Mit Spencer unten in der Halle bewirkte das Gebäude einen leichten Anklang an Underhill, gelegentlich verstärkt durch Besuche von außerhalb der Stadt, die ihr Apartment in seiner Eigenschaft als sicheres Haus nutzten. Wenn andere der Ersten Hundert vorbeikamen, gingen sie aus und spazierten an der wasserlosen Wasserfront entlang, sahen auf den Eishorizont und tauschten die Neuigkeiten aus wie alte Leute überall. MarsErst, geführt von Kasei und Harmakhis, wurde immer noch radikaler. Peter arbeitete beim Aufzug, wie eine Motte wieder zu seinem Mond hingezogen. Sax hatte vorerst seine verrückte Sabotagekampagne eingestellt und konzentrierte sich, Gott sei Dank, auf seine industriellen Bemühungen im Mohole von Vishniac, wo er Boden-Orbit-Geschosse und dergleichen baute. Maya schüttelte über diese Nachricht den Kopf. Es war nicht militärische Macht, mit der sie etwas erreichen würden. In dieser Hinsicht war sie mit Nadia, Nirgal und Art einer Meinung. Sie würden etwas anderes brauchen, etwas, das sie sich noch nicht vorstellen konnte. Und diese Lücke in ihren Gedanken war eines der Dinge, das sie auf der Sinuswelle ihrer Stimmungen abwärts zu führen pflegte und zu den Dingen gehörte, die sie wahnsinnig machten.
Ihre Arbeit der Koordinierung der verschiedenen Aspekte des Flutungsprojekts begann interessant zu werden. Sie fuhr mit der Straßenbahn oder ging zu Fuß in die Büros im Stadtzentrum und arbeitete dort schwer, um all die Berichte zu bearbeiten, die von den vielen Tauchermannschaften und Bohrstationen eingingen — alle voll von begeisterten Schätzungen, wieviel Wasser sie in das Becken würden tun können, und begleitet von Anforderungen um mehr Gerät und Personal, bis alles zusammen mehr ergab, als Deep Waters liefern konnte. Vom Büro aus war es schwierig, die wettstreitenden Ansprüche zu beurteilen, und Mayas technischer Stab rollte bloß mit den Augen und zuckte die Achseln. Einer sagte: »Es ist so, als ob man einen Wettbewerb von Lügnern beurteilen würde.«
Und dann gingen auch Berichte aus allen Siedlungen rund um das Becken ein, die in Bau waren. Nicht alle Leute, die daran arbeiteten, kamen von der Schwarzmeergruppe oder den daran beteiligten Metanationalen. Eine Menge war einfach unidentifiziert. Eine Tauchermannschaft würde das Vorhandensein einer Kuppelstadt kundtun, die offiziell nicht existierte, und es dabei belassen. Und die beiden großen Canyonprojekte in Dao Vallis und dem System Harmakhis-Reull waren ganz deutlich von mehr Leuten bevölkert, als aus der offiziellen Dokumentation hervorging — Leuten, die deshalb unter angenommenen Identitäten leben mußten wie sie, oder gar völlig außerhalb des Netzes lebten. Das war wirklich sehr interessant.
Eine Piste rund um Hellas war gerade im vergangenen Jahr fertig geworden, eine schwierige Ingenieurarbeit, da der Rand des Beckens von Spalten und Rissen durchbrochen und von einer schweren Dosis aus dem Orbit abgestürzter Objekte mit Kratern besät war. Aber jetzt war die Strecke fertig, und Maya beschloß, ihre Neugier zu befriedigen und eine Reise zur persönlichen Inspektion aller Tiefwasser-Projekte zu unternehmen und in einige neue Siedlungen hineinzuschauen.
Zur Begleitung auf dieser Reise erbat sie die Gesellschaft einer ihrer Areologinnen, einer jungen Frau namens Diana, deren Berichte aus dem Ostbecken gekommen waren. Diese waren knapp und nicht bemerkenswert; aber Maya hatte von Michel erfahren, daß sie ein Kind von Esthers Sohn Paul war. Esther hatte Paul sehr bald nach dem Verlassen von Zygote bekommen und, soweit Maya wußte, niemals jemandem erzählt, wer Pauls Vater war. Also könnte Kasei Esthers Gatte gewesen sein, in welchem Falle Diana Jackies Nichte und Johns und Hirokos Urenkelin wäre. Oder es hätte Peter gewesen sein können. Dann wäre sie Jackies Halbnichte und Anns und Simons Urenkelin. Maya fand das in jedem Fall interessant, und die junge Frau war bestimmt eine Yonsei, ein Marskind der vierten Generation und als solche für Maya interessant ohne Rücksicht auf ihre Vorfahren.
Sie war auch an sich interessant, wie sich zeigte, als Maya sie einige Tage vor ihrer Reise im Büro von Odessa traf. Mit ihrer Größe (über zwei Meter und trotzdem sehr rundlich und muskulös) und ihrer geläufigen Anmut und asiatischen Zügen mit betonten Backenknochen wirkte sie wie die Angehörige einer neuen Rasse, die dort Maya in diesem neuen Winkel der Welt Gesellschaft leisten sollte.
Es stellte sich heraus, daß Diana von dem Hellasbecken und seinem verborgenen Wasser ganz besessen war. Sie redete stundenlang darüber, so lange und in solchem Detail, daß Maya überzeugt wurde, das Rätsel der Elternschaft sei gelöst. Eine derart vom Mars besessene Person mußte mit Ann Clayborne verwandt sein. Damit ergab sich, daß Paul Peter zum Vater gehabt hatte. Maya saß im Zug neben der großen jungen Frau, beobachtete sie oder schaute aus dem Fenster auf den steilen Nordhang des Beckens. Sie stellte Fragen und sah, wie Diana ihre Knie gegen die Sitzbank vor ihr drückte. Man machte die Züge nicht groß genug für die Eingeborenen.
Was Diana vor allem faszinierte, war, daß das Hellasbecken sich als von viel mehr Wasser unter dem Boden umgeben erwiesen hatte, als die areologischen Modelle hatten erwarten lassen. Diese während der letzten Dekade durch Feldforschung gelungene Entdeckung hatte das laufende Hellasprojekt inspiriert und das hypothetische Meer zu einer greifbaren Möglichkeit gemacht. Es hatte auch die Areologen gezwungen, ihre theoretischen Modelle der Frühgeschichte des Mars zu revidieren, und das Volk veranlaßt, über die Ränder der großen Einsturzbecken des Planeten hinauszuschauen. Es waren Forschungsexpeditionen unterwegs in den Charitum und Nereidum Montes rund um Argyre und dem South Isidis umgebenden Gebirge.
Rings um Hellas stand man fast vor der Fertigstellung der Bestandsaufnahme. Man hatte alles in allem vielleicht dreißig Millionen Kubikmeter gefunden, obwohl manche Taucher erklärten, sie seien noch lange nicht zufrieden. »Gibt es einen Weg festzustellen, wann sie fertig sind?« fragte Maya Diana und dachte an alle Anforderungen, die ihr Büro überschwemmten.
Diana zuckte die Achseln. »Nach einiger Zeit hat man überall hingeschaut.«
»Was ist mit dem Boden des Beckens selbst? Könnte die Flutung alle unsere Möglichkeiten zerstören, dort einige Reservoire herauszubekommen?«
»Nein.« Fast kein Wasser, berichtete sie Maya, war unter dem Beckenboden selbst vorhanden. Dieser war durch den ursprünglichen Aufprall ausgetrocknet und bestand jetzt aus einem etwa ein Kilometer dicken äölischen Sediment und darunter einer harten Schicht aus zu Brekzien verwandeltem Gestein, die sich während der kurzen, aber enormen Drücke des Aufpralls gebildet hatte. Die gleichen Drücke hatten auch rund um den Beckenrand tiefe Brüche bewirkt; und infolge der Brüche hatten aus dem Innern des Planeten ungewöhnlich starke Ausgasungen stattgefunden. Von unten waren flüchtige Substanzen hochgesickert und abgekühlt, und der Wasseranteil davon hatte sich in Wasserreservoiren und vielen Zonen stark gesättigten Permafrostes gesammelt.
»Ein ganz beträchtlicher Aufschlag«, bemerkte Maya.
»Das war er gewiß.« Diana sagte, in der Regel wären die aufschlagenden Brocken etwa halb so groß wie das Kraterbecken, das sie formten (wie historische Gestalten, dachte Maya); darum hätte das aufprallende Planetesimal in diesem Fall ungefähr zweihundert Kilometer Durchmesser gehabt. Es wäre auf einem alten, schon mit Kratern bedeckten Gebirge niedergegangen. Gewisse Anzeichen ließen darauf schließen, daß es wohl ein gewöhnlicher Asteroid gewesen war, größtenteils kohlehaltiger Chondrit mit viel Wasser und etwas Nickel im Innern. Er hatte beim Auftreffen eine Geschwindigkeit von rund 72 000 Kilometern in der Stunde gehabt und war in einem leicht nach Osten gerichteten Winkel aufgeprallt, was die große verwüstete Region östlich von Hellas erklärte sowie die hohen und verhältnismäßig regelmäßigen konzentrischen Ringe der Hellespontus-Berge im Westen.
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