieren. Er kam zu den Kalksteinhöhlen in Luray, jetzt eine Touristenattraktion, und nahm aus einer Laune heraus an der Führung teil. Jeder Stalaktit und Stalagmit war von geisterhaften farbigen Lampen beleuchtet. An einigen waren Hämmerchen befestigt, und ein Organist konnte darauf spielen wie mit einem Glockenspiel. Die wohltemperierte Höhle! Er musste weiter hinaus in die Finsternis gehen und sich einen Ärmel in den Mund stopfen, damit ihn die Touristen nicht lachen hören konnten.
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