“Ich bin dabei”, sagte Martinez lächelnd.
“Immer mit der Ruhe, Cowboy”, dämpfte Lewis seine Begeisterung. “Sie und ich sind Militärangehörige. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir nach der Rückkehr vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Was die anderen angeht – ich kann Ihnen garantieren, dass man Sie nie wieder auf eine Mission schicken wird.”
Martinez lehnte sich an die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste in sich hinein. Die anderen dachten schweigend über die Worte ihrer Kommandantin nach.
“Wenn wir es tun”, überlegte Vogel, “dann sind wir insgesamt mehr als tausend Tage im Weltraum. Das ist mehr als genug für ein Menschenleben. Ich muss das nicht noch einmal machen.”
“Also ist Vogel wohl dabei”, grinste Martinez. “Ich sowieso.”
“Lassen Sie es uns tun”, erklärte Beck.
“Wenn Sie glauben, dass es klappt”, sagte Johannsen zu Lewis, “dann vertraue ich Ihnen.”
“Gut”, antwortete Lewis. “Was müssen wir berücksichtigen, wenn wir es tun?”
Vogel zuckte mit den Achseln. “Ich berechne den Kurs und lasse ihn ausführen”, antwortete er. “Was sonst?”
“Die Vorrangschaltung der Fernsteuerung”, gab Johannsen zu bedenken. “Sie kann das Schiff zurückholen, selbst wenn wir alle tot sind oder so. Sie können die Hermes von Mission Control aus übernehmen.”
“Aber wir sind hier”, antwortete Lewis. “Wir können aufheben, was immer sie tun, oder etwa nicht?”
“Nicht unbedingt”, widersprach Johannsen. “Die Fernsteuerung hat Vorrang vor allen Steuerungen an Bord. Dabei geht man davon aus, dass es eine Katastrophe gegeben hat und die Steuerpulte des Schiffs nicht mehr zuverlässig arbeiten.”
“Können Sie das abschalten?”, fragte Lewis.
“Hm …”, überlegte Johannsen. “Die Hermes hat vier redundante Flugcomputer, die mit drei redundanten Comm-Systemen verbunden sind. Wenn einer der Computer ein Signal von irgendeinem Comm-System bekommt, übernimmt Mission Control das Schiff. Die Comm-Systeme können wir nicht abschalten, weil wir sonst die Telemetrie und Navigation verlieren würden. Die Computer können wir auch nicht abschalten, weil wir sie brauchen, um das Schiff zu steuern. Ich muss in jedem System die Fernsteuerung einzeln abschalten. Sie ist ein Teil des Betriebssystems. Ich muss mir den Code ansehen … ja, ich kann das tun.”
“Sind Sie sicher?”, fragte Lewis. “Können Sie das bestimmt ausschalten?”
“Es dürfte nicht schwer sein”, antwortete Johannsen. “Es ist eine Funktion für den Notfall, kein Sicherheitsprogramm. Es ist nicht gegen bösartigen Code geschützt.”
“Bösartiger Code?” Beck lächelte. “Dann werden Sie jetzt zum Hacker?”
“Ja.” Johannsen erwiderte sein Lächeln. “Ich glaube schon.”
“Also gut”, sagte Lewis. “Es sieht so aus, als könnten wir das schaffen. Ich will aber nicht, dass jemand sich durch die Gruppe gezwungen fühlt. Wir warten vierundzwanzig Stunden. Das ist genug Zeit, um es sich noch einmal anders zu überlegen. Sprechen Sie mich unter vier Augen an oder schicken Sie mir eine E-Mail. Ich blase dann die Sache ab und verrate niemandem, wer es war.”
Lewis blieb, als die anderen hinausgingen. Sie sah ihnen nach und bemerkte, dass sie lächelten. Alle vier. Zum ersten Mal, seit sie den Mars verlassen hatten, waren sie wieder ganz und gar die Alten. Sie wusste sofort, dass es sich niemand anders überlegen würde.
Sie wollten zurück zum Mars.
Jeder wusste, dass Brendan Hutch bald die Missionen leiten würde.
In den Reihen der NASA war er so schnell aufgestiegen, wie es in dieser großen und trägen Organisation überhaupt möglich war. Er galt als fleißiger Arbeiter, und seine Fähigkeiten und Führungsqualitäten waren für alle seine Untergebenen offensichtlich.
Brendan leitete Mission Control von ein Uhr nachts bis neun Uhr morgens. Wenn er sich auf diesem Posten weiterhin bewährte, konnte er mit einer Beförderung rechnen. Längst war entschieden, dass er für Ares 4 als stellvertretender Flugleiter arbeiten sollte, und es war gut möglich, dass er bei Ares 5 die Leitung selbst übernehmen würde.
“Flugleitung, hier ist CAPCOM”, hörte er eine Stimme im Kopfhörer.
“Sprechen Sie, CAPCOM”, antwortete Brendan. Sie befanden sich in ein und demselben Raum, hielten sich aber trotzdem jederzeit an die Funkdisziplin.
“Außerplanmäßiger Statusbericht von der Hermes.”
Da die Hermes noch 90 Lichtsekunden entfernt war, kamen direkte Sprechverbindungen nicht infrage. Abgesehen von Beiträgen für die Medien lief der Austausch über Textnachrichten, bis das Schiff erheblich näher war.
“Roger”, antwortete Brendan. “Lesen Sie es mir vor.”
“Ich … ich verstehe das nicht, Flugleitung”, lautete die Antwort. “Es ist eigentlich keine richtige Statusmeldung, sondern nur ein einziger Satz.”
“Wie lautet er denn?”
“Die Nachricht lautet: ›Houston, zu Ihrer Information: Rich Purnell wird es schon richten‹.”
“Was?”, fragte Brendan. “Wer, zum Teufel, ist Rich Purnell?”
“Flugleitung, Telemetrie hier”, schaltete sich eine neue Stimme ein.
“Sprechen Sie, Telemetrie”, antwortete Brendan.
“Die Hermes weicht vom Kurs ab.”
“CAPCOM, informieren Sie die Hermes über die Abweichung. Telemetrie, berechnen Sie einen Korrekturschub …”
“Negativ, Flugleitung”, unterbrach ihn die Telemetrie. “Das ist keine zufällige Abweichung. Sie haben eine gezielte Anpassung vorgenommen. Die Daten der Instrumente besagen, dass sie das Schiff um genau 27,812 Grad gedreht haben.”
“Was, zum Teufel, soll das denn?”, stammelte Brendan. “CAPCOM, fragen Sie die Hermes, was das soll.”
“Roger, Flugleitung. Nachricht ist raus. Antwort trifft in frühestens drei Minuten und vier Sekunden ein.”
“Telemetrie, besteht die Möglichkeit, dass die Instrumente falsche Werte liefern?”
“Negativ, Flugkontrolle. Wir überwachen sie mit SatCon. Die beobachtete Position entspricht dem Kurswechsel.”
“CAPCOM, lesen Sie in den Logfiles nach und überprüfen Sie, was in der letzten Schicht passiert ist. Finden Sie heraus, ob eine drastische Kursänderung angeordnet wurde, und warum uns niemand Bescheid gegeben hat.”
“Roger, Flugleitung.”
“Navigation, hier Flugkontrolle”, fuhr Brendan fort.
“Berechnen Sie, wie lange sie auf diesem Kurs bleiben können, ehe er unumkehrbar wird. Von welchem Punkt an sind sie nicht mehr fähig, die Erde zu erreichen?”
“Wir arbeiten daran, Flugleitung.”
“Und irgendjemand muss herausfinden, wer, zum Teufel, Rich Purnell ist!”
Mitch ließ sich in Teddys Büro auf das Sofa fallen, legte die Füße auf den Beistelltisch und lächelte den Vorgesetzten an. “Sie wollten mich sprechen?”
“Warum haben Sie das getan, Mitch?”, fragte Teddy.
“Was denn?”
“Sie wissen ganz genau, worüber ich rede.”
“Oh, meinen Sie die Meuterei auf der Hermes?”, antwortete Mitch unschuldig. “Das wäre übrigens ein schöner Filmtitel. Die Meuterei auf der Hermes. Klingt nett.”
“Wir wissen, dass Sie es getan haben”, sagte Teddy streng. “Wir wissen nur noch nicht genau wie. Aber wir wissen, dass Sie ihnen das Manöver geschickt haben.”
“Also haben Sie keinen Beweis.”
Teddy funkelte ihn an. “Nein. Noch nicht. Aber wir arbeiten daran.”
“Wirklich?”, fragte Mitch. “Ist das wirklich die beste Art und Weise, Ihre Zeit einzusetzen? Ich meine, wir müssen eine Versorgungslieferung in Erdnähe planen, ganz zu schweigen davon, dass Watney nach Schiaparelli fahren muss. Wir haben eine Menge zu tun.”
“Sie haben verdammt recht damit, dass wir eine Menge zu tun haben!”, fauchte Teddy. “Nach Ihrem kleinen Trick sind wir gezwungen, die Sache durchzuziehen.”
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