“Nein, auf denen kann ich nichts einzeichnen”, widersprach er. Sobald er um die Ecke gebogen war und im Pausenraum stand, deutete er auf die Marskarte an der Wand. “Darauf kann ich zeichnen.”
Bis auf einen Computertechniker, der eine Tasse Kaffee schlürfte, war der Pausenraum leer. Der Mann hob erschrocken den Kopf, als Venkat und Mindy hereinstürmten.
“Gut, dort sind sogar die Längen- und Breitengrade eingetragen.” Venkat betrachtete den Notizzettel und fuhr mit dem Finger auf der Karte entlang, um eine Stelle mit einem X zu markieren. “Da ist die Wohnkuppel.”
“He”, sagte der Techniker. “Malen Sie da auf unserem Poster herum?”
“Ich schenke Ihnen ein neues”, versprach Venkat, ohne sich umzudrehen. Dann zeichnete er ein weiteres X ein. “Das ist sein augenblicklicher Standort. Besorgen Sie mir ein Lineal.”
Mindy sah sich nach links und rechts um. Sie entdeckte keins und schnappte sich das Notebook des Technikers.
“He!”, protestierte der Mann.
Venkat legte das Notebook wie ein Lineal an und zeichnete eine Linie von der Wohnkuppel bis zu Marks jetzigem Standort und darüber hinaus. Dann trat er einen Schritt zurück.
“Ja, da will er hin!”, sagte Venkat aufgeregt.
“Oh!”, machte Mindy.
Die Linie traf haargenau einen hellgelben Punkt auf der Karte.
“Pathfinder!”, rief Mindy. “Er will zum Pathfinder!”
“Genau!”, bestätigte Venkat. “Jetzt kommen wir weiter. Das Ziel ist noch achthundert Kilometer entfernt. Mit den verfügbaren Vorräten kann er den Hin- und Rückweg schaffen.”
“Und dann kann er den Pathfinder und den Sojourner mitnehmen”, fügte Mindy hinzu.
Venkat zückte sein Handy. “1997 haben wir den Kontakt mit Pathfinder verloren. Wenn er das Gerät wieder aktivieren kann, haben wir eine Kommunikationsmöglichkeit. Vielleicht reicht es ja sogar, wenn er die Solarzellen säubert. Selbst wenn es ein größeres Problem ist, wird er es schaffen, denn er ist Ingenieur!” Während er wählte, fügte er hinzu: “Es ist sein Job, Dinge zu reparieren!”
Zum ersten Mal seit Wochen lächelte er wieder, als er das Telefon ans Ohr hielt und auf eine Antwort wartete. “Bruce? Hier ist Venkat. Gerade hat sich alles verändert. Watney will zum Pathfinder. Ja! Ja, ich weiß. Trommeln Sie alle zusammen, die damals an dem Projekt beteiligt waren, und schaffen Sie sie ins JPL. Ich nehme den nächsten Flug.”
Er legte auf und starrte grinsend die Karte an. “Mark, du raffinierter, gerissener Hundesohn!”
9
Logbuch: Sol 79
Es ist der Abend meines achten Tages auf Reisen. Sirius 4 war bislang ein Erfolg.
Bei mir hat sich eine gewisse Routine herausgebildet. Jeden Morgen wache ich in der Dämmerung auf und überprüfe als Erstes den Sauerstoff und den CO2-Pegel. Dann esse ich eine Frühstücksration und trinke eine Tasse Wasser. Anschließend putze ich mir die Zähne und benutze so wenig Wasser wie möglich, danach rasiere ich mich mit einem elektrischen Apparat.
Der Rover hat keine Toilette. Unterwegs sollten wir die Rückgewinnungsanlagen unserer Anzüge benutzen. Den Ausstoß von zwanzig Tagen können sie aber leider nicht aufnehmen.
Die morgendliche Pisse kommt in eine verschließbare Plastiktüte. Wenn ich sie öffne, stinkt es im Rover wie auf einem Raststättenklo. Natürlich könnte ich die Flüssigkeit nach draußen bringen und verkochen lassen, aber ich habe hart daran gearbeitet, das Wasser zu gewinnen, und werde es auf keinen Fall verschwenden. Wenn ich zurückkehre, kommt es in den Wasseraufbereiter.
Noch kostbarer ist mein Dung. Er ist wichtig für die Kartoffelfarm, und ich bin auf dem ganzen Mars die einzige Quelle. Glücklicherweise lernt man, in eine Tüte zu kacken, wenn man längere Zeit im Weltraum unterwegs ist. Falls Sie glauben, das Öffnen des Pissebehälters sei schlimm, dann stellen Sie sich mal den Geruch vor, wenn ich Anker geworfen habe.
Sobald diese hübsche Routine erledigt ist, gehe ich raus und sammle die Solarzellen ein. Warum ich das nicht schon am vergangenen Abend getan habe? Weil es absolut keinen Spaß macht, die Solarzellen in völliger Dunkelheit abzubauen und aufzustapeln. Das habe ich durch Trial-and-Error schnell herausgefunden.
Wenn die Zellen sicher verstaut sind, lege ich erbärmliche Musik aus den Siebzigern auf und fahre los. Mit den 25 Stundenkilometern, die der Rover höchstens hergibt, tuckere ich dahin. Drinnen ist es bequem. Ich trage eilig hergestellte kurze Hosen und ein dünnes Hemd, während der RTG das Innere durchglüht. Falls es zu heiß wird, löse ich die Isolierung, die an die Wand geklebt ist. Wenn es zu kalt wird, bringe ich sie wieder an.
Ich kann fast zwei Stunden fahren, ehe die erste Batterie leer ist. Mit einer schnellen EVA stecke ich die Kabel um und sitze gleich danach wieder am Steuer, um die zweite Hälfte meiner täglichen Reise zu absolvieren.
Das Gelände ist sehr eben. Die Bodenfreiheit des Rovers ist hoch genug, um über die Steine hier einfach drüberzufahren, und die Hügel sind sanft geneigt und nach Ewigkeiten voller Sandstürme völlig glatt geschliffen.
Wenn die zweite Batterie leer ist, wird es Zeit für eine weitere EVA. Ich nehme die Solarzellen vom Dach und lege sie auf den Boden. Während der ersten Marstage habe ich sie in einer Reihe aufgestellt, jetzt lasse ich sie aus reiner Faulheit einfach fallen, wie sie wollen, und lege sie irgendwo in der Nähe des Rovers ab.
Dann beginnt der unendlich langweilige Teil meines Tages. Zwölf Stunden sitze ich herum und habe nichts zu tun. Allmählich bin ich diesen Rover leid. Das Innere entspricht einem Lieferwagen. Das mag nach einer Menge Platz klingen, aber sitzen Sie mal acht Tage in einem Lieferwagen fest. Ich freue mich schon, im weiten offenen Raum der Wohnkuppel meine Kartoffelfarm zu bestellen.
Ich sehne mich nach der Wohnkuppel. Wie pervers ist das denn?
Zur Unterhaltung habe ich todlangweilige Serien aus den Siebzigern und ein paar Poirot-Romane zum Lesen. Die meiste Zeit verbringe ich damit, mir zu überlegen, wie ich nach Ares 4 gelangen kann. Eines Tages muss ich mich auf den Weg machen. Wie, zum Teufel, soll ich in diesem Ding eine Reise von 3200 Kilometern überstehen? Das wird vermutlich fünfzig Tage dauern. Ich brauche den Wasseraufbereiter und den Oxygenator, vielleicht noch ein paar Batterien aus der Wohnkuppel und ein paar zusätzliche Solarzellen, um alles aufzuladen … wo bringe ich das alles unter? Diese Gedanken setzen mir an den langen, langweiligen Tagen zu.
Irgendwann wird es dunkel, und ich schlafe ein. Ich liege zwischen den Essensrationen, den Wasserbehältern, dem Reservesauerstoff und den Stapeln mit CO2-Filtern, der Kiste mit der Pisse, den Beuteln mit Kot und persönlichem Kram. Als Bettzeug habe ich einige Overalls der Crew, meine Decken und ein Kissen mitgenommen. Genau genommen schlafe ich jede Nacht auf einem Müllhaufen.
Da wir gerade von Schlafen sprechen … gute Nacht.
Logbuch: Sol 80
Meiner Schätzung nach bin ich noch etwa 100 Kilometer vom Pathfinder entfernt. Genau genommen heißt er jetzt “Carl Sagan Memorial Station”, aber bei allem Respekt für Carl, ich kann das Ding jetzt nennen, wie ich will. Ich bin der König vom Mars.
Wie schon erwähnt, ist es eine lange, langweilige Fahrt. Aber Mensch, ich bin Astronaut. Lange Reisen sind meine Spezialität.
Die Navigation ist schwierig.
Der Leitstrahl der Wohnkuppel reicht nur 40 Kilometer weit und ist für mich hier draußen nutzlos. Schon vor diesem kleinen Ausflug wusste ich, dass dies ein Problem werden würde, und habe mir einen brillanten Plan überlegt, der nicht funktioniert.
Im Computer sind detaillierte Karten gespeichert, also dachte ich, ich könnte anhand von Landmarken navigieren. Das war ein Irrtum. Wenn es keine verdammten Landmarken gibt, kann man nicht nach Landmarken navigieren.
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