Mitch Henderson, der Flugleiter von Ares 3, drehte sich auf seinem Stuhl hin und her. Er trug einen drahtlosen Ohrhörer, über den er in Echtzeit den Funkverkehr von Mission Control mithören konnte. Er hatte zwar keinen Dienst, blieb aber jederzeit auf dem Laufenden.
Annie Montrose betrat das Konferenzzimmer und schrieb im Gehen eine SMS. Ohne die Augen vom Handy zu wenden, ging sie gewandt außen herum, wich Menschen und Stühlen aus und setzte sich auf den gewohnten Platz. Mindy wurde neidisch, als sie die Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit beobachtete. Sie war das, was Mindy schon immer sein wollte. Selbstbewusst, mit einer Führungsposition betraut, schön und innerhalb der NASA allgemein geachtet.
“Wie habe ich mich heute gemacht?”, fragte Venkat.
“Ähm …” Annie steckte das Handy weg. “Sie sollten nicht davon reden, dass wir ihn lebend nach Hause holen wollen. Das bringt die Leute nur auf die Idee, dass er sterben könnte.”
“Glauben Sie wirklich, die vergessen das?”
“Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt. Gefällt sie Ihnen nicht? Dann können Sie mich mal.”
“Annie, Sie sind so ein zartes Pflänzchen. Wie haben Sie es nur geschafft, die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen?”
“Da hab ich keinen verdammten blassen Schimmer”, antwortete Annie.
“Leute”, schaltete sich Bruce ein. “Ich muss in drei Stunden nach LA zurückfliegen. Kommt Teddy noch, oder wie sieht es aus?”
“Nicht drängeln, Bruce”, wies Annie ihn zurecht. “Wir wollen alle nicht hier sein.”
Mitch drehte die Lautstärke seines Ohrhörers herunter und sah Mindy an. “Wer sind Sie noch mal?”
“Äh”, antwortete Mindy. “Mindy Park. Ich arbeite in der SatCon.”
“Sind Sie eine Direktorin oder so was?”
“Nein. Ich arbeite einfach nur in der SatCon. Ich bin ein Niemand.”
Venkat schaltete sich ein. “Ich habe ihr die Aufgabe übertragen, Watney zu beobachten. Sie beschafft uns die Bilder.”
“Oh”, meinte Mitch. “Also keine Direktorin bei SatCon?”
“Bob hat mehr zu tun, als nur den Mars zu beobachten. Mindy betreut sämtliche Marssatelliten und sorgt dafür, dass sie auf Mark ausgerichtet bleiben.”
“Warum Mindy?”
“Sie hat als Erste bemerkt, dass er noch am Leben war.”
“Also wird sie befördert, weil sie zufällig Dienst hatte, als die Bilder reinkamen?”
“Nein.” Venkat runzelte die Stirn. “Sie wird befördert, weil sie darauf gekommen ist, dass er überlebt hat. Hören Sie auf, sich so abscheulich zu benehmen, Mitch. Dabei fühlt sie sich mies.”
Mitch zog die Augenbrauen hoch. “Daran habe ich gar nicht gedacht. Tut mir leid, Mindy.”
Mindy starrte den Tisch an. “Schon gut”, quetschte sie heraus.
Teddy trat ein. “Entschuldigen Sie die Verspätung.” Er setzte sich und zog mehrere Ordner aus seiner Aktenmappe. Nachdem er sie sauber aufgeschichtet hatte, öffnete er den obersten und richtete die Blätter darin akkurat aus. “Wir wollen beginnen. Venkat, wie ist Watneys Status?”
“Er lebt und ist wohlauf. Seit der E-Mail, die ich vorhin geschickt habe, hat sich nichts geändert.”
“Was ist mit dem RTG? Ist das schon in der Öffentlichkeit bekannt?”, fragte Teddy.
Annie beugte sich vor. “Bisher nicht”, antwortete sie. “Die Bilder sind öffentlich, aber wir sind nicht verpflichtet, ihnen unsere Analysen mitzuteilen. Bisher ist noch niemand darauf gekommen.”
“Warum hat er das Ding ausgegraben?”
“Ich glaube, wegen der Abwärme”, meinte Venkat. “Er will mit dem Rover lange Strecken zurücklegen. Das Fahrzeug verbraucht eine Menge Strom für die Heizung. Mit dem RTG kann er den Rover heizen, ohne die Batterieladung anzutasten. Das ist eigentlich sogar eine sehr gute Idee.”
“Wie gefährlich ist es?”, fragte Teddy.
“Solange der Behälter intakt ist, besteht überhaupt keine Gefahr. Selbst wenn er aufbricht, kann nichts passieren, solange die Pellets im Inneren heil bleiben. Falls sie ebenfalls kaputtgehen, ist er tot.”
“Wir wollen hoffen, dass dies nicht passiert”, sagte Teddy. “JPL, was machen die MLM-Pläne?”
“Wir haben schon vor längerer Zeit einen Plan vorgelegt”, erwiderte Bruce. “Sie haben ihn verworfen.”
“Bruce”, warnte Teddy ihn.
Bruce seufzte. “Das MLM ist nicht dazu gebaut, noch einmal zu starten und quer über den Planeten zu fliegen. Mehr Treibstoff hineinzupacken hilft uns nicht weiter. Wir brauchen einen stärkeren Antrieb und haben keine Zeit, einen zu erfinden. Also müssen wir das MLM leichter machen. Dazu ist uns etwas eingefallen. Das MLM kann beim Sinkflug sein normales Gewicht tragen. Wenn wir den Hitzeschild und die Außenhülle so konstruieren, dass sie abgeworfen werden können, hat das Gerät nach der Landung bei Ares 3 erheblich weniger Gewicht, und der Weiterflug bis zu Ares 4 wird einfacher. Wir gehen gerade die Berechnungen durch.”
“Halten Sie mich auf dem Laufenden.” Teddy wandte sich an Mindy. “Miss Park, willkommen auf der Chefetage.”
“Sir.” Mindy hatte einen Kloß im Hals.
“Wie groß ist die größte Lücke, die wir im Moment bei Watneys Überwachung in Kauf nehmen müssen?”
“Äh”, antwortete Mindy. “Alle einundvierzig Stunden fehlen uns siebzehn Minuten. Das ergibt sich leider aus den Umlaufbahnen.”
“Sie hatten die Antwort sofort parat”, lobte Teddy sie. “Das ist gut. Ich mag es, wenn meine Leute gut vorbereitet sind.”
“Danke, Sir.”
“Drücken Sie die Lücke auf vier Minuten”, wies Teddy sie an. “Ich gebe Ihnen die volle Befehlsgewalt über die Umlaufbahnen und die Flughöhe der Satelliten. Richten Sie das entsprechend ein.”
“Ja, Sir.” Mindy hatte keine Ahnung, wie sie das schaffen sollte.
Teddy wandte sich wieder an Mitch. “In Ihrer E-Mail stand, Sie hätten etwas Dringendes mitzuteilen.”
“Ja”, bestätigte der Angesprochene. “Wie lange halten wir dies vor der Crew von Ares 3 geheim? Sie halten Watney für tot. Das drückt ihre Moral ganz erheblich.”
Teddy sah Venkat fragend an.
“Mitch”, antwortete Venkat. “Wir haben doch schon einmal darüber gesprochen …”
“Nein, Sie haben darüber gesprochen”, fiel Mitch ihm ins Wort. “Die Crewmitglieder glauben, sie hätten ein Mitglied ihrer Mannschaft verloren, und sind am Boden zerstört.”
“Und wenn sie herausfinden, dass sie ein Mitglied ihrer Crew lebend zurückgelassen haben?”, erwiderte Venkat. “Fühlen sie sich dann besser?”
Mitch tippte mit einem Finger auf den Tisch. “Sie haben es verdient, die Wahrheit zu erfahren. Glauben Sie wirklich, Commander Lewis sei damit überfordert?”
“Es ist eine Frage der Moral”, erwiderte Venkat. “Sie sollen sich erst einmal darauf konzentrieren, nach Hause zu kommen …”
“Diese Entscheidung treffe ich”, widersprach Mitch. “Ich bin derjenige, der entscheidet, was für die Crew am besten ist. Und ich sage, wir halten sie auf dem Laufenden.”
Nach einem kurzen Schweigen richteten sich aller Augen auf Teddy.
Er dachte darüber nach. “Tut mir leid, Mitch, in diesem Punkt stimme ich Venkat zu”, sagte er. “Aber sobald wir einen Rettungsplan haben, weihen wir die Hermes ein. Solange wir keine Hoffnung haben, ist es sinnlos, es ihnen zu sagen.”
“So ein verdammter Unfug”, grollte Mitch und verschränkte die Arme vor der Brust. “Völliger Blödsinn.”
“Ich verstehe, dass Sie wütend sind”, sagte Teddy ruhig. “Wir packen das an, sobald wir eine Vorstellung haben, wie wir Watney retten können.”
Teddy schwieg einige Sekunden, ehe er weitersprach. “Na gut, das JPL kümmert sich um die Rettungsaktion.” Er nickte Bruce zu. “Aber das ist ein Teil von Ares 4. Wie bleibt er bis dahin am Leben? Venkat?”
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