Auf jeden Fall wurden alle Verfahren, dem System Wärme zuzuführen, danach beurteilt, wie stark sie die globale mittlere Temperatur gesteigert hatten. Und dieses Poster, das die Wirkung von Saxens kleinen Windmühlenerhitzern prüfte, schätzte, daß diese während mehr als sieben Jahrzehnten nicht mehr als 0,05 K beigetragen hätten. Und er konnte nichts Falsches in den verschiedenen Annahmen und Berechnungen des Posters finden. Natürlich war Erwärmung nicht der einzige Grund gewesen, weshalb er die Windmühlen verteilt hatte. Er hatte auch Wärme und Schutz für einen früh manipulierten Kryptoendolithen schaffen wollen, den er auf der Oberfläche testen wollte. Aber alle diese Organismen waren kurz nach ihrer Freisetzung gestorben oder bald danach. Somit konnte man das Projekt nicht gerade zu seinen besseren Bemühungen zählen.
Er ging weiter. ›Anwendung von chemischen niveaumanipulierten Daten bei hydrochemischem Modellieren: Dao Vallis Watershed Hellas.‹ ›Erhöhung von CO2-Toleranz bei Bienen. ‹ ›Epilimnetische Säuberung von Comptonausfall in den glazialen Seen von Marineris.‹ Beseitigung von Grus aus Reaktionsspurschienen. ‹ ›Globale Erwärmung als Folge freigesetzter Karbone.‹
Dies ließ ihn wieder innehalten. Das Poster war die Arbeit des Atmosphärenchemikers S. Simmon und einiger seiner Studenten. Seine Lektüre bewirkte, daß Sax sich erheblich besser fühlte. Als er 2042 zum Chef des Terraformungsprojekts gemacht wurde, hatte er sofort den Bau von Fabriken zur Produktion und Freisetzung in die Atmosphäre von einer besonderen Gewächshausgasmischung veranlaßt, die hauptsächlich aus Karbontetrafluorid, Hexafluoräthan und Schwefelhexafluorid bestand, neben etwas Methan und Stickoxid. Das Poster bezeichnete dieses Gemisch als ›russischenCocktail‹, wie sein Echus-Overlook-Team es in den alten Tagen genannt hatte. Die Halokarbone darin waren starke Gewächshausgase; und das Beste an ihnen war, daß sie nach außen gehende planetare Strahlung im Bereich von acht bis zwölf Mikron absorbierten, in dem sogenannten ›Fenster‹, wo weder Wasserdampf noch Kohlendioxid viel absorbierende Kraft besaßen. Dieses Fenster hatte, wenn es offen war, phantastische Wärmemengen wieder in den Weltraum entweichen lassen; und Sax hatte schon früh den Versuch befürwortet, es zu schließen, indem er genug von dem Cocktail freiließ, daß er zehn oder zwanzig Teile pro Million der Atmosphäre ausmachen würde, gemäß dem alten klassischen Modell von McKay et al. Darum wurden von 2042 an große Anstrengungen unternommen, automatisierte Produktionsstätten für Kohlenstoff, Schwefel und Fluorit zu errichten, deren Ertrag in die Atmosphäre entlassen wurde. Die hinausgepumpten Mengen waren jedes Jahr gesteigert worden, auch nachdem die zwanzig Teile pro Million erreicht waren, weil man diese Proportion in der immer dichter werdenden Atmosphäre beibehalten wollte und auch weil man die ständige Zerstörung von Halokarbonen durch UV-Strahlung ausgleichen mußte.
Und wie die Tabellen in dem Simmon-Poster verdeutlichten, hatten die Fabriken über 2061 und in den folgenden Dekaden weiter gearbeitet. Sie hielten das Niveau bei etwa sechsundzwanzig Teilen pro Million. Das Poster folgerte, daß diese Einleitung die Atmosphäre um rund 12 K erwärmt hätte.
Sax ging weiter mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. Zwölf Grad! Nun, das war etwas — mehr als zwanzig Prozent der ganzen Wärme, die sie brauchten. Und das alles durch die frühe und ständige Freisetzung eines hübsch konzentrierten Gascocktails. Das war wirklich elegant. Einfache Physik hatte etwas so Tröstliches an sich …
Aber inzwischen war es zehn Uhr, und H. X. Borazjani, einer der besten Atmosphärenphysiker auf dem Mars, begann eine grundsätzliche Rede über die globale Erwärmung. Offenbar hatte er vor, seine Berechnungen über die Beiträge aller Versuche zur Erwärmung kundzutun, die bis 2100 gemacht worden waren, dem Jahr, ehe die Soletta in Tätigkeit getreten war. Nach der Beurteilung individueller Beiträge versuchte er herauszubekommen, ob irgendwelche synergistische Effekte abliefen. Sein Vortrag war darum einer der entscheidenden Beiträge zur Konferenz, da die Arbeit so vieler anderer Leute darin erwähnt und beurteilt werden würde.
Der Vortrag fand in einem der größten Konferenzräume statt, und der Saal war bei dieser Gelegenheit mit einigen tausend Personen dicht besetzt. Sax schlüpfte gerade zu Beginn hinein und stand im Hintergrund hinter der letzten Sitzreihe.
Borazjani war ein kleiner Mann mit dunkler Haut und weißem Haar, der mit einem Zeigestock vor einem großen Schirm sprach, der jetzt Videobilder der verschiedenen Erwärmungsmethoden zeigte, die man versucht hatte. Schwarzer Staub und Flechten an den Polen, die orbitalen Spiegel, die vom Erdmond herübergesegelt waren, die Moholes, die Fabriken für Gewächshausgase, die Eisasteroiden, welche in der Atmosphäre verbrannten, die denitrifizierenden Bakterien und alle übrigen Biota.
Sax hatte in den 2040er und 50er Jahren jeden einzelnen dieser Prozesse initiiert und betrachtete das Video mit noch mehr Interesse als das übrige Auditorium. Die einzige naheliegende Strategie zur Erwärmung, die er in den frühen Jahren vermieden hatte, war die massive Freisetzung von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Deren Befürworter hatten einen wilden Gewächshauseffekt auslösen und eine CO2-Atmosphäre bis hin zu 2 Bar schaffen wollen mit dem Argument, daß dadurch der Planet mächtig aufgeheizt werden und UV-Strahlung abgehalten und ein rasantes Pflanzenwachstum die Folge sein würde. Das war ohne Zweifel alles wahr, aber für Menschen und andere Tiere würde es giftig sein; und obwohl Befürworter des Planes von einer zweiten Phase sprachen, die das Kohlendioxid aus der Atmosphäre hinausfegen und durch ein atembares Gas ersetzen würde, waren ihre Methoden ebenso vage wie ihre Zeitskalen, die von einhundert bis zu zwanzigtausend Jahren schwankten. Und der Himmel würde während dieser ganzen Zeit milchweiß sein.
Sax hielt das nicht für eine elegante Lösung des Problems. Er bevorzugte sein Einphasenmodell, das direkt auf das letzte Ziel hinstrebte. Es bedeutete, daß sie etwas knapp an Wärme gewesen waren; aber Sax hielt diesen Nachteil der Mühe für wert. Und er hatte sein Bestes getan, um Ersatz für die Wärme zu finden, die das Kohlendioxid zusätzlich erbracht haben würde, wie zum Beispiel die Moholes. Leider lag Borazjanis Abschätzung der von den Moholes gelieferten Wärme recht niedrig. Sie hatten alles in allem vielleicht 5 K zur mittleren Temperatur beigetragen. Nun, da konnte man nichts machen, dachte Sax, als er in seinen Computer Notizen eingab. Die einzige gute Wärmequelle war die Sonne. Darum seine aggressive Einführung der orbitalen Sonnenspiegel, die jährlich wuchsen, indem Sonnensegler von Luna kamen, wo ein sehr leistungsfähiger Produktionsprozeß sie aus lunarem Aluminium herstellte. Diese Flotten waren, wie Borazjani sagte, so groß geworden, daß sie inzwischen mehr als 8 K zur mittleren Temperatur beitrugen.
Die reduzierte Albedo, eine Bemühung, die nie sehr streng verfolgt worden war, hatte etwas mehr als 2 Grad hinzugefügt. Die etwa zweihundert Kernreaktoren rings um den Planeten hatten weitere 1,5 Grad geliefert.
Dann kam Borazjani auf den Cocktail aus Gewächshausgasen zu sprechen. Aber anstatt die Zahl von 12 K aus Simmons Poster zu benutzen, schätzte er sie auf 14 K und zitierte einen zwanzig Jahre alten Aufsatz von J. Watkins, der diese Annahme stützte. Sax hatte Berkina in der Reihe hinter ihm sitzen sehen. Jetzt rutschte er hinüber und beugte sich nach unten, bis sein Mund an Berkinas Ohr lag. Er flüsterte: »Warum benutzt er die Arbeit von Simmon?«
Berkina grinste und flüsterte zurück: »Vor ein paar Jahren hat Simmon einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er einen sehr komplexen Wert für die Wechselwirkung von UV mit Halokarbonen von Borazjani angenommen hatte. Er hat ihn leicht verändert und das jenes erste Mal Borazjani zugeschrieben. Aber als er ihn später benutzte, hat er nur seinen eigenen Artikel zitiert. Das machte Borazjani wütend, und er denkt, daß Simmons Aufsätze über dieses Thema ohnehin von Watkins abgeleitet sind. Also geht er immer, wenn er über Erwärmung spricht, auf Watkins’ Werk zurück und tut so, als ob es das Zeug von Simmon überhaupt nicht gäbe.«
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