“Wir arbeiten rund um die Uhr daran”, antwortete Bruce. “Die meisten größeren Schwierigkeiten haben wir überwunden, jetzt arbeiten wir die Details aus.”
“Gut, gut”, sagte Venkat. “Gibt es irgendwelche Überraschungen, von denen ich wissen sollte?”
“Äh …”, setzte Bruce an. “Ja, es gibt ein paar. Aber dies ist vielleicht nicht der richtige Augenblick, darüber zu reden. In ein oder zwei Tagen fliege ich mit den Plänen nach Houston, dann können wir alles in Ruhe besprechen.”
“Klingt gefährlich”, meinte Venkat. “Aber meinetwegen, wir kommen später darauf zurück.”
“Darf ich das bekannt geben?”, fragte Annie. “Es wäre schön, wenn heute Abend in den Nachrichten etwas anderes als der Unfallort die Hauptrolle spielen würde.”
“Auf jeden Fall”, stimmte Venkat zu. “Es tut gut, zur Abwechslung mal mit guten Neuigkeiten aufzuwarten. Mindy, wie lange braucht er noch, um das MRM zu erreichen?”
“Bei der üblichen Geschwindigkeit von 90 Kilometern pro Sol müsste er an Sol 504 dort eintreffen, oder erst an Sol 505, wenn er sich Zeit lässt. Er fährt immer vom frühen Morgen bis gegen Mittag.” Sie überprüfte etwas auf ihrem Notebook. “Die genaue Mittagszeit an Sol 504 ist am Mittwoch um 11:41 Uhr unserer Zeit hier in Houston. Die Mittagszeit an Sol 505 wird um 12:21 Uhr am Donnerstag sein.”
“Mitch, wer ist für die Kommunikation mit dem MRM von Ares 4 zuständig?”
“Die Mission Control von Ares 3”, antwortete Mitch. “Sie arbeiten in Kontrollraum 2.”
“Ich nehme doch an, dass Sie dort sind?”
“Darauf können Sie Ihren Arsch verwetten.”
“Ich bin ebenfalls da.”
Logbuch: Sol 502
Jedes Jahr zu Thanksgiving ist meine Familie von Chicago nach Sandusky gefahren, wo die Schwester meiner Mutter lebte. Das war eine Fahrt von acht Stunden. Dad lenkte das Auto, und er war der langsamste, vorsichtigste Fahrer, der jemals an einem Steuer gesessen hatte.
Ehrlich. Er fuhr wie in der Fahrprüfung. Niemals überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit, immer hatte er beide Hände am Lenkrad und stellte vor jedem Ausflug gewissenhaft die Spiegel ein.
Es reizte mich zur Weißglut. Wir fuhren auf dem Freeway, links und rechts schossen die anderen Autos vorbei. Einige hupten, weil man zu einer Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer wird, wenn man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Am liebsten wäre ich ausgestiegen und hätte geschoben.
So habe ich mich heute den ganzen Tag lang gefühlt. Fünf Stundenkilometer sind buchstäblich Schrittgeschwindigkeit. Ich bin acht Stunden lang mit diesem Tempo gefahren.
Doch die niedrige Geschwindigkeit sorgte dafür, dass ich nicht mehr in Staubfallen geriet. Und natürlich stieß ich auf keinerlei gefährliche Stellen. Ich hätte ohne Probleme mit voller Geschwindigkeit fahren können. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Die gute Neuigkeit ist, dass ich die Rampe verlassen habe. Ich habe mein Lager aufgeschlagen, sobald das Gelände flacher wurde. Die Fahrzeit für den heutigen Tag habe ich schon überschritten. Ich hätte noch weiterfahren können, weil ich noch 15 Prozent Ladung in den Batterien hatte, aber ich wollte meinen Solarmodulen so viel Tageslicht zukommen lassen, wie es nur irgend möglich war.
Endlich bin ich im Schiaparelli-Becken! Und ich bin weit von der Kraterwand entfernt. Von jetzt an bekomme ich jeden Tag wieder das volle Sonnenlicht.
Ich beschloss, dass dies ein besonderer Anlass war, und aß die Ration mit der Aufschrift “Etwas überlebt, das mich hätte umbringen müssen”. Mein Gott, ich habe ganz vergessen, wie gut echtes Essen schmeckt.
Mit etwas Glück kann ich in ein paar Marstagen “Ankunft” essen.
Logbuch: Sol 503
Gestern habe ich nicht so viel nachgeladen wie gewöhnlich. Da ich länger als sonst gefahren bin, wurden die Batterien bis Einbruch der Nacht nur zu 70 Prozent aufgeladen. Also konnte ich heute nicht so lange fahren.
Ich habe 63 Kilometer geschafft, ehe ich wieder lagern musste. Das ist mir egal, denn ich bin nur noch 148 Kilometer vom MRM entfernt. Das heißt, dass ich übermorgen dort eintreffen werde.
Teufel auch, ich werde es wirklich schaffen!
Logbuch: Sol 504
Verdammt, ist das irre! Verdammt, verdammt!
Also gut, beruhige dich.
Heute habe ich 90 Kilometer geschafft. Meiner Schätzung nach bin ich noch 50 Kilometer vom MRM entfernt. Irgendwann morgen müsste ich eintreffen. Ich bin sehr aufgeregt, aber was mich wirklich umhaut, ist dies: Ich habe ein Funksignal vom MRM aufgefangen!
Die NASA lässt das MRM das Peilsignal der Wohnkuppel von Ares 3 ausstrahlen. Warum auch nicht? Das ist völlig einleuchtend. Das MRM ist eine elegante, hochgezüchtete Maschine, die genau das macht, was man ihr sagt. Sie lassen das Ding so tun, als sei es die Wohnkuppel von Ares 3, damit mein Rover das Signal empfängt und mir sagt, wo das MRM steht.
Das ist eine außerordentlich gute Idee! Ich muss nicht herumsuchen, um das Ding zu finden, sondern kann es auf geradem Wege ansteuern.
Ich habe nur einen kleinen Impuls aufgefangen. Sobald ich näher dran bin, wird es besser. Seltsam, dass mich eine Sanddüne davon abhält, das MRM zu empfangen, obwohl es problemlos mit der Erde reden kann. Das MRM hat drei redundante Kommunikationssysteme für den Kontakt zur Erde, die jedoch alle extrem stark ausgerichtet und für die Kommunikation mit Sichtverbindung ausgelegt sind. Zwischen dem Standort des Senders und der Erde gibt es keine Sanddünen.
Irgendwie haben sie den Sender umprogrammiert, damit er als Rundstrahler arbeitet, so schwach das Signal auch ist. Jedenfalls habe ich es gehört!
Meine heutige Nachricht lautete: “LEITSTRAHL EMPFANGEN.” Hätte ich genügend Steine gehabt, dann hätte ich noch “WAHNSINNSIDEE!!!” hinzugefügt. Leider gibt es hier vor allem Sand.
Das MRM wartete im Südwesten des Schiaparelli-Kraters. Es war beeindruckende 27 Meter hoch, und der kegelförmige Rumpf schimmerte in der Mittagssonne.
Mit dem Anhänger im Schlepp überwand der Rover einen Dünenkamm. Einen Moment lang wurde er langsamer, dann fuhr er mit Höchstgeschwindigkeit weiter zum Raumschiff. Zwanzig Meter davor hielt er an.
Dort blieb er zehn Minuten stehen, während der Astronaut im Innern den Raumanzug anlegte.
Aufgeregt stolperte der einsame Marsbewohner durch die Luftschleuse, fiel hin und rappelte sich wieder auf. Er betrachtete das MRM und fuchtelte mit beiden Armen herum, als könnte er es nicht glauben.
Dann sprang er mehrmals hoch und ballte die Hände zu Fäusten. Schließlich hockte er sich auf ein Knie und stieß mehrmals die Fäuste gen Himmel.
Gleich darauf rannte er zum Raumschiff und umarmte Landestütze B. Nach ein paar Augenblicken löste er sich davon und sprang abermals begeistert auf und ab.
Endlich wurde der Astronaut müde, stemmte die Arme in die Hüften und betrachtete die eleganten Linien des technischen Wunderwerks, das vor ihm stand.
Dann stieg er die Leiter bis zur Landestufe hinauf, erreichte die Rückkehrstufe und betrat die Luftschleuse. Hinter sich verriegelte er die Tür.
25
Logbuch: Sol 505
Endlich habe ich es geschafft! Ich bin am MRM!
Nun ja, in diesem Moment befinde ich mich wieder im Rover. Ich war im MRM, um die Systeme zu starten und zu überprüfen. Die ganze Zeit über musste ich den EVA-Anzug tragen, weil es da drüben noch keine Lebenserhaltung gibt. Jetzt laufen die Selbsttests, und ich speise vom Rover aus mit Schläuchen Sauerstoff und Stickstoff ein. Das MRM ist eben so gebaut. Es bringt keine Luft mit. Warum sollte es auch? Das ist nur nutzloser Ballast, wenn nebenan eine Wohnkuppel voller Atemluft steht.
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