“Dann wird er also mit einem großen Loch im Bug starten?”
“Er wird es mit der Plane der Wohnkuppel abdichten.”
“Mit der Plane? Damit soll er in eine Umlaufbahn fliegen?”
Bruce zuckte mit den Achseln. “Die Hülle dient vor allem dazu, die Luft drinnen zu halten. Die Marsatmosphäre ist so dünn, dass man nicht auf Stromlinienform achten muss. Wenn das Schiff so schnell ist, dass der Luftwiderstand stören könnte, ist es schon so hoch, dass praktisch keine Luft mehr existiert. Wir haben es simuliert, und es müsste funktionieren.”
“Sie schicken ihn mit einer Zeltplane in den Weltraum.”
“So ungefähr, ja.”
“So ähnlich wie einen übereilt beladenen Pick-up.”
“Ja. Darf ich fortfahren?”
“Unbedingt, ich kann es kaum erwarten.”
“Wir lassen ihn auch die hintere Verkleidung der Druckkapsel entfernen. Das ist die einzige Verkleidung, die er mit dem verfügbaren Werkzeug ausbauen kann. Außerdem werfen wir die Hilfstreibstoffpumpe hinaus. Das ist traurig, aber sie wiegt zu viel, um nützlich zu sein. Außerdem fällt ein Antrieb der ersten Stufe weg.”
“Ein Antrieb?”
“Ja. Die erste Stufe der Trägerrakete funktioniert immer noch, wenn eine Maschine fehlt. Damit fällt eine Menge Gewicht weg. Das gilt zwar nur, solange die erste Stufe arbeitet, aber es spart gleich beim Start eine Menge Treibstoff.”
Bruce verstummte.
“War es das?”, fragte Venkat.
“Ja.”
Venkat seufzte. “Sie haben die meisten Sicherheitsreserven entfernt. Wie sieht jetzt die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags aus?”
“Sie liegt bei vier Prozent.”
“Jesus Christus”, sagte Venkat. “So etwas Riskantes würden wir normalerweise nie in Erwägung ziehen.”
“Wir haben nichts anderes, Venk”, erwiderte Bruce. “Wir haben alles geprüft und viele Simulationen durchgeführt. Wenn alles funktioniert, wie es funktionieren soll, müsste es klappen.”
“Ja. Wundervoll”, sagte Venkat.
[08:41] MRM: Macht ihr Witze?
[08:55] HOUSTON: Zugegeben, das sind sehr weitreichende Eingriffe, aber sie sind notwendig. Das Dokument für die Vorgehensweise, das wir Ihnen schon geschickt haben, enthält Anweisungen für jeden Schritt und berücksichtigt das Werkzeug, das Sie haben. Außerdem müssen Sie jetzt Wasser elektrolytisch zerlegen, um den Wasserstoff für die Treibstofferzeugung zu bekommen. Wir schicken Ihnen in Kürze die Anleitung dazu.
[09:09] MRM: Ihr schickt mich in einem Cabrio in den Weltraum.
[09:24] HOUSTON: Die Löcher werden mit Plane bedeckt, die in der Marsatmosphäre für die entsprechende Aerodynamik ausreicht.
[09:38] MRM: Also ist es ein Cabrio mit Faltdach. Das ist natürlich viel besser.
Logbuch: Sol 506
Auf dem Weg hierher habe ich in meiner großzügig bemessenen Freizeit eine Werkstatt entworfen. Ich war der Ansicht, ich könnte einen Arbeitsplatz brauchen, an dem ich keinen EVA-Anzug tragen muss. Mein brillanter Plan sah vor, dass mein jetziger Schlafraum die neue Heimat des Reglers und des Oxygenators wird, während der inzwischen leere Anhänger als Werkstatt dienen soll.
Das ist eine dumme Idee, die ich nicht weiter verfolge.
Ich brauche lediglich einen unter Druck stehenden Bereich, in dem ich arbeiten kann. Irgendwie bin ich zu der Ansicht gelangt, dass mein Schlafraum nicht der richtige Ort ist, weil es so umständlich ist, die Sachen dort hineinzubekommen. Aber so schlimm muss es nicht werden.
Der Schlafraum ist mit der Luftschleuse des Rovers verbunden, und deshalb ist es lästig, die Sachen dort hineinzubringen. Das Zeug in den Rover schleppen, von innen den Schlafraum an die Luftschleuse koppeln, aufblasen, den Kram in den Schlafraum bringen. Jedes Mal, wenn ich die Plane zusammenfalten und eine EVA unternehmen will, muss ich das ganze Werkzeug und alle anderen Sachen aus dem Schlafraum herausholen.
Also wird es tatsächlich nervig, aber es kostet mich nichts als Zeit, und in dieser Hinsicht stehe ich ziemlich gut da. Mir bleiben noch 43 Marstage, bis die Hermes vorbeifliegt. Wenn ich mir das Verfahren der NASA für die Umbauten ansehe, scheint es sogar so, als könnte ich das MRM selbst als Werkstatt benutzen.
Die Irren bei der NASA verlangen, dass ich das MRM arg misshandle, aber die Hülle muss ich erst ganz am Schluss öffnen. Also räume ich als Erstes einen Haufen Schrott wie die Stühle, die Schaltpulte und so weiter weg. Sobald sie draußen sind, habe ich da drin viel Platz zum Arbeiten.
Heute habe ich das zu verstümmelnde MRM allerdings noch in Ruhe gelassen. Den ganzen Tag über musste ich Systemtests durchführen. Da ich jetzt wieder Verbindung zur NASA habe, steht die Sicherheit an erster Stelle. Seltsamerweise hält die NASA nicht viel von meinem angepassten Rover und meiner Methode, alles in den Anhänger zu stopfen. Sie wollten, dass ich jede einzelne Komponente gründlich überprüfe.
Alles funktioniert noch, allerdings zeigen sich allmählich Verschleißerscheinungen. Der Regler und der Oxygenator arbeiten, vorsichtig ausgedrückt, nicht mehr mit voller Leistung, und aus dem Anhänger entweicht jeden Tag etwas Luft. Es ist nicht genug, um Probleme zu verursachen, aber der Anhänger ist nicht völlig dicht. Die NASA fühlt sich damit nicht sehr wohl, aber es gibt keine Alternativen.
Dann musste ich das MRM gründlich überprüfen. Es ist in viel besserer Verfassung. Alles ist nagelneu, es glänzt und schimmert und funktioniert perfekt. Beinahe hatte ich schon vergessen, wie neue Hardware aussieht.
Zu schade, dass ich das alles zerlegen muss.
“SIE HABEN WATNEY UMGEBRACHT”, sagte Lewis.
“Ja.” Martinez betrachtete finster den Monitor, auf dem anklagend die Meldung “Kollision mit Boden” blinkte.
“Ich habe ihm einen bösen Streich gespielt”, gestand Johannsen. “Ich habe ihm eine fehlerhafte Höhenanzeige gegeben und Maschine Drei zu früh abgeschaltet. Das ist eine tödliche Kombination.”
“Daran hätte nicht die ganze Mission scheitern dürfen”, wandte Martinez ein. “Ich hätte bemerken müssen, dass die Anzeige falsch war. Sie war völlig daneben.”
“Keine Panik”, warf Lewis ein. “Dafür trainieren wir ja.”
“Aye, Commander.” Martinez runzelte die Stirn und starrte betreten auf den Bildschirm.
Lewis wartete, ob sich seine Laune von selbst besserte. Als es nicht geschah, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter.
“Machen Sie sich keine Vorwürfe”, sagte sie. “Ferngesteuerte Landungen haben Sie nur zwei Tage lang geübt. Das wäre sowieso nur infrage gekommen, wenn wir vor der Landung hätten abbrechen müssen – in diesem Szenario wäre es nur noch darum gegangen, die Verluste möglichst klein zu halten und das MRM wie einen Satelliten hochzuschießen. Da es nicht entscheidend für die Mission war, hat man auch dem Training keine hohe Priorität eingeräumt. Jetzt hängt Marks Leben davon ab, aber Sie haben noch drei Wochen, um es zu lernen. Ich bezweifle nicht, dass Sie es schaffen.”
“Aye Commander.” Martinez’ Miene hellte sich ein wenig auf.
“Ich starte die Simulation noch einmal”, sagte Johannsen. “Wollen Sie etwas Bestimmtes versuchen?”
“Überraschen Sie mich”, antwortete Martinez.
Lewis verließ den Kontrollraum und ging zum Reaktor. Als sie die Leiter zum Zentrum des Schiffs hinaufstieg, fiel die durch Drehbeschleunigung erzeugte Schwerkraft auf null. Vogel blickte von einer Computerkonsole auf. “Commander?”
“Wie laufen die Maschinen?” Sie packte einen in die Wand eingelassenen Griff, um in dem langsam rotierenden Raum an Ort und Stelle zu bleiben.
“Sie arbeiten innerhalb der Toleranzen”, berichtete Vogel. “In diesem Moment führe ich einen Selbsttest des Reaktors durch. Johannsen ist ja mit dem Starttraining beschäftigt, und ich dachte, ich nehme ihr die Diagnose ab.”
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