Meine EVA ergab, dass die Dinge nicht allzu schlecht stehen, aber das heißt noch lange nicht, dass alles gut ist.
Ich habe drei Solarmodule zerstört. Sie liegen zerbrochen unter dem Rover. Vielleicht können sie noch ein paar Watt liefern, aber große Hoffnung habe ich nicht. Glücklicherweise habe ich ein zusätzliches Solarmodul mitgenommen. Ich brauchte 28 für die alltäglichen Aktivitäten und habe 29 mitgebracht (14 auf dem Dach des Rovers, sieben auf dem Dach des Anhängers und acht auf den improvisierten Regalen, die ich seitlich an den Fahrzeugen angebracht habe).
Ich habe versucht, den Rover aufzurichten, aber ich bin nicht stark genug. Ich muss mir irgendetwas basteln, um die Hebelwirkung zu vergrößern. Wenn man davon absieht, dass er auf der Seite liegt, sind keine echten Probleme zu erkennen.
Nein, das stimmt nicht ganz. Der Zughaken ist hoffnungslos zerstört. Die Hälfte ist einfach abgerissen. Glücklicherweise besitzt auch der Anhänger einen Zughaken, also ist noch einer übrig.
Der Anhänger ist in einer gefährlichen Lage. Er steht kopf und liegt genau auf dem aufgeblasenen Dach. Ich bin nicht sicher, welcher Gott auf mich herabgelächelt und den Ballon am Platzen gehindert hat, aber ich bin ihm dankbar. Als Erstes muss ich den Anhänger aufrichten, denn je länger der Ballon belastet wird, desto größer ist die Gefahr, dass er doch noch platzt.
Draußen habe ich schon die 26 Solarmodule eingesammelt, die nicht unter dem Rover liegen, und sie gleich aufgebaut, damit sie schon mal die Batterien aufladen. Warum soll ich die Zeit nicht nutzen?
Nun muss ich also mehrere Probleme bewältigen. Zuerst einmal gilt es, den Anhänger aufzurichten oder wenigstens den Druck auf den Ballon zu vermindern. Dann muss ich den Rover aufrichten und schließlich den Zughaken durch den des Anhängers ersetzen.
Außerdem sollte ich eine Nachricht für die NASA buchstabieren. Wahrscheinlich machen sie sich Sorgen.
MINDY LAS DEN MORSECODE LAUT VOR: “ÜBERSCHLAGEN. REPARIERE JETZT.”
“Was? Das ist alles?”, antwortete Venkat über das Telefon.
“Mehr hat er nicht geschrieben.” Sie fixierte das Telefon mit dem Kinn, während sie eine E-Mail an die Liste der interessierten Empfänger tippte.
“Nur diese drei Worte? Nichts über seinen Gesundheitszustand? Über seine Ausrüstung und seine Vorräte?”
“Jetzt haben Sie mich erwischt”, erwiderte Mindy. “Er hat einen detaillierten Statusbericht verfasst. Ich habe mich einfach nur so entschieden zu flunkern.”
“Sehr witzig”, meinte Venkat. “Sie werden schon sehen, was passiert, wenn Sie so mit jemandem reden, der in der Hierarchie sieben Ränge über Ihnen steht.”
“Oh, richtig”, entgegnete Mindy. “Heißt das, ich könnte meinen Job als interplanetarische Voyeurin verlieren? Dann muss ich wohl wieder meinen Universitätsabschluss für irgendetwas einsetzen.”
“Ich kann mich noch gut erinnern, dass Sie mal schüchtern waren.”
“Ich bin jetzt eine Weltraumpaparazza. Der Job bringt diese Einstellung mit sich.”
“Ja, schon gut”, wehrte Venkat ab. “Schicken Sie mir einfach die E-Mail.”
“Ist schon unterwegs.”
Logbuch: Sol 499
Heute hatte ich viel zu tun und habe eine Menge geschafft.
Anfangs war ich ziemlich kaputt, weil ich auf der Seitenwand des Rovers schlafen musste. Der Schlafraum funktioniert nicht, wenn die Luftschleuse nach oben zeigt. Irgendwie habe ich den Schlafraum dann trotzdem noch eingesetzt, denn ich habe ihn zusammengefaltet und als Bett benutzt.
Wie auch immer, es soll reichen zu sagen, dass die Seitenwand des Rovers nicht dazu gedacht ist, auf ihr zu schlafen. Nach einer Morgenkartoffel und etwas Vicodin ging es mir aber schon viel besser.
Zuerst hatte ich angenommen, ich müsste mich vor allem um den Anhänger kümmern. Dann überlegte ich es mir noch einmal, denn nach einem gründlichen Blick auf den Anhänger war mir klar, dass ich ihn nie mit eigener Kraft aufrichten konnte. Ich brauchte den Rover.
Also habe ich mich heute darauf konzentriert, den Rover aufzurichten.
Mein ganzes Werkzeug habe ich mitgenommen, weil ich dachte, ich benötigte es für die Umbauten am MRM. Außerdem habe ich eine Menge Kabel eingepackt. Sobald ich mich am MRM eingerichtet habe, werden die Solarmodule und die Batterien einen festen Platz bekommen. Ich will nicht jedes Mal den Rover umsetzen, sobald ich auf der anderen Seite des MRM einen Bohrer benutzen möchte. Deshalb habe ich alle Kabel eingepackt, die ich nur unterbringen konnte.
Das war eine gute Idee, denn man kann sie auch als Seile verwenden.
Ich habe das längste Kabel herausgesucht. Es ist genau dasjenige, das den Bohrer mit Strom versorgt und den Pathfinder auf dem Gewissen hat. Ich nenne es mein Glückskabel.
Das eine Ende habe ich mit der Batterie und das andere mit dem berüchtigten Probenbohrer verbunden und bin dann mit dem Bohrer weggegangen, um einen soliden Untergrund zu suchen. Dabei habe ich mich so weit entfernt, wie das Kabel nur reichen wollte. Dort habe ich in einen Stein ein Loch von einem halben Meter Tiefe gebohrt und das Stromkabel abgeklemmt und um die Bohrspitze geknotet.
Anschließend bin ich zum Rover zurückgekehrt und habe das Seil auf der oben liegenden Seite am Dachträger befestigt. Jetzt hatte ich ein langes, straff gespanntes Seil, das im rechten Winkel zum Rover verlief.
Ich ging zur Mitte des Seils und zog es zur Seite weg. So konnte ich eine starke Hebelwirkung auf den Rover ausüben. Dabei hoffte ich, dass der Bohrer nicht brach, ehe der Rover kippte.
Ich ging rückwärts und zog das Seil immer fester an. Irgendwo musste etwas nachgeben, und das wollte nicht ich selbst sein. Archimedes war auf meiner Seite. Endlich kippte der Rover.
Er fiel auf die Räder, eine riesige Staubwolke wallte hoch. Das alles ging völlig lautlos vor sich. Ich war so weit entfernt, dass die dünne Atmosphäre die Geräusche nicht übertragen konnte.
Ich band das Kabel los, befreite den Bohrer und kehrte zum Rover zurück, um das Fahrzeug gründlich zu überprüfen. Das ist eine ausgesprochen langweilige Aufgabe, um die ich aber nicht herumkam.
Alle Systeme und Subsysteme arbeiteten einwandfrei. Das JPL hat beim Bau der Rover wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Wenn ich zur Erde zurückkehre, gebe ich Bruce Ng ein Bier aus. Nein, wahrscheinlich sollte ich allen Leuten beim JPL ein Bier ausgeben.
Ja, jeder bekommt ein Bier, wenn ich zur Erde zurückkehre.
Wie auch immer, da der Rover wieder auf den Rädern stand, war es Zeit, den Anhänger aufzurichten. Das Problem war nur, dass inzwischen das Tageslicht schwand. Schließlich befinde ich mich in einem Krater.
Als sich der Rover überschlug, hatte ich schon einige Kilometer auf der Rampe zurückgelegt, und diese Rampe befindet sich am Westrand des Kraters. An meinem Standort geht die Sonne sehr früh unter. Ich bin im Schatten der westlichen Wand, und das ist total beschissen.
Der Mars ist nicht die Erde. Es gibt keine dicke Atmosphäre, die das Licht beugt und in der Partikel schweben, die das Licht um die Ecke reflektieren. Hier herrscht beinahe ein Vakuum. Sobald die Sonne nicht mehr sichtbar ist, stehe ich im Dunklen. Phobos strahlt ein wenig Licht ab, das jedoch nicht ausreicht, um zu arbeiten. Deimos ist ein kleines Stück Dreck, das niemandem etwas nützt.
Ich lasse den Anhänger nicht gern noch eine Nacht auf dem Ballon liegen, aber ich kann nicht viel tun. Einen ganzen Tag hat er ja schon auf diese Weise überstanden. Wahrscheinlich liegt er im Moment recht stabil.
Außerdem kann ich wieder den Schlafraum benutzen, nachdem ich den Rover aufgerichtet habe! Die einfachen Dinge im Leben sind doch oft die schönsten.
Logbuch: Sol 500
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war der Anhänger nicht geplatzt. Das war schon mal ein guter Anfang.
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