»Oder nicht einmal eine Übertreibung«, meinte Zeyk. »Eine Variante.«
»Nein, es ist eine Übertreibung. Westliche Frauen können vieles von dem, was sie tun, wählen. Sie können ihr eigenes Leben führen. Aber nicht so bei euch. Menschen wollen kein Eigentum sein. Sie hassen das und wenden sich dagegen und rächen sich dafür, soweit sie können. So sind eben die Menschen. Und in diesem Falle handelt es sich um eure Mutter, eure Frau, eure Schwestern, eure Töchter.«
Die Männer sahen ihn an, immer noch mehr schockiert als gekränkt. Aber Frank schaute in seine Kaffeetasse und fuhr unerbittlich fort: »Ihr müsst eure Frauen befreien!«
»Was schlägst du vor, wie wir das tun sollten?« fragte Zeyk und sah Frank neugierig an.
»Ändert eure Gesetze! Erzieht eure Töchter so, dass sie in die gleichen Schulen wie eure Söhne gehen. Macht sie gleichberechtigt mit jedem Muslim jeder Art überall. Bedenkt, dass in euren Gesetzen viel ist, das nicht im Koran steht, sondern in der Zeit nach Muhammad hinzufügt wurde.«
»Hinzugefügt von heiligen Männern«, sagte Al-Khal ärgerlich.
»Gewiss. Aber wir suchen die Wege, in denen wir unsere religiösen Glaubenssätze stärken können, im alltäglichen Verhalten. Das trifft für alle Kulturen zu. Und wir können neue Wege wählen. Ihr müsst eure Frauen befreien!«
»Ich mag mir keine Predigten anhören außer von einem Mullah«, sagte Al-Khal mit schmalen Lippen unter seinem Schnurrbart. »Mögen die, welche ohne Schuld sind, verkünden, was recht ist.«
Zeyk lächelte heiter und sagte: »So pflegte Selim el-Hayil zu sprechen.«
Und es trat tiefe, gespannte Stille ein.
Frank zwinkerte. Viele Männer lächelten jetzt und sahen Zeyk zustimmend an. Frank fiel blitzartig ein, was in Nicosia geschehen war. Natürlich! Selim war in jener Nacht nur Stunden nach dem Attentat gestorben, vergiftet durch eine fremdartige Kombination von Mikroben. Aber sie wussten jedenfalls Bescheid.
Und dennoch hatten sie ihn akzeptiert und in ihre Wohnungen geführt, in ihre persönlichen Bezirke, wo sie ihr Privatleben führten. Sie hatten versucht, ihn das zu lehren, was sie glaubten.
»Vielleicht sollten wir sie so frei machen wie russische Frauen?« sagte Zeyk lachend und entlastete Frank für den Moment. »Durch Überarbeitung verrückt, so sagen sie doch? Man erzählt ihnen, sie seien gleich, sind das in Wirklichkeit aber nicht!«
Yussuf Hawl, ein schneidiger junger Mann, kicherte tückisch. »Das sind tolle Weiber, kann ich euch sagen! Aber nicht mehr oder weniger als alle anderen Frauen. Ist es nicht so, dass daheim die Macht immer an den Stärkeren fällt? In meinem Rover bin ich der Sklave, das kann ich euch erzählen. Bei meiner Aziza bin ich bloß ein Pantoffelheld!«
Die Männer brüllten vor Lachen über ihn. Zeyk nahm ihre Tassen und schenkte eine neue Runde Kaffee aus. Die Männer retteten die Lage, so gut sie konnten. Sie sahen über Franks grobe Kränkung hinweg, entweder, weil sie so maßlos war, dass sie nur Ignoranz verriet, oder weil sie Zeyks Gönnerschaft für ihn anerkennen und unterstützen wollten. Aber nur die Hälfte von ihnen schaute Frank überhaupt wieder an.
Er zog sich zurück und hörte wieder zu, sehr über sich selbst verärgert. Es war ein Fehler, seine Meinung jederzeit zu äußern, es sei denn, sie diente einem politischen Zweck. Und das war nie der Fall. Am besten war es, alle Äußerungen des realen Inhalts zu entkleiden. Das war die Grundregel von Diplomatie. Draußen auf der Böschung hatte er das vergessen.
Erregt stieg er wieder in seinen Rover. Die Träume wurden seltener. Als er zurückkam, nahm er keine Medikamente. Er saß schweigend in den Kaffeerunden oder sprach über Mineralien und Grundwasser oder den Komfort der neu modifizierten Mutungsrover. Die Männer sahen ihn zurückhaltend an und beteiligten ihn wieder an der Konversation wegen Zeyks Freundlichkeit, die nie erlahmte — außer in jenem einen Moment, da er Frank nachdrücklich an eine der Grundtatsachen der Lage erinnert hatte.
Eines Abends lud ihn Zeyk zu einem privaten Abendessen mit ihm und seiner Frau Nazik ein. Nazik trug ein langes weißes Kleid im traditionellen Beduinenstil mit einem blauen Bund und war barhäuptig. Ihr dichtes schwarzes Haar war mit einem flachen Kamm zurückgehalten und hing ihr dann den Rücken hinab. Frank hatte genug gelesen, um zu wissen, dass das alles falsch war. Bei den Beduinen von Awlad ’Ali trugen die Frauen schwarze Gewänder und rote Bauchbinden, um ihre Unreinheit, Sexualität und moralische Unterlegenheit anzuzeigen. Sie hielten den Kopf bedeckt und benutzten den Schleier in einem komplizierten Code von Bescheidenheit. Alles, um sich männlicher Macht zu beugen; so dass Naziks Bekleidung ihre Mutter und Großmütter schockiert hätte, selbst wenn sie sie wie jetzt vor einem Außenseiter trug, auf den es eigentlich nicht ankam. Aber wenn er genug wusste, um zu verstehen, dann war das ein Zeichen.
Und dann, als gerade alle lachten, erhob sich Nazik auf Zeyks Bitte hin, um das Dessert zu bringen, und sagte zu Zeyk lachend: »Jawohl, Herr.«
Zeyk runzelte die Stirn, sagte: »Geh, Sklavin!« und gab ihr einen Stoß, und sie schnappte mit den Zähnen nach ihm. Sie lachten, als Frank heftig errötete, und sahen, dass er verstand. Sie machten sich über ihn lustig und brachen auch das Tabu der Beduinen gegen das Zeigen ehelicher Zuneigung jeder Art vor jedermann. Nazik kam herüber und legte ihm eine Fingerspitze auf die Schulter mit den Worten: »Wir scherzen nur mit dir, musst du wissen. Wir Frauen haben von deiner Äußerung vor den Männern gehört und lieben dich dafür. Du könntest bei uns so viele Frauen haben wie ein osmanischer Sultan. Denn in dem, was du gesagt hast, liegt einige Wahrheit — zu viel.« Sie nickte ernsthaft und zeigte mit einem Finger auf Zeyk, der sich das Grinsen verkniff und auch nickte. Nazik fuhr fort: »Aber von den Menschen hängt in den Gesetzen so viel ab, findest du nicht auch? Die Männer in dieser Karawane sind gute Männer, kluge Männer. Und die Frauen sind noch klüger, denn wir haben sie vollkommen übernommen.« Zeyk hob die Augenbrauen, und Nazik lachte. »Nein, in Wirklichkeit haben wir uns nur unseren Anteil genommen. Ernsthaft.«
»Aber wo seid ihr denn?« fragte Frank. »Ich meine, wo sind alle die Frauen der Karawane tagsüber? Was tut ihr?«
»Wir arbeiten«, sagte Nazik einfach. »Sieh es dir an! Du wirst uns sehen.«
»Ihr macht alle Arten von Arbeit?«
»O ja. Vielleicht nicht da, wo du uns viel sehen kannst. Es gibt noch gewisse — Bräuche, Gewohnheiten. Wir leben zurückgezogen, getrennt, haben unsere eigene Welt. Das ist vielleicht nicht gut. Wir Bedus schließen uns gern in Gruppen zusammen, Männer und Frauen. Wir haben unsere Traditionen, siehst du, und die dauern an. Aber hier ist vieles dabei, sich zu ändern, schnell zu ändern. Also ist dies die nächste Stufe des islamischen Weges. Wir sind …« Sie suchte nach dem Wort.
»Utopia«, schlug Seyk vor. »Das islamische Utopia.«
Sie wedelte zweifelnd mit der Hand und sagte: »Geschichte. Der Hadsch nach Utopia.«
Zeyk lachte vergnügt. »Aber der Hadsch ist das Ziel. Das ist es, was uns die Mullahs immer lehren. So sind wir schon da, nicht?« Und er und seine Frau lachten sich an, eine private Kommunikation mit hoher Dichte an Informationsaustausch und ein Lächeln, das sie einen Moment mit Frank teilten. Und dann wandte sich ihr Gespräch anderen Themen zu.
Praktisch gesehen war Al-Qahira der lebendig gewordene panarabische Traum, da alle Nationen für die Mahdscharis Geld und Menschen beigesteuert hatten. Die Mischung arabischer Nationen auf dem Mars war vollkommen, aber die individuellen Karawanen gingen etwas ihre eigenen Wege. Immerhin vermischten sie sich. Und ob sie aus den ölreichen oder ölarmen Nationen kamen, schien keine Rolle zu spielen. Hier unter den Fremden waren sie alle Vettern. Syrer, Iraker, Ägypter und Saudis, Golfanrainer, Palästinenser, Libyer und Beduinen. Alles Vettern.
Читать дальше