Guo Ming lachte. “Sie dürfen das sagen”, erwiderte er. “Ich nicht.”
“Erklär mir das noch mal”, verlangte Becks Schwester Amy. “Warum musst du eine EVA machen?”
“Wahrscheinlich ist das gar nicht nötig”, antwortete Beck. “Ich muss nur darauf vorbereitet sein.”
“Warum denn?”
“Für den Fall, dass die Sonde nicht bei uns andocken kann. Wenn etwas schiefgeht, ist es meine Aufgabe, auszusteigen und sie zu packen.”
“Könnt ihr nicht mit der Hermes hinfliegen, um anzudocken?”
“Keinesfalls”, entgegnete Beck. “Die Hermes ist riesig und nicht dazu gedacht, präzise Manöver durchzuführen.”
“Und warum musst ausgerechnet du das machen?”
“Weil ich der EVA-Spezialist bin.”
“Aber ich dachte, du bist der Arzt.”
“Das bin ich auch”, bestätigte Beck. “Jeder übernimmt hier mehrere Rollen. Ich bin Arzt, Biologe und EVA-Spezialist. Commander Lewis ist Geologin. Johannsen ist Sysop und Reaktortechnikerin. Und so weiter.”
“Was ist mit dem gut aussehenden Typ … Martinez?”, fragte Amy. “Was macht er?”
“Er steuert MLM und MRM”, erklärte Beck. “Außerdem ist er verheiratet und hat ein Kind, du lüsterne Ehebrecherin.”
“Ah, na gut. Und Watney? Was hat er gemacht?”
“Er ist unser Botaniker und Ingenieur. Aber rede nicht in der Vergangenheitsform von ihm.”
“Ingenieur? Wie Scotty?”
“Sozusagen”, antwortete Beck. “Er repariert kaputte Sachen.”
“Ich möchte wetten, dass ihm das jetzt sehr gelegen kommt.”
“Das kannst du laut sagen.”
Die Chinesen hatten den Amerikanern einen kleinen Konferenzraum zur Verfügung gestellt, in dem sie arbeiten konnten. Nach den Maßstäben, die sonst in Jiuquan galten, war der Raum geradezu luxuriös. Venkat war gerade mit Budgetplanungen beschäftigt und dankbar für die Störung, als Mitch hereinkam.
“Diese chinesischen Nerds sind ein verrückter Haufen.” Mitch ließ sich auf einen Stuhl fallen. “Aber sie bauen eine anständige Trägerrakete.”
“Schön”, sagte Venkat. “Wie funktioniert die Verbindung zwischen der Trägerrakete und unserer Sonde?”
“Sieht gut aus”, berichtete Mitch. “Das JPL hat sich akribisch an die Vorgaben gehalten. Es passt wie ein Handschuh.”
“Gibt es Bedenken oder Vorbehalte?”, wollte Venkat wissen.
“Ja. Ich mache mir Sorgen um das, was ich gestern gegessen habe. Ich glaube, da war ein Augapfel dabei.”
“Ich bin sicher, dass es keiner war.”
“Die Ingenieure haben die Schüssel eigens für mich hergerichtet”, beharrte Mitch.
“Vielleicht war doch ein Augapfel drin”, überlegte Venkat. “Ich glaube, die hassen Sie.”
“Warum?”
“Weil Sie ein Arsch sind, Mitch”, erklärte Venkat. “Da können Sie fragen, wen Sie wollen.”
“Na gut. Solange nur die Sonde zur Hermes gelangt, können die mich mal.”
“Wink doch mal Daddy zu!” Marissa hob Davids Arm und schlenkerte vor der Kamera mit der Hand des Kindes. “Wink mal deinem Daddy!”
“Er ist zu klein und versteht noch nicht, was hier vorgeht”, wandte Martinez ein.
“Stell dir nur vor, was er später auf dem Spielplatz erzählen kann”, sagte sie. “›Mein Dad ist zum Mars geflogen. Was hat deiner gemacht?‹”
“Ja, ich bin ein Wahnsinnstyp”, stimmte er zu.
Marissa wedelte weiter mit Davids Hand. David interessierte sich dagegen viel mehr für den Finger der anderen Hand, mit dem er konzentriert in der Nase bohrte.
“Also bist du sauer”, sagte Martinez.
“Merkst du das?”, fragte Marissa. “Ich wollte es verbergen.”
“Wir sind zusammen, seit wir fünfzehn geworden sind. Ich spüre es, wenn du sauer bist.”
“Du hast dich freiwillig dazu gemeldet, die Mission um fünfhundertdreiunddreißig Tage zu verlängern”, klagte sie. “Du Arschloch.”
“Ja”, stimmte Martinez zu. “Ich dachte mir schon, dass dies der Grund ist.”
“Dein Sohn ist im Kindergarten, wenn du zurückkommst. Er hat dann keine Erinnerungen mehr an dich.”
“Ja, ich weiß”, sagte Martinez.
“Und ich muss noch mal fünfhundertdreiunddreißig Tage warten, bis jemand mit mir ins Bett geht.”
“Ich auch”, gab er zu bedenken.
“Die ganze Zeit mache ich mir Sorgen”, fügte sie hinzu.
“Ja”, räumte er ein. “Es tut mir leid.”
Sie holte tief Luft. “Wir schaffen das schon.”
“Wir schaffen das”, stimmte er zu.
“Willkommen beim Mark Watney Report von CNN. Heute ist Venkat Kapoor, der Direktor der Marsoperationen, bei uns zu Gast. Er ist über Satellit aus China zugeschaltet. Dr. Kapoor, danke, dass Sie auf diesem Weg bei uns sein können.”
“Keine Ursache”, antwortete Venkat.
“Nun, Dr. Kapoor, könnten Sie uns etwas über die Taiyang Shen erzählen? Warum müssen Sie nach China reisen, um eine Sonde zu starten? Warum können Sie das nicht von den USA aus tun?”
“Die Hermes schlägt keine Umlaufbahn um die Erde ein”, erklärte Venkat. “Sie fliegt auf dem Weg zum Mars nur vorbei, und ihre Geschwindigkeit ist extrem hoch. Wir brauchen eine Trägerrakete, die nicht nur der Schwerkraft der Erde entkommen kann, sondern außerdem fähig ist, bis auf die gegenwärtige Geschwindigkeit der Hermes zu beschleunigen. Nur die Taiyang Shen hat genügend Schubkraft, um dies zu leisten.”
“Was können Sie uns über die Sonde selbst sagen?”
“Wir haben sie in großer Eile konstruiert”, berichtete Venkat. “Das JPL hatte nur dreißig Tage für den Zusammenbau. Dabei mussten wir gleichermaßen auf Sicherheit wie auf Effizienz achten. Im Grunde ist es nur ein Gehäuse voller Proviant und anderer Vorräte. Zum Manövrieren verfügt sie über ganz normale Antriebsdüsen, aber das war es auch schon.”
“Und das reicht aus, um zur Hermes zu fliegen?”
“Die Taiyang Shen wird die Sonde zur Hermes bringen. Die Düsen werden lediglich für die Feinabstimmung und beim Andocken benutzt. Das JPL hatte keine Zeit, ein Leitsystem zu entwickeln, deshalb wird die Sonde von einem Piloten ferngesteuert.”
“Wer übernimmt diese Aufgabe?”, fragte Cathy.
“Das ist die Aufgabe von Major Rick Martinez, dem Piloten von Ares 3. Sobald sich die Sonde der Hermes nähert, übernimmt er die Steuerung und führt sie zur Andockbucht.”
“Und wenn es ein Problem gibt?”
“Auf der Hermes wird der EVA-Spezialist Dr. Chris Beck die ganze Zeit im Raumanzug bereitstehen. Wenn nötig, packt er die Sonde buchstäblich mit beiden Händen und zieht sie an die Andockstelle heran.”
“Das klingt ein wenig unwissenschaftlich”, meinte Cathy lachend.
“Wollen Sie die unwissenschaftliche Version hören?”, erwiderte Venkat lächelnd. “Wenn die Sonde aus irgendeinem Grund nicht andocken kann, öffnet Beck den Frachtbehälter und bringt den Inhalt persönlich in die Luftschleuse.”
“Als würde er Einkäufe nach Hause bringen?”, hakte Cathy nach.
“Ganz genau”, bestätigte Venkat. “Wir schätzen, dass er es in vier Sprüngen hin und her schaffen kann. Aber das gilt nur für den Notfall. Wir rechnen nicht mit Problemen beim Andockvorgang.”
“Das klingt, als hätten Sie alles Wichtige bedacht”, meinte Cathy lächelnd.
“Das müssen wir auch”, bekräftigte Venkat. “Wenn sie den Proviant nicht bekommen … nun ja, sie brauchen ihn dringend.”
“Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten”, sagte Cathy.
“Es war mir wie immer ein Vergnügen, Cathy.”
Johannsens Vater rutschte auf dem Stuhl hin und her und wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich zückte er ein Taschentuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn ab.
“Und wenn euch die Sonde nun nicht erreicht?”, fragte er.
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