Sie wachsen sogar besser als erwartet. Auf dem Mars gibt es keine Insekten, Parasiten oder Krankheiten, und in der Wohnkuppel herrschen stets die perfekte Wuchstemperatur und Feuchtigkeit.
Verglichen mit den Kartoffeln, die man gewöhnlich isst, waren sie klein, aber das war in Ordnung. Ich brauchte sie nur, um weitere Pflanzen zu ziehen.
Ich grub die Knollen aus und achtete darauf, dass die Mutterpflanzen überlebten. Dann schnitt ich sie in kleine Stücke, die jeweils ein Auge hatten, und säte sie in frischer Erde wieder aus. Wenn sie weiter so gut wuchsen, konnte ich es ziemlich lange hier aushalten.
Nach der körperlichen Anstrengung hatte ich eine Pause verdient. Ich ging Johannsens Computer durch und fand einen schier endlosen Vorrat an digitalisierten Büchern. Anscheinend ist sie ein großer Fan von Agatha Christie. Die Beatles und Agatha Christie … sie ist wohl ziemlich anglophil.
Als Junge mochte ich die Fernsehkrimis mit Hercule Poirot, ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich werde mit Das fehlende Glied in der Kette beginnen. Das war vermutlich die erste Folge.
Logbuch: Sol 66
Nun ist die Zeit für einige Missionen gekommen (Trommelwirbel)!
Die NASA benennt ihre Missionen nach Göttern und so weiter. Das kann ich auch. Die Versuchsfahrten mit dem Rover werden ab sofort “Sirius” heißen. Haben Sie das verstanden? Hunde? Wenn nicht, dann können Sie mich mal.
Morgen startet Sirius 1.
Die Mission: Mit voll geladenen Batterien und den Solarzellen auf dem Dach losfahren und weitermachen, bis mir der Strom ausgeht. Überprüfen, wie weit ich gekommen bin.
Ich bin kein Idiot. Natürlich fahre ich nicht in gerader Linie von der Wohnkuppel weg. Vielmehr fahre ich einen halben Kilometer weit immer hin und her. So bleibe ich jederzeit in fußläufiger Entfernung von meiner Unterkunft.
Heute Abend lade ich beide Batterien auf, damit ich morgen die Testfahrt durchführen kann. Ich schätze, dass ich dreieinhalb Stunden fahren werde, also muss ich frische CO2-Filter mitnehmen. Da ich die Heizung abschalten werde, ziehe ich drei Schichten Kleidung an.
Logbuch: Sol 67
Sirius 1 ist abgeschlossen!
Genauer gesagt, habe ich Sirius 1 nach einer Stunde abgebrochen. Man könnte das einen Fehlschlag nennen, aber ich betrachte es lieber als Erfahrung, aus der ich etwas lernen kann.
Es begann recht gut. Ich fuhr zu einer schönen flachen Stelle, die etwa einen Kilometer von der Wohnkuppel entfernt war, und kreuzte auf einer Strecke von 500 Metern hin und her.
Rasch wurde mir bewusst, dass der Test nichts nützte. Nach ein paar Fahrten hatte ich den Untergrund so weit komprimiert, dass ein fester Weg entstanden war. Ein schöner, harter Boden, auf dem sich das Fahrzeug ungewöhnlich effizient bewegte. Die lange Reise würde ganz anders verlaufen.
Also sorgte ich für etwas Abwechslung und fuhr aufs Geratewohl umher, wobei ich immer darauf achtete, nicht weiter als einen Kilometer von der Wohnkuppel entfernt zu sein. Dieser Test war schon viel realistischer.
Nach einer Stunde wurde mir kalt. Ich meine, es wurde richtig kalt.
Der Rover ist kalt, wenn man einsteigt. Sofern die Heizung nicht abgestellt ist, wird es allerdings schnell warm. Ich hatte ja damit gerechnet, dass es kalt war, aber du lieber Himmel!
Eine Weile ging es ganz gut. Meine Körperwärme plus drei Schichten Kleidung hielten mich warm, und der Rover besitzt eine hervorragende Isolierung. Die Wärme, die mein Körper abstrahlte, heizte den Innenraum ein wenig auf. Aber es gibt keine perfekte Isolierung, und schließlich verlor sich die Wärme in der weiten Wildnis da draußen, während mir innerlich immer kälter wurde.
Nach einer Stunde schnatterte ich, und meine Gliedmaßen wurden taub. Das reichte mir. Eine lange Fahrt konnte ich auf diese Weise keinesfalls überstehen.
Ich schaltete die Heizung ein und kehrte direkt in die Wohnkuppel zurück.
Dort blies ich eine Weile Trübsal. Die Thermodynamik hatte meine brillanten Pläne zunichtegemacht. Verdammte Entropie!
Nun stecke ich in einer Zwickmühle. Die Heizung frisst jeden Tag die Hälfte meiner Batterieleistung. Ich könnte sie vermutlich ein wenig herunterdrehen. Dann wird mir etwas kalt, aber ich erfriere nicht. Trotzdem würde ich mindestens ein Viertel meiner Reichweite einbüßen.
Das erfordert einiges Nachdenken. Ich frage mich, was Hercule Poirot tun würde, und setze meine kleinen grauen Zellen darauf an, das Problem zu lösen.
Logbuch: Sol 68
So ein Mist.
Ich habe eine Lösung gefunden, aber … erinnern Sie sich an die Verbrennung des Raketentreibstoffs in der Wohnkuppel? Das hier wird sogar noch gefährlicher.
Ich benutze den RTG.
Der RTG (das ist ein Radioisotopengenerator) ist eine große Kiste mit Plutonium. Allerdings ist es nicht die Sorte, die bei Atombomben Verwendung findet. Nein, nein – mein Plutonium ist erheblich gefährlicher.
Plutonium 238 ist ein unglaublich instabiles Isotop. Die radioaktive Strahlung ist so stark, dass es von ganz allein rot glühend wird. Sie können sich sicher vorstellen, dass ein Material, mit dessen Strahlung man buchstäblich Eier braten könnte, sehr gefährlich ist.
Der RTG beherbergt das Plutonium, fängt die Abwärme auf und verwandelt sie in Strom. Es ist kein Reaktor. Die Strahlungsleistung kann nicht erhöht oder vermindert werden. Es ist ein völlig natürlicher Prozess auf atomarer Ebene.
Die NASA hat schon seit den 1960er-Jahren bis hin zum Ares-Programm große RTGs auf unbemannten Missionen eingesetzt. Gegenüber der Solarenergie haben die Geräte viele Vorteile. Stürme beeinflussen sie nicht, sie arbeiten Tag und Nacht, sie können innen eingebaut werden und benötigen keine empfindlichen Solarmodule, die ausgefahren werden müssen.
Bis zum Ares-Programm wurden große RTGs jedoch nie bei bemannten Missionen eingesetzt.
Warum nicht? Das sollte doch jetzt ziemlich offensichtlich sein! Die NASA wollte nicht, dass die Astronauten direkt neben einer glühend heißen und tödlichen radioaktiven Kugel sitzen!
Ich übertreibe jetzt ein wenig. Das Plutonium befindet sich in einem Haufen Pellets, die jedes für sich versiegelt und isoliert sind, damit es keine Strahlungslecks gibt, falls der äußere Behälter zerbricht. Beim Ares-Programm gingen sie das Risiko ein, einen RTG mitzuschicken.
Der kritische Faktor der Ares-Missionen ist das MRM. Es ist wirklich die wichtigste Komponente und eines der wenigen Systeme, die nicht ersetzt oder umgangen werden können. Es ist die einzige Komponente, die eine Mission vollständig zum Scheitern bringt, wenn sie nicht funktioniert.
Solarzellen sind kurzfristig sehr gut, funktionieren langfristig jedoch nur, wenn Menschen da sind, die sie abwischen können. Das MRM steht jahrelang allein herum und produziert leise Treibstoff. Dann wartet es einfach ab, bis die Crew eintrifft. Selbst wenn es nichts tut, braucht es Strom, damit die NASA es aus der Ferne überwachen und Selbsttests durchführen kann.
Die Vorstellung, eine Mission nur wegen einer verschmutzten Solarzelle abbrechen zu müssen, war nicht akzeptabel. Sie brauchten eine zuverlässigere Energiequelle. Deshalb besitzt das MRM ein RTG mit 2,6 Kilogramm Plutonium 238, das beinahe 1500 Watt Wärme erzeugen kann. Die verwandelt es in 100 Watt Elektrizität, um das MRM zu versorgen, bis die Crew eintrifft.
Hundert Watt reichen nicht aus, um die Heizung zu betreiben, aber der Strom ist mir egal. Ich brauche die Wärme. Eine Heizung mit 1500 Watt ist so stark, dass ich die Isolierung aus dem Rover reißen muss, damit es mir nicht zu warm wird.
Sobald die Rover ausgeladen und aktiviert waren, hatte Commander Lewis das Vergnügen, den RTG zu beseitigen. Sie baute ihn aus dem MRM aus, fuhr vier Kilometer weit weg und begrub ihn. So sicher das Ding auch war, es hat einen radioaktiven Kern, und die NASA wollte es nicht in der Nähe ihrer Astronauten wissen.
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