Das Problem ist (passen Sie jetzt genau auf, dies ist eine komplizierte wissenschaftliche Überlegung), dass die Luft nicht drinnen bleibt, wenn ich ein Loch in die Wohnkuppel schneide.
Ich muss die Luft aus der Wohnkuppel pumpen, die Stücke herausschneiden und alles kleiner wieder zusammenbauen. Heute habe ich mir überlegt, welche Stücke in welche Formen ich schneiden muss. Dabei darf ich keinen Fehler machen. Deshalb habe ich alles dreimal überprüft und mir sogar ein Modell aus Papier gebaut.
Wenn ich dicht über dem Boden ein Stück Plane aus der Wohnkuppel schneide, kann ich den Rest der Plane nach unten ziehen und das Loch abdichten. Damit wird die Wohnkuppel schief, aber das spielt keine Rolle, solange sie den Druck hält. Ich muss ja nur noch 62 Marstage hierbleiben.
Mit einem Sharpie habe ich die Umrisse auf die Wände gezeichnet. Dann habe ich viel Zeit damit verbracht, alles noch einmal nachzumessen und mich immer wieder zu vergewissern, dass alles stimmt.
Mehr habe ich heute nicht getan. Das klingt nicht nach einem gewaltigen Fortschritt, aber die Berechnungen und die Zeichnungen für die Einzelteile haben viel Zeit erfordert.
Wochenlang habe ich Kartoffeln gegessen. Theoretisch sollte ich, da ich nur Dreiviertelrationen essen wollte, immer noch auf die Vorräte zurückgreifen können. Doch es ist schwer, bei Dreiviertelrationen zu bleiben. Deshalb esse ich jetzt Kartoffeln.
Bis zum Start habe ich genug Proviant und werde nicht verhungern. Aber ich bin die Kartoffeln ziemlich leid. Außerdem haben sie viele Ballaststoffe, und … sagen wir mal, es ist gut, dass ich der einzige Mensch auf dem Planeten bin.
Fünf Rationspackungen habe ich für besondere Anlässe zur Seite gelegt und beschriftet. “Abfahrt” werde ich an dem Tag essen, an dem ich zu Schiaparelli aufbreche. “Halbzeit” ist nach 1600 Kilometern an der Reihe, und “Ankunft”, wenn ich dort eintreffe.
Die vierte Aufschrift lautet: “Etwas überlebt, das mich hätte umbringen sollen”, weil garantiert etwas Schlimmes passieren wird. Ich weiß noch nicht, was es ist, aber passieren wird es. Der Rover wird zusammenbrechen, ich ziehe mir tödliche Hämorrhoiden zu, ich treffe auf feindselige Marsianer oder weiß der Teufel was sonst. Wenn ich so etwas überlebe, verspeise ich dieses Päckchen.
Das fünfte ist für den Tag des Starts reserviert und heißt “Letzte Mahlzeit”.
Vielleicht ist das doch kein so guter Name.
Logbuch: Sol 388
Mein heutiger Tag begann mit einer Kartoffel, die ich mit etwas Marskaffee hinuntergespült habe. So nenne ich heißes Wasser mit einer aufgelösten Koffeinpille. Der echte Kaffee ist mir schon vor Monaten ausgegangen.
Der erste Punkt auf der Tagesordnung war eine sorgfältige Bestandsaufnahme in der Wohnkuppel. Ich musste alles herausholen, was ein Problem mit dem Vakuum haben könnte. Natürlich hat alles in der Wohnkuppel vor ein paar Monaten einen Crashkurs in plötzlichem Druckabfall bekommen, aber dieses Mal ist der Druckabfall kontrolliert, und ich will es richtig machen.
Das Wichtigste ist das Wasser. Als die Wohnkuppel in die Luft flog, sind 300 Liter einfach verdampft. Dazu wird es dieses Mal nicht kommen. Ich habe den Wasseraufbereiter entleert und die Tanks abgedichtet.
Danach ging es nur noch darum, etwas Kram einzusammeln und in die Luftschleuse 3 zu werfen. Alles, was sich meiner Ansicht nach im Beinahe-Vakuum nicht gut machen würde. Alle Stifte, Flaschen mit Vitaminen (vermutlich nicht nötig, aber ich will kein Risiko eingehen), Medikamente und so weiter.
Dann habe ich die Wohnkuppel kontrolliert heruntergefahren. Die kritischen Komponenten sind dafür ausgelegt, das Vakuum zu überstehen. Druckverlust in der Wohnkuppel ist eines der vielen Szenarien, welche die NASA schon vorher durchgespielt hat. Nacheinander legte ich alle Systeme still, ganz zuletzt den Hauptcomputer.
Ich zog den Raumanzug an und pumpte die Luft aus der Wohnkuppel. Beim letzten Mal ist die Plane einfach zusammengebrochen, und es ist ein großes Durcheinander entstanden. Das darf eigentlich nicht passieren. Die Kuppel wird vor allem durch den Luftdruck ausgeformt, aber es gibt im Inneren biegsame Streben, die die Folie stützen. Auf diese Weise wurde die Wohnkuppel am Anfang aufgebaut.
Ich sah zu, wie sich die Plane langsam auf die Stützen senkte. Um zu bestätigen, dass der Druck entwichen war, öffnete ich beide Türen der Luftschleuse 2. Luftschleuse 3 ließ ich in Ruhe, denn dort herrschte ja zum Schutz des empfindlichen Krams noch normaler Druck.
Dann schnitt ich drauflos.
Ich bin kein Materialtechniker, und mein Entwurf für den Schlafraum ist sicher nicht elegant. Einfach nur sechs Quadratmeter plus eine Decke. Nein, es wird keine rechten Winkel und Ecken geben (Druckbehälter mögen so etwas nicht). Vielmehr wird sich das Ding aufblähen wie ein Ballon.
Wie auch immer, ich muss im Grunde nur zwei große Streifen Plane herausschneiden – ein Stück für die Wände und eins für die Decke.
Nachdem ich die Wohnkuppel verstümmelt hatte, zog ich die verbliebene Plane auf den Boden und dichtete die Nähte ab. Haben Sie schon mal ein Zelt aufgebaut? Von innen? Während Sie eine Rüstung getragen haben? Es war eine fürchterliche Schufterei.
Ich baute einen Druck von einem Zwanzigstel der Erdatmosphäre auf, um zu überprüfen, ob meine Konstruktion den Druck hielt.
Haha! Natürlich nicht! Überall waren Lecks. Mit der Zeit fand ich sie alle.
Auf der Erde haften winzige Partikel am Wasser oder lösen sich einfach auf. Auf dem Mars lungern sie weiter herum. Die oberste Sandschicht ist dünn wie Talkum. Mit einem Beutel ging ich nach draußen und zog ihn über die Oberfläche. Dabei nahm ich etwas Sand mit auf, bekam aber auch eine Menge Pulver.
Ich ließ die Wohnkuppel ein Zwanzigstel einer Atmosphäre halten und den Druckverlust ständig nachfüllen. Dann entließ ich eine Staubwolke aus dem Beutel. Die winzigen Partikel wurden schnell zu den Lecks gezogen. Alle, die ich fand, dichtete ich mit Harz ab.
Es dauerte Stunden, aber schließlich war alles dicht. Ich sage Ihnen, die Wohnkuppel sieht jetzt ziemlich heruntergekommen aus. Eine Seite ist niedriger als der Rest. Diesen Bereich kann ich nur noch gebückt betreten.
Ich stellte einen Druck von einer ganzen Atmosphäre her und wartete eine Stunde. Keine Lecks.
Es war ein langer, körperlich anstrengender Tag. Ich bin total erschöpft und kann trotzdem nicht schlafen. Jedes Geräusch macht mir eine Heidenangst. Geht die Wohnkuppel kaputt? Nein? Gut … was war das? Oh, nichts. Na gut …
Es ist schrecklich, dass mein Leben von so einer Pfuscherei abhängt.
Ich genehmige mir eine Schlaftablette aus der Bordapotheke.
Logbuch: Sol 389
Was, zum Teufel, ist in den Schlaftabletten drin? Es ist schon fast Mittag.
Nach zwei Tassen Marskaffee bin ich halbwegs wach. Diese Pillen nehme ich nie wieder. Ich will ja einigermaßen früh aufstehen, auch wenn ich nicht jeden Morgen ausgeschlafen zur Arbeit rennen muss.
Daran, dass ich nicht tot bin, kann man erkennen, dass die Wohnkuppel über Nacht gehalten hat. Meine Versiegelung ist stabil. Unerhört hässlich, aber stabil.
Heute habe ich mich um den Schlafraum gekümmert.
Meinen Schlafraum aufzubauen war erheblich einfacher, als die Wohnkuppel abzudichten. Dieses Mal musste ich keinen EVA-Anzug tragen, weil ich das Ding innerhalb der Wohnkuppel aufgestellt habe. Warum auch nicht? Es ist doch nur Plane. Ich kann das Zeug zusammenrollen und durch die Luftschleuse schleppen, wenn ich fertig bin.
Zuerst waren chirurgische Eingriffe am verbliebenen Wurfzelt nötig. Die Verbindung zur Luftschleuse des Rovers und die umgebende Plane mussten erhalten bleiben. Der Rest der Plane musste verschwinden. Warum ich die Plane abgeschnitten habe, um sie durch noch mehr Plane zu ersetzen? Wegen der Nähte.
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