“Nichts”, meldete Comm.
“Bodenkontrolle?”, fragte Mitch.
“Bodenkontrolle hier”, lautete die Antwort. “Objekt hatte Sichtbereich bereits verlassen.”
“SatCon?”, fragte Mitch.
“Die Satelliten bekommen kein Signal herein.”
Mitch betrachtete den Hauptbildschirm. Er war schwarz und zeigte in großen weißen Buchstaben die Meldung “KEIN SIGNAL”.
“Flugkontrolle”, ließ sich eine neue Stimme vernehmen. “Der US-Zerstörer Stockton meldet Trümmerstücke, die vom Himmel fallen. Ursprung deckt sich mit letzter bekannter Position der Iris-Sonde.”
Mitch schlug sich die Hände vor das Gesicht. “Roger”, sagte er.
Dann sprach er die Worte aus, die kein Flugleiter aussprechen will. “Bodenkontrolle, Flugkontrolle, schließen Sie die Türen.”
Das war das Signal, um nach dem Unfall mit der Fehleranalyse zu beginnen.
Im VIP-Raum beobachtete Teddy die niedergeschlagenen Mitarbeiter im Mission Control Center. Er holte tief Luft und atmete langsam aus. Wehmütig betrachtete er den blauen Ordner, in dem eine fröhliche Rede für einen perfekten Start steckte. Er schob sie in die Aktenmappe und nahm den roten Ordner mit der anderen Rede heraus.
Venkat starrte aus dem Bürofenster zum Space Center hinaus. Dort war das größte Wissen über Raketentechnik vereint, das die Menschheit überhaupt aufbieten konnte. Dennoch hatte es nicht ausgereicht, um den heutigen Start erfolgreich durchzuführen.
Das Handy klingelte. Schon wieder seine Frau. Zweifellos sorgte sie sich um ihn. Er ließ sie auf die Mailbox sprechen. Er wollte nicht mit ihr reden. Er wollte mit überhaupt niemandem reden.
Sein Computer klimperte kurz. Es war eine E-Mail vom JPL – genauer gesagt, eine weitergeleitete Nachricht von Pathfinder.
[16:03] WATNEY: Wie ist der Start gelaufen?
16
Martinez:
Dr. Shields sagt, ich soll persönliche Botschaften an alle Crewmitglieder schicken. Sie meint, das stärkt meine Verbindung zur Menschheit. Ich halte das für Schwachsinn, aber na ja, Befehl ist Befehl.
Mit Ihnen kann ich ganz offen reden:
Besuchen Sie bitte meine Eltern, falls ich sterbe. Sie wollen bestimmt aus erster Hand etwas über unseren Flug zum Mars erfahren. Das müssen Sie für mich tun.
Es wird nicht leicht sein, mit einem Elternpaar über den toten Sohn zu reden. Es ist viel verlangt, und deshalb bitte ich Sie darum. Ich würde Ihnen sagen, dass Sie mein bester Freund sind und so weiter, aber das wäre gelogen.
Ich gebe nicht auf. Ich plane einfach nur voraus. Ja, genau das mache ich.
Guo Ming, der Direktor der Chinesischen Raumfahrtagentur, beäugte den beängstigenden Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. In der guten alten Zeit hätte man die Rakete einfach gestartet. Jetzt war China durch internationale Abkommen gezwungen, den anderen Nationen vorher Bescheid zu sagen.
Diese Verpflichtung, dachte Guo Ming bei sich, galt aber wohl nicht für die Vereinigten Staaten. Um ehrlich zu sein, musste er allerdings zugeben, dass die Amerikaner ihre Starttermine lange vorher öffentlich bekannt gaben, also lief es wohl auf das Gleiche hinaus.
Beim Ausfüllen der Formulare musste er genau darauf achten, keine Grenzen zu überschreiten. Er stellte Startdatum und Flugbahn korrekt dar, bemühte sich aber sehr, keinerlei Staatsgeheimnisse zu verraten.
Die letzte Anforderung quittierte er mit einem Schnauben. “Lächerlich”, murmelte er. Die Taiyang Shen besaß keinerlei strategischen oder militärischen Wert. Es war eine unbemannte Sonde, die weniger als zwei Tage in der Erdumlaufbahn bleiben würde. Danach sollte sie zwischen Merkur und Venus in eine Umlaufbahn um die Sonne einschwenken. Es wäre Chinas erster Vorstoß zur Erforschung der Sonne.
Dennoch bestand der Staatsrat darauf, dass alle Starts so weit wie möglich der Geheimhaltung unterworfen blieben. Selbst jene, bei denen es überhaupt nichts zu verbergen gab. Auf diese Weise konnten die anderen Nationen aus dem Mangel an Offenheit nicht schließen, welche Trägerraketen geheime Ladungen beförderten.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn bei der Schreibarbeit.
“Herein.” Guo Ming freute sich über die Störung.
“Guten Abend, Herr Direktor”, sagte der Stellvertretende Direktor Zhu Tao.
“Tao, willkommen zurück.”
“Danke, Herr Direktor. Es ist schön, wieder in Peking zu sein.”
“Wie ist es in Jiuquan gelaufen?”, fragte Guo Ming. “Ich hoffe, es war nicht zu kalt? Ich werde nie verstehen, warum sich unser Kosmodrom mitten in der Wüste Gobi befindet.”
“Es war kalt, aber erträglich”, antwortete Zhu Tao.
“Und wie schreiten die Startvorbereitungen voran?”
“Erfreulicherweise kann ich berichten, dass alles nach Plan verläuft.”
“Ausgezeichnet”, erwiderte Guo Ming lächelnd.
Zhu Tao saß schweigend da und starrte seinen Vorgesetzten an.
Guo Ming erwiderte erwartungsvoll den Blick, doch Zhu Tao stand nicht auf, um zu gehen, sprach aber auch nicht weiter.
“Gibt es sonst noch etwas, Tao?”, fragte Guo Ming.
“Hm”, machte Zhu Tao. “Sie haben doch sicher von der Iris-Sonde gehört?”
“Gewiss.” Guo runzelte die Stirn. “Eine schreckliche Tragödie. Der arme Mann wird verhungern.”
“Möglich”, antwortete Zhu Tao. “Aber vielleicht auch nicht.”
Guo Ming lehnte sich zurück. “Was wollen Sie damit sagen?”
“Ich denke an die Trägerrakete der Taiyang Shen, Herr Direktor. Unsere Ingenieure haben es durchgerechnet. Sie hat genügend Treibstoff, um eine Umlaufbahn um den Mars zu erreichen. Sie könnte dort in vierhundertneunzehn Tagen eintreffen.”
“Machen Sie Witze?”
“Haben Sie jemals erlebt, dass ich Witze mache, Herr Direktor?”
Guo Ming stand auf und kratzte sich am Kinn. Während er im Büro hin und her schritt, sagte er: “Könnten wir wirklich die Taiyang Shen zum Mars schicken?”
“Nein, Herr Direktor”, antwortete Zhu Tao. “Die Sonde ist viel zu schwer. Wegen des starken Hitzeschilds ist sie die schwerste unbemannte Sonde, die wir je gebaut haben. Deshalb muss die Trägerrakete so stark sein. Aber eine leichtere Fracht könnte die Rakete durchaus zum Mars befördern.”
“Wie viel Masse können wir hinschicken?”, fragte Guo Ming.
“Neunhunderteinundvierzig Kilogramm, Sir.”
“Hm”, machte der Direktor. “Ich möchte wetten, dass die NASA damit etwas anfangen könnte. Warum haben sie sich noch nicht an uns gewandt?”
“Sie wissen es nicht”, erklärte Zhu Tao. “Unsere Raketentechnik ist geheim. Das Ministerium für Staatssicherheit verbreitet aus offensichtlichen Gründen sogar Fehlinformationen über unsere Fähigkeiten.”
“Also wissen sie gar nicht, dass wir ihnen helfen können”, überlegte Guo Ming. “Wenn wir uns entschließen, ihnen nicht zu helfen, wird niemand erfahren, dass wir es hätten tun können.”
“Korrekt, Herr Direktor.”
“Um es einfach mal zu Ende zu denken – nehmen wir an, wir helfen ihnen. Was dann?”
“Die Zeit wäre unser größter Feind, Herr Direktor”, antwortete Zhu Tao. “Aufgrund der Flugdauer und der Vorräte, die ihr Astronaut noch hat, müsste die Sonde binnen eines Monats starten. Selbst dann würde er ein wenig hungern.”
“Das wäre etwa der Zeitpunkt, zu dem wir die Taiyang Shen starten wollten.”
“Ja, Herr Direktor. Aber sie haben zwei Monate gebraucht, um Iris zu konstruieren, und sind dabei so eilig vorgegangen, dass die Mission gescheitert ist.”
“Das ist ihr Problem”, antwortete Guo Ming. “Wir würden nur die Trägerrakete stellen. Zudem würden wir sie von Jiuquan aus starten, denn die achthundert Tonnen schwere Rakete können wir unmöglich nach Florida transportieren.”
“Eine Abmachung würde beinhalten, dass uns die Amerikaner für die Rakete entschädigen”, ergänzte Zhu Tao. “Der Staatsrat würde von der US-Regierung politisches Entgegenkommen erwarten.”
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