»Das wird den Jungs gefallen.«
Er schlägt die Zeitung auf und überfliegt den Artikel. Handelsminister Akkarat ist außer sich vor Wut. Stimmen aus dem Handelsministerium bezeichnen Jaidee als einen »Vandalen«. Er ist überrascht, dass sie ihn nicht einen Verräter und Terroristen schimpfen. Dass sie sich so sehr zurückhalten, verrät ihm, wie machtlos sie in Wirklichkeit sind.
Jaidee kann nicht anders, er lächelt Kanya über die Zeitung hinweg an. »Denen haben wir tatsächlich wehgetan.«
Kanya schweigt weiterhin.
Inzwischen gelingt es ihm meistens, ihre schlechte Laune zu ignorieren. Als er sie kennenlernte, dachte er erst, sie sei ein wenig blöde, so teilnahmslos, wie sie immer dreinschaute, so gleichgültig, wie sie gegenüber jeder humorvollen Bemerkung war, als fehlte ihr ein Organ, eine Nase, mit der sie riechen, Augen, mit denen sie sehen konnte — womit auch immer man Sanuk wahrnimmt, wenn es einem begegnet.
»Wir sollten ins Ministerium zurückkehren«, sagt sie, dreht sich um und sucht den Bootsverkehr auf dem Khlong nach einer Mitfahrgelegenheit ab.
Jaidee bezahlt den Flüsterblattverkäufer gerade für seine Zeitung, da kommt ein Kanaltaxi in Sicht.
Kanya winkt es heran, und es geht neben ihnen längsseits. Das Schwungrad summt vor gespeicherter kinetischer Energie, und als das Boot von seinem Kielwasser eingeholt wird, schlagen die Wellen gegen die Uferböschung. Riesige Spannfedern nehmen die Hälfte seiner Nutzlast ein. Reiche Geschäftsleute aus Chaozhou drängen sich in dem überdachten Bug wie Enten auf dem Weg zum Schlachter.
Kanya und Jaidee springen an Bord und bleiben auf dem Trittbrett außerhalb des Sitzabteils stehen. Das Mädchen, das Fahrkarten verkauft, ignoriert die weißen Uniformen geradeso, wie es von ihnen ignoriert wird. Sie verkauft einem anderen Mann, der mit ihnen einsteigt, ein 30-Baht-Ticket. Jaidee greift nach einem Haltetau; das Boot legt ab und nimmt Geschwindigkeit auf. Während sie auf dem Khlong stadteinwärts fahren, liebkost der Wind sein Gesicht. Das Taxi ist schnell — es überholt die kleinen Paddelboote und Langschwanzboote, die auf dem Kanal unterwegs sind. Baufällige Häuserblocks und Ladenzeilen gleiten vorbei; Pha Sin, Blusen und Sarongs hängen farbenfroh in der Sonne. Frauen waschen ihr langes schwarzes Haar in dem braunen Wasser. Das Boot wird plötzlich langsamer.
Kanya blickt nach vorne. »Was ist los?«
Ein Baum ist umgeknickt und blockiert fast den ganzen Kanal. Boote stauen sich vor ihm und versuchen sich an ihm vorbeizudrängen.
»Ein Bobaum«, sagt Jaidee. Er blickt zum Ufer, um sich zu orientieren. »Wir müssen den Mönchen Bescheid geben.«
Niemand sonst wird den Baum anrühren. Und trotz der Holzknappheit wird sich auch niemand an ihm zu schaffen machen. Das bringt Unglück. Ihr Boot schlingert auf der Stelle, während der Schiffsverkehr versucht, durch die winzige Lücke zwischen Baum und Ufer zu schlüpfen.
Jaidee knurrt voller Ungeduld und ruft dann laut: »Lasst uns durch, meine Freunde! Beamte im Einsatz. Lasst uns durch!« Er wedelt mit seiner Marke.
Beim Anblick seiner Marke und der weißen Uniform bemühen sich die Boote, Platz zu machen. Der Taxifahrer wirft Jaidee einen dankbaren Blick zu. Das Spannfederboot schlüpft in das Gewühl und drängelt sich hindurch.
Als sie an den kahlen Ästen des Baumes vorbeigleiten, bezeigen die Passagiere des Kanaltaxis dem Stamm ihren tiefen Respekt, indem sie ihre Handflächen aneinanderpressen und sie an die Stirn heben.
Jaidee folgt ihrem Beispiel, streckt dann die Hand aus und streicht über das raue Holz. Es ist von winzigen Bohrlöchern übersät. Wenn er jetzt die Rinde ablösen würde, würde ein feines Netz aus Furchen den Tod des Baumes abbilden. Ein Bobaum. Ein heiliger Baum. Unter dem Buddha seine Erleuchtung hatte. Und trotzdem konnten sie nichts tun, um ihn zu retten. Keine einzige Feigenart hat überlebt, obwohl sie sich alle Mühe gegeben haben. Die Elfenbeinkäfer waren einfach zu viel für sie. Als die Wissenschaftler aufgaben, beteten sie zu Phra Seub Nakhasathien, ein letzter verzweifelter Versuch, aber selbst der Märtyrer konnte sie am Ende nicht retten.
»Wir konnten nicht alles retten«, murmelt Kanya, als würde sie seine Gedanken lesen.
»Wir konnten überhaupt nichts retten.« Jaidee fährt mit den Fingern die Furchen entlang, die die Elfenbeinkäfer hinterlassen haben. »Die Farang haben Fürchterliches angerichtet, und trotzdem versucht Akkarat, mit ihnen handelseinig zu werden.«
»Nicht mit AgriGen.«
Jaidee lächelt verbittert und zieht die Hand von dem gestürzten Baum zurück. »Nein, mit denen nicht. Aber mit ihresgleichen, das schon. Mit Genfledderern. Kalorienmännern. Sogar mit PurCal, wenn die Hungersnot richtig schlimm wird. Warum sonst lassen wir zu, dass sie sich draußen auf Koh Angrit ausbreiten? Für den Fall, dass wir versagen und sie um Reis und Weizen und Soja anflehen müssen!«
»Wir haben jetzt unsere eigenen Genfledderer.«
»Dank der Voraussicht Ihrer königlichen Majestät Rama XII.«
»Und dank Chaopraya Gi Bu Sen.«
»Chaopraya.« Jaidee verzieht das Gesicht. »Niemand, der so böse ist, sollte sich mit einem so ehrenvollen Titel schmücken dürfen.«
Kanya zuckt mit den Achseln, lässt sich aber auf keine Diskussion ein. Bald haben sie den Bobaum hinter sich gelassen. An der Srinakharin Bridge steigen sie aus. Der Geruch der Garküchen zieht Jaidee geradezu magnetisch an. Er bedeutet Kanya, ihm zu folgen, und bahnt sich einen Weg in eine kleine Soi. »Somchai hat erzählt, hier unten gäbe es einen guten Som-Tam -Stand. Schöne, saubere Papayas.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagt Kanya.
»Deshalb haben Sie ja auch immer so schlechte Laune.«
»Jaidee …« Kanya beendet den Satz nicht.
Jaidee wirft ihr einen fragenden Blick zu — ihr sorgenvoller Gesichtsausdruck ist nicht zu verkennen. »Was ist denn? Los, raus damit!«
»Ich mache mir Sorgen wegen der Ankerplätze.«
Jaidee zuckt mit den Schultern. »Dazu gibt es keinen Grund.«
Entlang der Gasse reihen sich dicht an dicht Garküchen und Tische. Kleine Schüsseln Nam Plaa Prik stehen ordentlich in der Mitte der zweckentfremdeten Holzplanken. »Sehen Sie? Somchai hatte Recht.« Er entdeckt den Salatstand, nach dem er gesucht hat, und begutachtet die Gewürze und Früchte. Als Kanya zu ihm tritt — eine kompakte Wolke düsterer Stimmung —, bestellt er bereits.
»Zweihunderttausend Baht ist auch für Akkarat eine Menge Geld«, murmelt sie, während Jaidee die Som-Tam -Verkäuferin bittet, noch mehr Chilis aufzutun.
Die Frau rührt die zerstampften Papayas unter die Gewürzmischung, und Jaidee nickt nachdenklich. »Das ist wahr. Ich hatte keine Ahnung, dass da draußen so viel Geld verdient wird.«
Es wäre genug, um ein neues Gentech-Labor zu finanzieren oder fünfhundert Weißhemden anzuheuern, um Inspektionen in den Buntbarsch-Farmen von Thonburi durchzuführen … Er schüttelt den Kopf. Dabei war das nur eine einzige Razzia gewesen!
Er kann es noch immer nicht fassen.
Es gibt Augenblicke, da glaubt er, die Welt zu verstehen; und dann wieder, wenn es ihm gelingt, einen weiteren Skandal aufzudecken, der in der Heiligen Stadt unter den Teppich gekehrt wurde, stößt er auf Kakerlaken, wo er nie welche vermutet hätte. In der Tat, etwas Neues.
Er schlendert zur nächsten Garküche weiter; dort werden mit Chilis gespicktes Schweinefleisch und Bambusspitzen von RedStar feilgeboten. Schlangenkopf- Plaa, erst heute aus dem Chao Phraya gezogen und in Backteig knusprig gebraten. Er bestellt sich noch mehr zu essen, genug für sie beide, und Sato zu trinken. Er lässt sich an einem nicht überdachten Tisch nieder, und das Essen wird gebracht.
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