»Das würden sie nicht wagen! Ihre Majestät die Königin hat sich zu Ihren Gunsten ausgesprochen.«
Jaidee fasst sich an den Hals, wo sich die alte Federpistolennarbe noch immer auf seiner dunklen Haut abzeichnet. »Nicht einmal, nachdem ich sie auf den Ankerplätzen angegriffen habe?«
Kanya wirft den Kopf in den Nacken. »Ich werde Ihnen eine Leibwache zuteilen.«
Jaidee muss über ihre Heftigkeit lachen — Kanyas Reaktion beruhigt ihn und wärmt ihm das Herz. »Sie sind ein braves Mädchen, aber ich wäre ein Narr, wenn ich mit einer Leibwache herumlaufen würde. Dann wüsste jeder, dass man mir Angst einjagen kann. Tiger kennen keine Furcht. Hier, essen Sie das.« Er schaufelt noch mehr Schlangenkopf- Plaa auf Kanyas Teller.
»Ich bin satt.«
»Seien Sie nicht so höflich. Essen Sie!«
»Sie sollten sich eine Leibwache nehmen. Bitte!«
»Ich vertraue darauf, dass Sie mir den Rücken decken. Das sollte genügen.«
Kanya zuckt zusammen, und Jaidee verkneift sich ein Lächeln. Ach, Kanya, denkt er bei sich. Wir alle müssen Entscheidungen fällen, immer wieder. Ich habe mich entschieden. Aber du hast dein eigenes Kamma. Mit sanfter Stimme sagt er: »Bitte essen Sie noch etwas — Sie sind furchtbar mager. Wie wollen Sie einen Freund finden, wenn Sie nur aus Haut und Knochen bestehen?«
Kanya schiebt ihren Teller von sich fort. »Ich habe in letzter Zeit einfach keinen Appetit.«
Jaidee schüttelt den Kopf. Er legt seine Gabel und seinen Löffel auf den Tisch. »Was ist los? Sie sind noch niedergeschlagener als sonst. Ich komme mir vor, als hätten wir gerade einen Ihrer Brüder in die Urne getan. Was bereitet Ihnen Kummer?«
»Nichts weiter. Wirklich. Ich hab einfach keinen Hunger.«
»Jetzt rücken Sie schon damit raus, Leutnant. Ich möchte, dass Sie mir die Wahrheit sagen. Das ist ein Befehl. Sie sind eine gute Offizierin. Ich kann Ihr trauriges Gesicht nicht länger ertragen. Ich möchte nicht, dass meine Leute traurig dreinschauen, nicht einmal die aus Isaan.«
Kanya verzieht das Gesicht. Jaidee mustert seine Untergebene eindringlich, während diese darüber nachgrübelt, was sie sagen soll. Er fragt sich, ob er jemals so beherrscht gewesen ist wie diese junge Frau. Er bezweifelt es. Er war schon immer zu ungestüm, zu reizbar. Nicht wie Kanya, die mürrische Kanya, die immer jai yen ist, ohne Ausnahme. Niemals sanuk, aber jai yen, das ganz bestimmt.
Er wartet und hofft, dass sie ihm endlich ihre Geschichte erzählt, ihre Geschichte in ihrer ganzen schmerzvollen Menschlichkeit. Aber als Kanya endlich die richtigen Worte findet, versetzt sie ihn in Erstaunen. Sie spricht ganz leise, als wäre es ihr unangenehm, überhaupt etwas zu sagen.
»Einige der Männer beschweren sich, dass Sie nicht genügend Geschenke als Zeichen des Entgegenkommens annehmen. «
»Was?« Jaidee lehnt sich zurück und starrt sie an. »An so etwas beteiligen wir uns nicht. Wir sind anders als die anderen. Und stolz darauf!«
Kanya nickt zustimmend. »Und die Zeitungen und Flüsterblätter lieben Sie dafür. Und das Volk auch.«
»Aber?«
Ihre Miene wird wieder betrübt. »Aber Sie werden nicht mehr befördert, und die Männer, die Ihnen treu ergeben sind, profitieren nicht von Ihrer Protektion, und sie verlieren den Mut.«
»Aber sehen Sie doch, was wir bewirken!« Jaidee klopft auf den Beutel mit dem Geld zwischen seinen Beinen, das sie auf dem Klipper konfisziert haben. »Sie wissen alle, dass ich Ihnen helfen werde, wenn Sie etwas brauchen.«
Kanya starrt auf den Tisch und murmelt: »Einige sagen, dass Sie das Geld behalten möchten.«
»Was?« Jaidee starrt sie sprachlos an. »Glauben Sie das auch?«
Kanya zuckt unglücklich mit den Achseln. »Natürlich nicht.«
Jaidee schüttelt entschuldigend den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Sie sind ein braves Mädchen. Sie haben eine Menge geleistet.« Er lächelt seinen Leutnant an, und fast droht ihn das Mitleid mit dieser jungen Frau zu überwältigen. Als sie zu ihm kam, stand sie kurz vor dem Verhungern, sie betete ihn an, ihn, den ehemaligen Champion, und wollte ihm unbedingt nacheifern.
»Ich gebe mir allergrößte Mühe, die Gerüchte im Keim zu ersticken, aber …« Wieder zuckt sie unglücklich mit den Achseln. »Die Kadetten sagen, unter Hauptmann Jaidee zu dienen, sei, als würde man nur Akah -Würmer zu essen bekommen. Sie arbeiten und arbeiten und werden immer dünner und dünner. Das sind brave Jungs, die wir da haben, aber wie sollten sie sich nicht schämen, wenn sie alte Uniformen tragen müssen, während ihre Kameraden in ganz neuen daherkommen. Wenn sie sich zu zweit ein Fahrrad teilen müssen und ihre Kameraden Spannfederroller fahren.«
Jaidee seufzt. »Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als Weißhemden geliebt wurden.«
» Jeder muss essen.«
Jaidee seufzt erneut. Er zieht den Beutel zwischen seinen Beinen hervor und schiebt ihn Kanya über den Tisch. »Nehmen Sie das Geld. Teilen Sie es gleichmäßig unter ihnen auf. Dafür, dass sie gestern so tapfer waren und so hart gearbeitet haben.«
Sie schaut ihn überrascht an. »Sind Sie sicher?«
Jaidee zuckt mit den Schultern und lächelt. Seine Enttäuschung zeigt er nicht, denn er weiß, dass es so am besten ist, auch wenn es ihn maßlos traurig stimmt. »Warum nicht? Sie haben es gesagt — es sind brave Jungs. Und schließlich ist im Handelsministerium der Teufel los, und die Farang sind stinksauer. Sie haben gute Arbeit geleistet.«
Kanya bezeigt ihm mit einem Wai ihren tiefen Respekt, wobei sie den Kopf senkt und sich die Handflächen an die Stirn drückt.
»Ach, hören Sie auf mit dem Unfug.« Jaidee gießt den Rest der Flasche Sato in Kanyas Glas. »Mai pen rai. Macht nichts. Das sind Kleinigkeiten. Morgen werden wir neue Schlachten schlagen. Und wir brauchen brave, treue Kerle, die uns dabei unterstützen. Wie sollen wir AgriGen und PurCal jemals bezwingen, wenn unsere Leute nicht satt werden?«
»Ich habe 30 000 verloren.«
»Fünfzig«, murmelt Otto.
Lucy Nguyen starrt zur Decke. »Hundertfünfundachtzig? Hundertsechsundachtzig?«
»Vierhundert.« Quoile Napier stellt sein warmes Satoglas auf den niedrigen Tisch. »Wegen Carlyles gottverdammtem Luftschiff habe ich vierhunderttausend blaue Scheine verloren. «
Über den Tisch breitet sich bestürztes Schweigen. »Himmel. « Lucy setzt sich auf, völlig ermattet von dem Alkohol, und das am helllichten Nachmittag. »Was haben Sie denn darin geschmuggelt — cibiresistentes Saatgut?«
Die Unterhaltung findet auf der Veranda des Sir Francis Drake statt. Alle fünf, die es sich hier bequem gemacht haben — die »Farang -Phalanx«, wie Lucy sie getauft hat —, alle starren sie in die unbarmherzige Hitze hinaus und betrinken sich sinnlos.
Anderson hat sich zu ihnen gesellt und hört ihren Klagen nur mit halbem Ohr zu, während er sich in Gedanken fortwährend mit der Frage beschäftigt, woher die Ngaw stammt. Zwischen seinen Füßen steht ein weiterer Beutel mit Früchten, und er hat das unbestimmte Gefühl, dass des Rätsels Lösung nicht mehr weit ist. Wenn er nur findig genug wäre dahinterzukommen! Er trinkt warmen Khmer-Whisky und grübelt vor sich hin.
Die Ngaw ist offenbar gegen Rostwelke und Cibiskose immun, auch wenn sie den Erregern direkt ausgesetzt wird; genmanipulierte japanische Rüsselkäfer und die Kräuselkrankheit können ihr ebenso wenig etwas anhaben — anders könnte sie niemals gedeihen. Ein vollkommenes Produkt. Wer auch immer sie geschaffen hat, muss Zugang zu anderem genetischen Material haben als das, was AgriGen und die übrigen Kalorienkonzerne für ihre Genfledderei verwenden.
Irgendwo in dieser Stadt ist eine Samenbank versteckt. Tausende, vielleicht Hunderttausende sorgfältig erhaltener Samen, eine Fundgrube biologischer Diversität. Endlose DNA-Ketten, und jede birgt einen ganz bestimmten potenziellen Nutzen. Und aus dieser Goldmine extrahieren die Thai Lösungen für die verzwicktesten Probleme, um ihr Überleben zu sichern. Wenn Des Moines Zugang zu diesen Samenbanken hätte, dann stünde ihnen über Generationen hinweg genetischer Code zur Verfügung, mit dem sie die Mutationen der schwarzen Seuche zurückdrängen könnten. Für eine kleine Weile würde das ihr Überleben sichern.
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