Nach meinem heutigen Tagwerk habe ich etwa ein Viertel des gesamten Schnitts vollendet – oder vielmehr, ich habe ein Viertel der Bohrungen geschafft. Anschließend muss ich noch 759 kleine Stege mit dem Meißel entfernen. Ich bin nicht sicher, wie das Kohlenstoffverbundmaterial darauf reagiert, aber die NASA probiert es tausendmal auf der Erde und sagt mir dann, wie ich das am besten erledigen kann.
Bei diesem Tempo wird es noch einmal vier Marstage voller langweiliger Arbeit dauern, bis die Bohrerei erledigt ist.
Inzwischen ist Lewis’ Vorrat an erbärmlichen Serien der Siebzigerjahre erschöpft. Außerdem habe ich Johannsens Krimis gelesen.
Ich habe schon die Sachen der anderen Crewmitglieder durchsucht, um Unterhaltungsangebote zu finden. Vogels Zeug ist leider in deutscher Sprache, Beck hat nichts außer medizinischen Fachzeitschriften dabei, und Martinez hat überhaupt nichts mitgebracht.
Mir ist wirklich langweilig, und deshalb habe ich beschlossen, mir einen Titelsong auszusuchen.
Etwas Passendes. Natürlich muss es etwas aus Lewis’ grässlicher Sammlung aus den Siebzigern sein. Alles andere wäre falsch.
Es gibt viele gute Kandidaten: “Life on Mars?” von David Bowie, “Rocket Man” von Elton John, “Alone Again (Naturally)” von Gilbert O’Sullivan.
Schließlich habe ich mich für “Stayin’ Alive” von den Bee Gees entschieden.
Logbuch: Sol 195
Ein neuer Tag, ein neuer Haufen Löcher. Dieses Mal waren es 145 (ich bekomme Routine). Die Hälfte ist geschafft. Es nervt.
Aber wenigstens bekomme ich von Venkat aufmunternde Botschaften.
[17:12] WATNEY: Heute sind es 145 Löcher, insgesamt 357.
[17:31] JPL: Wir dachten, Sie hätten inzwischen schon mehr geschafft.
So ein Arsch.
Wie auch immer, abends habe ich Langeweile. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Mit der Wohnkuppel ist alles in Ordnung, es gibt einen Plan, um mich zu retten, und die körperliche Arbeit lässt mich wunderbar schlafen.
Ich vermisse es, die Kartoffeln zu pflegen. Ohne sie ist die Wohnkuppel nicht mehr das, was sie mal war.
Der Mutterboden liegt noch überall herum. Es wäre sinnlos, ihn nach draußen zu schaffen. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, habe ich einige Tests durchgeführt. Erstaunlicherweise haben einige Bakterien überlebt. Sie wachsen und breiten sich aus. Das ist recht beeindruckend, wenn man bedenkt, dass sie mehr als 24 Stunden lang einem Beinahe-Vakuum und subarktischen Temperaturen ausgesetzt waren.
Ich nehme an, einige Bakterien wurden von Eiskapseln eingeschlossen, sodass drinnen ein Druck erhalten blieb, bei dem sie überleben konnten, und die Kälte war anscheinend nicht schlimm genug, um sie zu töten. Unter den Hunderten Millionen von Bakterien muss nur ein einziges Exemplar überleben, damit sie nicht ausgerottet werden.
Das Leben ist erstaunlich zäh. Ich will so wenig sterben wie sie.
Logbuch: Sol 196
Ich habe Mist gebaut.
Ich habe einen gewaltigen Mist gebaut. Ich habe einen Fehler gemacht, der mich umbringen kann.
Etwa um 08:45 Uhr begann ich wie immer meine EVA. Ich holte den Hammer und den Schraubenzieher und setzte die Markierungen auf die Hülle des Anhängers. Es ist lästig, vor jedem Bohren die Kerbe zu setzen, deshalb brachte ich alle Dellen für einen Tag auf einmal an.
Nachdem ich 150 Dellen erzeugt hatte (ich bin eben ein unverbesserlicher Optimist), machte ich mich an die Arbeit.
Es lief so wie gestern und vorgestern. Durchbohren, den Bohrer neu ansetzen. Durchbohren, neu ansetzen. Ein drittes Mal durchbohren und den Bohrer weglegen, damit er abkühlen kann. Den Vorgang bis zur Mittagszeit wiederholen.
Um 12:00 Uhr legte ich eine Pause ein. In der Wohnkuppel nahm ich eine ordentliche Mahlzeit zu mir und spielte etwas Schach gegen den Computer (er hat mich vernichtend geschlagen). Dann ging ich wieder hinaus und unternahm die zweite EVA des Tages.
Um 13:30 Uhr geschah die Katastrophe, auch wenn ich sie nicht sofort als das erkannte, was sie war.
Den schlimmsten Momenten im Leben gehen manchmal kleine Beobachtungen voraus. Der winzige Knoten in der Seite, der vorher nicht da war. Die Rückkehr nach Hause zur Ehefrau und die beiden Weingläser in der Spüle. Die Ansage im Radio: “Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Meldung …”
Für mich war die kleine Beobachtung die Tatsache, dass der Bohrer nicht ansprang.
Nur drei Minuten zuvor hatte er einwandfrei funktioniert. Ich hatte ein Loch gebohrt und ihn genau wie immer zum Abkühlen weggestellt.
Als ich weiterarbeiten wollte, war er tot. Nicht einmal das Lämpchen für die Stromversorgung brannte.
Ich machte mir keine Sorgen. Im Notfall hatte ich noch einen zweiten Bohrer. Es würde ein paar Stunden dauern, ihn umzurüsten, aber das war kein Problem.
Die dunkle Stromlampe bedeutete, dass möglicherweise mit dem Kabel etwas nicht stimmte. Ein rascher Blick zum Fenster der Luftschleuse zeigte mir, dass in der Wohnkuppel Licht brannte. Also war es kein Totalausfall. Ich überprüfte meine neuen Sicherungen, und tatsächlich hatten alle drei ausgelöst.
Vermutlich hatte der Bohrer doch ein wenig zu viel Strom gezogen. Das war kein Problem. Ich setzte die Sicherungen zurück und machte mich wieder an die Arbeit. Der Bohrer startete sofort, und ich bohrte die nächsten Löcher.
Das war doch wirklich keine große Sache, oder? Jedenfalls dachte ich das in diesem Moment.
Um 17:00 Uhr beendete ich mein Tagwerk, nachdem ich 131 Löcher gebohrt hatte. Nicht so gut wie gestern, aber durch die Fehlfunktion des Bohrers hatte ich etwas Zeit verloren.
Ich meldete meine Fortschritte nach Houston.
[17:08] WATNEY: Heute 131 Löcher gebohrt, insgesamt 488. Kleines Problem mit dem Bohrer, Sicherungen haben ausgelöst. Vielleicht ein Wackelkontakt in der Bohrmaschine, möglicherweise an der Verbindung zum Stromkabel. Eventuell muss ich den Anschluss überarbeiten.
Erde und Mars sind jetzt gerade 18 Lichtminuten voneinander entfernt. Normalerweise antwortet die NASA binnen 25 Minuten. Ich muss ja nach wie vor meine gesamte Kommunikation über Rover 2 abwickeln, der seinerseits die Meldungen über Pathfinder weiterreicht. Ich kann nicht in der Wohnkuppel herumhängen und auf Antworten warten, sondern muss im Rover bleiben, bis die Botschaft quittiert ist.
[17:38] WATNEY: Keine Antwort erhalten. Letzte Nachricht vor 30 Minuten geschickt. Bitte Rückmeldung.
Ich wartete noch einmal 30 Minuten. Immer noch keine Antwort. Allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun.
Als die Computerfreaks vom JPL den Rover und den Pathfinder gehackt hatten, um mir ein primitives Chatprogramm zur Verfügung zu stellen, hatten sie mir ein Merkblatt zur Beseitigung von Störungen mitgegeben. Ich führte die erste Anweisung aus:
[18:09] WATNEY: system–command: STATUS
[18:09] SYSTEM: Letzte Nachricht gesendet vor 00h31m. Letzte Nachricht empfangen vor 26h17m. Letzter Ping von Sonde empfangen vor 04h24m. WARNUNG: 52 unbeantwortete Pings.
Pathfinder sprach nicht mehr mit dem Rover. Seit vier Stunden und 24 Minuten hatte die Sonde nicht mehr auf die Kontaktversuche des Rovers reagiert. Ich rechnete kurz nach und stellte fest, dass die Verbindung um 13:30 Uhr abgebrochen war.
Das war der Moment, in dem der Bohrer ausgefallen war.
Ich unterdrückte die aufkeimende Panik. Auf der Entstörliste standen mehrere Dinge, die ich versuchen konnte, wenn die Kommunikation unterbrochen war. Der Reihe nach lauteten die Anweisungen:
1. Festellen, dass Pathfinder mit Strom versorgt wird.
2. Rover rebooten.
3. Pathfinder durch Unterbrechen und Herstellen der Stromversorgung rebooten.
4. Comm-Software des Rovers im Computer des anderen Rovers installieren, von dort aus versuchen.
5. Falls beide Rover nicht funktionieren, liegt das Problem wahrscheinlich bei Pathfinder. Kontakte besonders gründlich überprüfen. Pathfinder von Marsstaub befreien.
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