Auf dem Hinweg hätte ich bei jeder Rast Steinhaufen aufschichten sollen. Das Gelände ist so eben, dass sie kilometerweit sichtbar gewesen wären.
Andererseits, wenn ich daran denke, wie schwer es war, die verdammte Rampe zu bauen … uff.
Also bin ich jetzt wieder der Wüstenwanderer und benutze Phobos, um zu navigieren. Hoffentlich komme ich nicht zu weit vom Weg ab. Wenn ich bis auf vierzig Kilometer an die Wohnkuppel herankomme, kann ich den Peilsender empfangen.
Ich bin optimistisch. Zum ersten Mal erlaube ich mir den Gedanken, dass ich lebend von diesem Planeten herunterkommen könnte. Vor diesem Hintergrund sammle ich Boden- und Gesteinsproben, wann immer ich eine EVA unternehme.
Zuerst dachte ich, es sei meine Pflicht. Wenn ich überlebe, werden mich die Geologen dafür lieben. Aber dann machte es Spaß. Jetzt freue ich mich bei der Fahrt auf jede Gelegenheit, ein paar Steine einzupacken.
Es ist ein schönes Gefühl, wieder ein Astronaut zu sein. Das ist alles. Ich bin kein widerwilliger Bauer, kein Elektriker und kein Fernfahrer mehr. Ich bin ein Astronaut. Ich mache das, was Astronauten eben tun. Das habe ich vermisst.
Logbuch: Sol 92
Heute habe ich zwei Sekunden lang das Signal der Wohnkuppel empfangen und wieder verloren. Das ist ein gutes Zeichen. Seit zwei Tagen bin ich mehr oder weniger nach Nord-Nordwest gefahren. Die Wohnkuppel ist sicher noch hundert Kilometer entfernt. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt etwas empfangen habe. Vielleicht waren die Wetterbedingungen vorübergehend ideal.
Um die langweiligen Tage zu überbrücken, arbeite ich mich durch Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann aus Commander Lewis’ unerschöpflicher Schundsammlung aus den Siebzigerjahren.
Gerade habe ich eine Folge gesehen, in der Steve Austin gegen eine russische Venussonde kämpft, die versehentlich auf der Erde gelandet ist. Als Experte für interplanetarische Reisen kann ich Ihnen versichern, dass es in dieser Geschichte keinerlei wissenschaftliche Ungenauigkeiten gibt. Es kommt gar nicht so selten vor, dass Sonden auf dem falschen Planeten landen. Außerdem ist die große und flache äußere Form für den hohen Druck der Venusatmosphäre gut geeignet. Wie wir wissen, weigern sich Sonden zudem gelegentlich, den Befehlen zu gehorchen, und greifen lieber jeden Menschen an, den sie sehen.
Bisher hat Pathfinder noch nicht versucht, mich umzubringen, aber ich behalte ihn im Auge.
Logbuch: Sol 93
Heute habe ich das Signal der Wohnkuppel aufgefangen. Jetzt kann ich mich nicht mehr verirren. Laut Computer bin ich 24.718 Meter entfernt.
Morgen bin ich daheim. Selbst wenn der Rover jetzt einen irreparablen Schaden erleidet, wird mir nichts mehr passieren. Von hier aus kann ich nach Hause laufen.
Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich bin es verdammt leid, in dem Rover zu hocken. Ich habe so viel Zeit im Sitzen oder Liegen verbracht, dass mein Rücken völlig verbogen ist. Unter allen Crewmitgliedern vermisse ich jetzt Beck am meisten. Er könnte meinen schmerzenden Rücken schnell wieder in Ordnung bringen.
Dabei würde er mir vermutlich eine Menge Vorhaltungen machen. “Warum haben Sie nicht die Dehnübungen gemacht? Ihr Körper ist wichtig! Essen Sie mehr Ballaststoffe”, oder was auch immer.
An diesem Punkt wäre mir sogar ein Vortrag über gesunde Lebensweise sehr willkommen.
Während des Trainings mussten wir auch das gefürchtete “Orbit verfehlt”-Szenario üben. Hätte beim Aufstieg des MRM die zweite Stufe versagt, dann wären wir zwar in einer Umlaufbahn angekommen, aber zu niedrig geflogen, um die Hermes zu erreichen. Wir wären durch die oberen Atmosphäreschichten gerast und hätten rasch wieder an Höhe verloren. Die NASA hätte die Hermes ferngesteuert und zu uns gebracht, damit sie uns aufnimmt. Dann wären wir blitzschnell verschwunden, ehe die Hermes zu weit ins Schwerkraftfeld des Planeten geraten wäre.
Um es zu üben, mussten wir drei elende Tage lang im MRM-Simulator bleiben. Sechs Leute in einem Startmodul, das eigentlich nur für einen dreiundzwanzigminütigen Flug gebaut war. Es war ein bisschen eng. Mit “ein bisschen eng” meine ich: Wir hätten uns am liebsten gegenseitig umgebracht.
Ich hätte alles gegeben, um wieder mit den anderen in der engen Kapsel zu hocken.
Mann, hoffentlich kann ich Pathfinder reparieren.
Logbuch: Sol 94
Trautes Heim, Glück allein!
Heute schreibe ich in meiner riesigen, gewaltigen Wohnkuppel.
Als Erstes habe ich wie wild mit den Armen gerudert und bin im Kreis herumgerannt. Es fühlte sich großartig an! Zweiundzwanzig Marstage habe ich in dem verdammten Rover gesteckt und konnte keinen Schritt laufen, ohne vorher den Raumanzug anzuziehen.
Wenn ich Ares 4 erreichen will, muss ich doppelt so lange fahren, aber dieses Problem hebe ich mir für später auf.
Nach ein paar Runden in der Wohnkuppel zur Feier meiner Rückkehr war es Zeit, mich an die Arbeit zu machen.
Zuerst startete ich den Oxygenator und den Atmosphäreregler. Die Luftwerte waren in Ordnung. Es war noch CO2 übrig, also waren die Pflanzen auch ohne meine verbrauchte Atemluft nicht erstickt.
Natürlich überprüfte ich sorgfältig meine Äcker. Alle Pflanzen sind gesund.
Meine Kotbeutel kamen auf den großen Misthaufen. Ich kann Ihnen sagen, der Geruch war hübsch. Sobald ich etwas Erde daruntermischte, wurde es allerdings erträglich. Den Pipibehälter kippte ich in den Wasseraufbereiter.
Drei Wochen war ich fort gewesen und hatte die Wohnkuppel mit Rücksicht auf die Pflanzen sehr feucht zurückgelassen. So viel Wasser in der Luft kann jede Menge elektrische Probleme verursachen. Deshalb verbrachte ich die nächsten Stunden damit, alles gründlich zu überprüfen.
Danach stromerte ich eine Weile umher. Eigentlich wollte ich mich den Rest des Tages über nur noch entspannen, aber ich hatte viel zu tun.
Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, ging ich zum Rover und holte die Solarzellen vom Dach herunter. In den nächsten Stunden baute ich sie wieder dort auf, wo sie hingehörten, und verband sie mit der Stromversorgung der Wohnkuppel.
Die Landeeinheit vom Dach zu bekommen war erheblich einfacher, als sie hinaufzuwuchten. Ich löste eine Strebe von der Plattform des MRM und schleppte sie zum Rover. Sobald ich sie angelehnt und das andere Ende der Stabilität wegen in den Boden gerammt hatte, konnte ich sie wie eine Rampe benutzen.
Ich hätte die Strebe gleich von vornherein zum Landeplatz der Pathfinder-Sonde mitnehmen sollen. Man lernt nicht aus.
Die Landeeinheit bekomme ich auf keinen Fall durch die Luftschleuse. Sie ist einfach zu groß. Vielleicht könnte ich sie zerlegen und in Einzelteilen hereinschaffen, aber es gibt einen ziemlich überzeugenden Grund, es nicht zu tun.
Da der Mars kein Magnetfeld besitzt, gibt es keine Abwehr gegen die harte Strahlung der Sonne. Wäre ich ihr ausgesetzt, dann bekäme ich so viel Krebs, dass der Krebs Krebs bekäme. Deshalb schirmt uns die Plane der Wohnkuppel vor elektromagnetischen Wellen ab. Dies bedeutet, dass die Wohnkuppel auch alle Sendungen stört, wenn sich die Landeeinheit im Inneren befindet.
Da wir gerade von Krebs sprechen, es war wohl an der Zeit, den RTG loszuwerden.
Es tat mir fast körperlich weh, wieder in den Rover zu steigen, aber es musste sein. Wenn der RTG jemals zerbrach, dann brachte mich die Strahlung um.
Die NASA war der Ansicht, vier Kilometer seien eine sichere Entfernung, und das wollte ich nicht hinterfragen. Deshalb fuhr ich zu der Stelle, wo Commander Lewis den RTG ursprünglich abgesetzt hatte, schob ihn in dasselbe Loch und kehrte zur Wohnkuppel zurück.
Morgen beginne ich mit den Arbeiten an der Landeeinheit.
Jetzt genieße ich erst einmal einen ausgedehnten Schlaf auf einem richtigen Feldbett und freue mich darauf, dass ich morgen früh nach dem Aufwachen endlich wieder eine Toilette benutzen kann.
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