Die Eismasse auf der Ostseite des restlichen Rückens befand sich der Kammlinie sehr nahe. Der Luftschiffskapitän gab mehr Ankertau aus, und sie schwebten unter dem herrschenden Wind nach Osten, bis sie sich direkt über dem Kamm befanden, wo sie deutlich sehen konnten, daß nur noch einige Meter Gestein zu überwinden waren. Und weiter im Osten war eine wandernde Pipeline, ein blauer Schlauch, der auf seinen Ski-Pylonen langsam vorwärts und rückwärts glitt, während seine Düse Wasser auf die Oberfläche sprühte. Unter dem Dröhnen der Propeller konnten sie von unten her gelegentliches Donnern und Stöhnen hören, einen gedämpften Krach, einen lauten Knall wie von einem Kanonenschuß. Unter dem Eis gab es flüssiges Wasser, wie Diana erklärte; und das Gewicht neuen Wassers darüber ließ einige Eisblöcke über leicht untergetauchte Rücken scharren. Der Kapitän deutete nach Süden; und Maya sah, wie eine Reihe von Eisbergen in die Luft flog wie von Sprengstoff hochgejagt, die nach verschiedenen Richtungen flogen und wieder auf das Eis stürzten, wo sie in tausend Stücke zerbrachen. Der Kapitän sagte: »Wir sollten uns lieber ein bißchen zurückziehen. Es wäre besser für meinen Ruf, wenn wir nicht von einem Eisberg abgeschossen würden.«
Die Düse der wandernden Pipeline zeigte ihnen den Weg. Und dann war mit einem leichten seismischen Krachen die letzte vollständige Bergkette überwunden. Ein Schwall dunklen Wassers schoß den Fels hinauf und ergoß sich dann über die Westseite des Kamms in einem einige hundert Meter breiten Wasserfall. Das Wasser fiel in einer langsamen lässigen Fläche zweihundert Meter in die Tiefe. Im Vergleich mit der großen Eiswelt, die sich in jeder Richtung bis zum Horizont erstreckte, was das nur ein Rinnsal; aber es floß stetig dahin. Das Wasser auf der östlichen Masse war jetzt zu beiden Seiten von Eis kanalisiert, die Katarakte donnerten, und das Wasser auf der westlichen Seite fächerte sich in hundert Strömen über das gebrochene Eis aus. Maya sträubten sich vor-Angst die Haare im Nacken. Wahrscheinlich eine Erinnerung an die Marineris-Flut, meinte sie, konnte es aber nicht sicher sagen.
Langsam nahm das Volumen des Wasserfalls ab; und in weniger als einer Stunde war alles langsam geworden und dann gefroren, zumindest an der Oberfläche. Obwohl es ein sonniger Herbsttag war, waren da unten achtzehn Grad unter Null, und eine Reihe zerfetzter Cumulunimbuswolken näherte sich von Westen und zeigte eine Kaltfront an. So kam der Wasserfall zum Stehen. Aber zurückgeblieben war ein frischer Eisfall, der die Bodenwelle mit tausend glatten weißen Zöpfen bedeckte. Damit war die Hügelkette zu zwei Vorgebirgen geworden, die sich nicht ganz vereinigten wie alle anderen Ketten der Dorsa, die wie Gruppen zusammengehöriger Rippen in das Eis eintauchten. Halbinseln, die zusammenpaßten. Das Hellasmeer war jetzt geschlossen und Minus Eins wirklich eine Insel.
Danach machten die Bahnfahrten um Hellas herum und die verschiedenen Fernflüge auf Maya einen anderen Eindruck, als sie das verflochtene Netzwerk von Gletschern und Eiswüsten als das neue Meer selbst erkannte, das anstieg, auffüllte und herumplatschte. Und tatsächlich wuchs der flüssige See unter dem Oberflächeneis nahe Low Point im Frühling und Sommer viel schneller an, als er im Herbst und Winter schrumpfte. Und starke Winde wirbelten an den eisfreien Stellen Wellen auf, die im Sommer das Eis zwischen sich zerbrachen und Gebiete von losem Packeis schufen mit schwimmenden Schollen, die, wenn sie die steilen kleinen Schwellen hinabglitten, ein solches Getöse machten, daß Gespräche in Luftschiffen darüber schwierig wurden.
Und im Jahr M-49 erreichten die Fließmengen aus allen angezapften Wasserlagern ihre Höchstwerte. Zusammengenommen pumpten sie täglich 2500 Kubikmeter in das Meer — ein Betrag, der in ungefähr sechs Marsjahren das Becken bis zur Linie von minus einem Kilometer anfüllen würde. Maya kam das gar nicht so lang vor, besonders da sie den Fortschritt direkt hier am Horizont von Odessa sehen konnten. In Winterzeiten würden die schwarzen Stürme, die über das Gebirge zogen, den ganzen Boden des Beckens mit einer Decke aus aufregend weißem Schnee einhüllen. Im Frühling würde der Schnee schmelzen, aber der neue Rand des Eismeeres wäre näher als im vorangegangenen Herbst.
In der nördlichen Hemisphäre war es ziemlich genau so, wie Nachrichten und Mayas gelegentliche Reisen nach Burroughs besagten. Die großen nördlichen Dünen von Vastitas Borealis wurden rasch überschwemmt, da die wahrhaft enormen Reservoire unter Vastitas und der Polgegend auf die Oberfläche gepumpt wurden von Bohrplattformen, die mit dem Eis höher stiegen, wenn sich das Eis unter ihnen ansammelte. In den Nordsommern ergossen sich große Flüsse von der abschmelzenden Polkappe herunter, schnitten Kanäle durch die Sandschichten und liefen abwärts, bis sie sich mit dem Eis vereinigten. Und einige Monate, nachdem Minus Eins zur Insel geworden war, zeigten die Nachrichten ein Video von einem nackten Landstrich in Vastitas, der unter einer dunklen Flut aus Westen, Osten und Norden verschwand. Das schuf offenbar die letzte Verbindung zwischen den Eislappen. Also gab es jetzt ein die Welt umschließendes Meer im Norden. Natürlich war es noch lückenhaft und bedeckte nur etwa die Hälfte des Landes zwischen den sechziger und siebziger Breiten; aber nach Ausweis von Satellitenfotos gab es schon große Buchten aus Eis, die nach Süden in die tiefen Senken von Chryse und Isidis hineinreichten.
Die Überflutung des Restes von Vastitas würde noch ungefähr zwanzig weitere Marsjahre erfordern, da die Menge des zum Füllen von-Vastitas Borealis erforderlichen Wassers viel größer war als die für Hellas benötigte. Aber die Pumparbeiten da oben waren auch größer, so daß die Dinge zügig vorangingen. Und alle Sabotageakte der Roten konnten nur eine Kerbe in diesen Fortschritt schlagen. Tatsächlich beschleunigte sich der Fortschritt noch, trotz zunehmender Störversuchen, denn einige der neuen Bergbauverfahren, die angewandt wurden, waren recht radikal und wirkungsvoll. Die Nachrichtenprogramme zeigten ein Video der jüngsten Methode, die mit großen thermonuklearen Explosionen tief unter Vastitas arbeitete. Dadurch wurde der Permafrost auf großen Arealen geschmolzen und belieferte die Pumpen mit mehr Wasser. Auf der Oberfläche äußerten sich diese Sprengungen als plötzliche Eisbeben, welche das Eis an der Oberfläche in einen blasigen Matsch verwandelten. Das flüssige Wasser gefror schnell an der Oberfläche, pflegte aber darunter flüssig zu bleiben. Ähnliche Explosionen unter der nördlichen Polkappe bewirkten Fluten, die fast so stark waren wie die großen Ausbrüche von 2061. Und all dieses Wasser strömte in Vastitas hinunter.
Unten im Büro von Odessa verfolgte man all dies mit professionellem Interesse. Eine kürzliche Neuabschätzung der Menge von Wasser unter der Oberfläche hatte die Ingenieure von Vastitas ermuntert, ein endgültiges Meeresniveau sehr nahe beim genormten Wert anzustreben, dem früher in den Zeiten der Marsforschung aus dem Himmel festgesetzten NormalNull. Diana und andere Hydrologen in Deep Waters dachten, daß Senkung des Landes in Vastitas als Folge des Abbaus von Wasserlagern und von Permafrost dazu führen würde, daß sie dort am Ende ein Meeresniveau etwas unter der Norm haben würden. Aber da oben schienen sie zuversichtlich, daß sie das bei der Rechnung berücksichtigt hätten und die Marke erreichen würden.
Das Herumspielen mit verschiedenen Meeresniveaus auf einer Karte aus der KI des Büros machte es klar, welche Gestalt der kommende Ozean haben würde. An vielen Stellen würde die Große Böschung seine südliche Küstenlinie bilden. Das würde manchmal einen sanften Abhang bedeuten, im zerrissenen Gelände Archipele und an gewissen Stellen dramatische Meeresklippen. Angeschnittene Krater würden gute Häfen ergeben. Das Elysium-Massiv würde ein Inselkontinent werden und die Reste der nördlichen Polkappe ebenfalls. Das Land unter der Kappe war im Norden das einzige Gebiet gut oberhalb der Null-Kilometer-Kontur.
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