“Denk nicht darüber nach”, erwiderte Johannsen.
“Deine Mutter macht sich so große Sorgen, dass sie nicht einmal herkommen konnte.”
“Das tut mir leid”, murmelte Johannsen und schlug die Augen nieder.
“Sie kann nicht essen und nicht schlafen, und ihr ist dauernd übel vor Angst. Mir geht es auch nicht viel besser. Wie können sie dich nur zwingen, so etwas zu tun?”
“Sie haben mich nicht gezwungen, Dad. Ich habe mich freiwillig gemeldet.”
“Wie kannst du das nur deiner Mutter antun?”, klagte er.
“Tut mir leid”, murmelte Johannsen. “Watney ist mein Crewkamerad, ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen.”
Er seufzte. “Ich wünschte, wir hätten dich dazu erzogen, ein wenig selbstsüchtiger zu sein.”
Sie kicherte leise.
“Wie bin ich nur in diese Situation gekommen? Ich bin Bezirksvertreter einer Serviettenfabrik. Was hat meine Tochter im Weltraum zu suchen?”
Johannsen zuckte mit den Achseln.
“Du hast dich ja schon immer für die Wissenschaft interessiert”, fuhr er fort. “Das war schön! Du hattest immer gute Noten und warst mit Strebern zusammen, die viel zu viel Angst hatten, irgendetwas Verrücktes zu probieren. Du warst überhaupt nicht wild. Du warst die Tochter, von der jeder Vater träumte.”
“Danke, Dad. Ich …”
“Aber dann hast du dich auf diese riesige Bombe gesetzt, die dich zum Mars geschleudert hat. Das meine ich ganz wörtlich.”
“Technisch gesehen hat mich die Trägerrakete nur bis in die Erdumlaufbahn gebracht. Der nukleare Ionenantrieb hat mich dann zum Mars befördert.”
“Oh, das klingt schon viel besser!”
“Dad, mir wird schon nichts passieren. Sag Mom, dass alles gut ist.”
“Was nützt das? Sie ist außer sich vor Angst, und so wird es auch bleiben, bis du wieder zu Hause bist.”
“Ich weiß”, murmelte Johannsen. “Aber …”
“Was denn? Was ist?”
“Ich werde nicht sterben. Ganz bestimmt nicht. Selbst wenn alles schiefgeht.”
“Wie meinst du das?”
Johannsen runzelte die Stirn. “Sag Mom einfach nur, dass ich nicht sterben werde.”
“Wie meinst du das? Ich verstehe das nicht.”
“Ich will dir jetzt keine Einzelheiten erklären”, wehrte Johannsen ab.
“Hör mal.” Er beugte sich zur Kamera vor. “Ich habe immer deine Privatsphäre und deine Unabhängigkeit respektiert. Nie habe ich versucht, mich in dein Leben einzumischen und dich zu kontrollieren. Das ist mir doch recht gut gelungen, oder?”
“Ja.”
“Also, als Gegenleistung dafür, dass ich mich die ganze Zeit herausgehalten habe, will ich dieses eine Mal nachbohren. Was gibt es, das du mir nicht verrätst?”
Sie schwieg mehrere Sekunden. Schließlich sagte sie: “Sie haben einen Plan.”
“Wer?”
“Sie haben immer einen Plan”, fuhr sie fort. “Sie spielen schon vorher alle Möglichkeiten durch.”
“Was für einen Plan meinst du?”
“Sie haben mich ausgewählt, ich soll überleben. Ich bin die Jüngste. Ich habe die notwendigen Fähigkeiten, um lebend nach Hause zu kommen. Außerdem bin ich die Kleinste und brauche am wenigsten Proviant.”
“Was ist, wenn die Sonde nicht ankommt, Beth?”, fragte ihr Vater.
“Dann sterben alle außer mir”, erklärte sie. “Sie nehmen Pillen und sterben. Das tun sie sofort, damit sie keinen Proviant mehr verbrauchen. Commander Lewis hat mich ausgewählt. Ich soll überleben. Sie hat es mir gestern gesagt. Ich glaube nicht, dass die NASA Bescheid weiß.”
“Und der Proviant reicht, bis du wieder auf der Erde bist?”
“Nein”, antwortete sie. “Wir haben genügend Essen für einen Monat für sechs Leute. Wenn ich allein bin, komme ich sechs Monate aus, und wenn ich mich einschränke, könnte es für neun Monate reichen. Aber es wird siebzehn Monate dauern, bis ich wieder da bin.”
“Wie willst du dann überleben?”
“Der Proviant ist nicht die einzige Nahrungsquelle”, sagte sie.
Er riss die Augen weit auf. “Oh … o mein Gott …”
“Sag Mom einfach nur, dass die Vorräte reichen, ja?”
In der Missionskontrolle in Jiuquan jubelten amerikanische und chinesische Ingenieure wie aus einem Munde.
Auf dem Hauptbildschirm war am Himmel über der kalten Wüste Gobi der Kondensstreifen der Taiyang Shen zu sehen. Der Flugkörper, der für das bloße Auge nicht mehr sichtbar war, flog der Umlaufbahn entgegen. Das ohrenbetäubende Dröhnen des Antriebs verklang in der Ferne zu einem leisen Donnergrollen.
“Ein Bilderbuchstart”, rief Venkat.
“Natürlich”, sagte Zhu Tao.
“Ihr habt euch wirklich für uns eingesetzt, und dafür sind wir sehr dankbar”, fügte Venkat hinzu.
“Natürlich.”
“Und ihr habt einen Platz bei Ares 5. So haben wir alle gewonnen.”
“Hm.”
Venkat warf Zhu Tao einen Seitenblick zu. “Sie scheinen nicht sehr glücklich zu sein.”
“Ich habe vier Jahre an der Taiyang Shen gearbeitet”, entgegnete der Chinese. “Das Gleiche gilt für unzählige andere Forscher, Wissenschaftler und Ingenieure. Wir haben unsere ganze Kraft in die Konstruktion gesteckt, während ich einen ewigen politischen Kleinkrieg um die Finanzierung führen musste. Schließlich haben wir eine schöne Sonde gebaut. Die größte, stabilste unbemannte Sonde der Geschichte. Jetzt liegt sie in einem Lagerhaus und wird niemals fliegen. Der Staatsrat wird keine zweite Trägerrakete wie diese finanzieren.”
Er wandte sich an Venkat. “Sie hätte ein dauerhaftes Symbol für die wissenschaftliche Forschung werden können. Jetzt ist die Rakete ein Lieferfahrzeug. Wir schicken zwar einen chinesischen Astronauten auf den Mars, aber welche wissenschaftlichen Erkenntnisse bringt er schon mit, die nicht auch ein anderer Astronaut gewinnen könnte? Diese Operation ist ein Verlust für das Wissen der Menschheit.”
“Nun ja”, wandte Venkat vorsichtig ein. “Für Mark Watneys Leben ist sie ein großer Gewinn.”
“Hm”, machte Zhu Tao.
“Entfernung einundsechzig Meter, relative Geschwindigkeit zwei Komma drei Meter pro Sekunde”, meldete Johannsen.
“Kein Problem.” Martinez ließ die Bildschirme nicht aus den Augen. Einer übertrug das Bild der Außenkamera vor der Andockstelle A, der andere informierte ihn über die Telemetrie der Sonde.
Lewis schwebte hinter Johannsen und Martinez.
Beck meldete sich über Funk. “Sichtkontakt.” Er stand im Raumanzug in der Luftschleuse 3, seine Magnetstiefel hielten ihn an Ort und Stelle, die Außentür war bereits geöffnet. Das unförmige SAFER-System erlaubte es ihm, sich im Notfall frei im Weltraum zu bewegen. Zusätzlich war er über eine Leine mit einer in der Wand verankerten Seilrolle gesichert.
“Vogel”, sagte Lewis ins Headset, “sind Sie in Position?”
Vogel stand in der Luftschleuse 2, in der noch normaler Druck herrschte. Bis auf den Helm trug er ebenfalls einen vollständigen Raumanzug. “Ja, bin in Position und bereit”, meldete er. Er war der für den Notfall vorgesehene Retter, falls Beck Hilfe benötigte.
“Alles klar, Martinez”, sagte Lewis. “Holen Sie das Ding herein.”
“Entfernung dreiundvierzig Meter, Geschwindigkeit zwei Komma drei Meter pro Sekunde”, rief Johannsen.
“Alle Werte sind in Ordnung”, ergänzte Martinez.
“Die Sonde rotiert leicht”, warnte Johannsen. “Relative Rotationsgeschwindigkeit beträgt null Komma null fünf Umdrehungen pro Sekunde.”
“Alles unter null Komma drei ist in Ordnung”, beruhigte Martinez sie. “Das kann die Fangvorrichtung kompensieren.”
“Die Sonde ist in Reichweite zur manuellen Bergung”, meldete Beck.
“Verstanden”, antwortete Lewis.
“Entfernung zweiundzwanzig Meter, Geschwindigkeit zwei Komma drei Meter pro Sekunde”, sagte Johannsen. “Der Winkel ist gut.”
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