“Nach dem angeblichen Trick.” Mitch hob einen Zeigefinger. “Ich nehme an, Annie wird den Medien erklären, dass wir beschlossen haben, dieses riskante Manöver durchzuführen? Und den Teil über die Meuterei weglassen?”
“Selbstverständlich”, sagte Teddy. “Sonst stehen wir doch wie Idioten da.”
“Ich vermute, dann sind wir alle aus dem Schneider.” Mitch lächelte. “Wir können ja niemanden feuern, weil er die Entscheidungen der NASA umsetzt. Sogar Lewis geht es jetzt gut. Welche Meuterei? Und vielleicht überlebt Watney sogar. Alle sind glücklich.”
“Sie haben möglicherweise die ganze Crew umgebracht”, konterte Teddy. “Schon mal daran gedacht?”
“Wer ihnen das Manöver auch übermittelt hat, er hat nur Informationen weitergegeben”, erklärte Mitch. “Lewis hat entschieden, entsprechend zu handeln. Würde sie ihr Urteil durch Emotionen trüben lassen, dann wäre sie eine schlechte Kommandantin. Und das ist sie ganz bestimmt nicht.”
“Wenn ich jemals beweisen kann, dass Sie es waren, finde ich einen Weg, Sie zu feuern”, warnte Teddy ihn.
“Aber klar.” Mitch zuckte mit den Achseln. “Aber wäre ich nicht bereit, etwas zu riskieren, um Leben zu retten, dann …” Er überlegte kurz. “Dann wäre ich vermutlich so wie Sie.”
17
Logbuch: Sol 192
Heilige Scheiße!
Sie kommen zurück und holen mich ab!
Ich weiß nicht mal, was ich dazu sagen soll. Ich habe einen Kloß im Hals.
Und ich habe einen Riesenberg Arbeit vor mir, ehe ich in den Bus nach Hause steigen kann.
Sie können nicht in eine Umlaufbahn einschwenken. Falls ich nicht im Weltraum bin, wenn sie vorbeikommen, können sie mir nur noch zuwinken.
Ich muss zum MRM von Ares 4 fahren. Das sagt auch die NASA, und wenn die Kindermädchen bei der NASA eine Fahrt von 3200 Kilometern über den Mars empfehlen, dann weiß man, dass man in Schwierigkeiten steckt.
Schiaparelli, ich komme!
Na ja, nicht sofort. Zuerst muss ich den schon erwähnten Riesenhaufen Arbeit erledigen.
Meine Fahrt zum Pathfinder war, verglichen mit der gewaltigen Reise, die mir nun bevorsteht, eine kleine Spritztour. Ich konnte mir viele Nachlässigkeiten erlauben, weil ich nur 18 Marstage überleben musste. Dieses Mal sieht die Sache anders aus.
Auf der Fahrt zum Pathfinder habe ich im Durchschnitt 80 Kilometer am Tag geschafft. Wenn es auf der Fahrt nach Schiaparelli genauso gut läuft, dauert die Reise 40 Marstage. Sagen wir 50, um auf Nummer sicher zu gehen.
Aber mit der Fahrt allein ist es nicht getan. Wenn ich dort bin, muss ich ein Lager aufschlagen und am MRM eine Menge Umbauten vornehmen. Die NASA schätzt, dass ich damit 30 Marstage beschäftigt bin, und um sicherzugehen, rechnen wir mit 45. Fahrt und Umbauten dauern also allein schon 95 Marstage. Rechnen wir lieber mit 100 Marstagen, weil die Zahl 95 danach schreit, aufgerundet zu werden.
Also muss ich 100 Marstage ohne Wohnkuppel überleben.
“Was ist mit dem MRM?”, höre ich Sie schon in meinem Fieberwahn fragen. “Sind dort nicht Vorräte eingelagert? Wenigstens Luft und Wasser?”
Nein. Es hat rein gar nichts dabei.
Es besitzt zwar Lufttanks, aber die sind leer. Eine Ares-Mission braucht sowieso jede Menge O2, N2 und Wasser. Warum sollte man mit dem MRM noch etwas hinschicken? Es ist einfacher, wenn die Crew das MRM aus der Wohnkuppel auffüllt. Zum Glück für meine Kameraden sah der Missionsplan vor, dass Martinez unser MRM gleich am ersten Tag auffüllte.
Das Fly-by-Manöver wird an Sol 549 stattfinden, also muss ich an Sol 449 aufbrechen. Damit habe ich noch 257 Marstage, um mich vorzubereiten.
Das klingt nach einer langen Zeit, oder?
In dieser Zeitspanne muss ich allerdings den Rover umbauen, damit er “die Großen Drei” tragen kann: den Atmosphäreregler, den Oxygenator und den Wasseraufbereiter. Alle drei müssen sich in einem unter Druck stehenden Bereich befinden, doch der Rover ist dafür nicht groß genug. Alle drei müssen ständig laufen, aber die Batterien des Rovers können nicht genügend Strom liefern.
Außerdem muss der Rover meinen Proviant, das Wasser und die Solarzellen, meine zusätzliche Batterie, Werkzeug, ein paar Ersatzteile und den Pathfinder transportieren. Die Sonde ist meine einzige Verbindung zur NASA, und deshalb wird Pathfinder auf dem Dach fixiert.
Ich muss eine Menge Probleme lösen, aber ich habe viele kluge Leute, die mir dabei helfen. Im Grunde sogar die ganze Erde.
Die NASA erarbeitet noch die Einzelheiten, aber im Grunde läuft es darauf hinaus, beide Rover zu benutzen. Mit einem fahre ich, der zweite ist mein Lastenanhänger.
Diesen Anhänger muss ich erst einmal umbauen. “Umbauen” heißt in diesem Fall: Ich muss ein großes Loch in die Außenverkleidung schneiden. Dann kann ich die Großen Drei hineinschieben und das Loch mit Wohnkuppelplane locker bedecken. Die Plane wird sich wie ein Ballon aufblähen, sobald ich den Rover unter Druck setze, aber es wird halten. Wie ich in die Außenverkleidung des Rovers ein großes Loch schneiden will? Das lasse ich lieber meinen freundlichen Assistenten Venkat Kapoor erklären:
[14:38] JPL: Sie fragen sich sicher schon, wie Sie ein Loch in den Rover schneiden können.
Unsere Experimente zeigen, dass ein Bohrer zur Entnahme von Gesteinsproben die Verkleidung durchdringen kann. Die Bohrspitze wird dabei kaum beansprucht, weil Felsen härter sind als das Kohlenstoff-Kompositmaterial. Sie können die Löcher nebeneinander bohren und die verbliebenen Stege dazwischen mit dem Meißel entfernen.
Ich hoffe, Sie bohren gern. Der Bohrer ist 1 cm dick, die Löcher haben einen Abstand von 0,5 cm. Die Länge des gesamten Schnitts beträgt 11,4 m. Das sind 760 Löcher, und ein Loch zu bohren dauert 160 Sekunden.
Das Problem dabei: Die Bohrmaschinen sind nicht für Konstruktionsprojekte ausgelegt. Sie sind dazu gedacht, schnell ein paar Bodenproben zu nehmen. Die Batterien halten nur 240 Sekunden. Sie haben zwar zwei Bohrmaschinen, aber Sie können nur 3 Löcher bohren, ehe Sie nachladen müssen, und das Aufladen dauert 41 Minuten.
Das sind 173 Stunden Arbeit, die auf 8 EVA-Stunden pro Tag aufgeteilt werden müssen. Also müssten Sie 21 Tage bohren. Das dauert einfach zu lange. Alle unsere Ideen hängen davon ab, dass Sie das Loch schneiden können. Wenn das nicht klappt, brauchen wir Zeit, um uns etwas Neues zu überlegen.
Wir möchten, dass Sie den Bohrer direkt mit der Stromversorgung der Wohnkuppel verbinden.
Der Bohrer braucht 28,8 V und zieht 9 Ampere. Die einzigen Kabel, die das leisten können, sind die Ladekabel der Rover. Dort liegen 36 V und maximal 10 Ampere an. Da Sie zwei davon haben, können Sie eines umrüsten.
Wir schicken Ihnen eine Anleitung, wie Sie die Spannung senken und eine neue Sicherung in die Leitung einbauen können, aber vermutlich wissen Sie schon selbst, wie das geht.
Morgen spiele ich mit Starkstrom herum. Undenkbar, dass dabei irgendetwas schiefgehen könnte.
Logbuch: Sol 193
Ich habe es geschafft, mich heute nicht selbst umzubringen, obwohl ich mit hohen Stromstärken gearbeitet habe. Nun ja, ganz so aufregend ist das nicht. Ich habe das Kabel zuerst vom Netz getrennt.
Wie es in den Anweisungen vorgegeben war, habe ich ein Ladekabel des Rovers in die Stromversorgung des Bohrers verwandelt. Die Spannung konnte ich einfach durch den Einbau von Widerständen senken, von denen es genügend in meinem Elektronikbaukasten gibt.
Die Neunamperesicherung musste ich selbst basteln. Ich schaltete drei Dreiamperesicherungen parallel. Da kommen keinesfalls neun Ampere durch, ohne alle drei Sicherungen schnell nacheinander zu zerlegen.
Dann musste ich den Bohrer neu verdrahten. Ungefähr das Gleiche hatte ich schon mit dem Pathfinder getan. Ich nahm die Batterie heraus und ersetzte sie durch das Stromkabel aus der Wohnkuppel. Dieses Mal war es allerdings erheblich einfacher.
Читать дальше