“Also gut”, sagte Teddy. “Fangen Sie an. Fordern Sie aus allen Abteilungen an, wen immer Sie haben wollen. Lassen Sie die Leute Überstunden machen, so viel Sie wollen. Finden Sie einen Weg, mit ihm zu reden. Das ist im Augenblick Ihre einzige Aufgabe.”
“Alles klar.”
“Annie, sorgen Sie dafür, dass niemand Wind von der Sache bekommt, bevor wir an die Öffentlichkeit gehen.”
“Alles klar”, stimmte Annie zu. “Wer ist sonst noch eingeweiht?”
“Nur wir drei und Mindy Park in der SatCon”, sagte Venkat.
“Ich rede mit ihr”, versprach Annie.
Teddy erhob sich und klappte sein Handy auf. “Ich fliege nach Chicago. Morgen bin ich zurück.”
“Warum?”, fragte Annie.
“Watneys Eltern leben dort”, antwortete Teddy. “Ich bin ihnen eine persönliche Erklärung schuldig, ehe sie es aus den Nachrichten erfahren.”
“Sie werden froh sein zu hören, dass ihr Sohn noch lebt”, sagte Annie.
“Ja, er lebt noch”, stimmte Teddy zu. “Aber wenn ich die Daten richtig im Kopf habe, wird er verhungern, ehe wir ihm helfen können. Ich freue mich nicht auf dieses Gespräch.”
“Ja, leck mich doch einer”, sagte Annie sehr nachdenklich.
“Nichts? Überhaupt nichts?”, stöhnte Venkat. “Machen Sie Witze? Sie haben zwanzig Fachleute darauf angesetzt, die zwölf Stunden an dem Problem gearbeitet haben. Wir haben ein zig Milliarden teures Kommunikationsnetzwerk, und Ihnen fällt nicht ein, wie wir mit ihm reden können?”
Die beiden Männer in Venkats Büro rutschten nervös auf den Stühlen hin und her.
“Er hat keinen Funk”, sagte Chuck.
“Genau genommen hat er ein Funkgerät”, ergänzte Morris, “aber er hat keine Schüssel.”
“Es ist nämlich so”, fuhr Chuck fort. “Ohne Schüssel müsste die Sendeleistung wirklich sehr hoch sein …”
“Hoch genug, um Tauben zu braten”, warf Morris ein.
“… damit er das Signal empfängt”, endete Chuck.
“Wir haben über die Marssatelliten nachgedacht”, erklärte Morris. “Sie sind viel näher. Aber es reicht trotzdem nicht. Selbst der SuperSurveyor 3, der die stärksten Sender hat, würde eine vierzehnmal stärkere …”
“Siebzehnmal”, fiel Chuck ihm ins Wort.
“Vierzehnmal”, beharrte Morris.
“Nein, siebzehnmal. Sie vergessen die minimale Stromstärke der Heizspulen, um …”
“Leute”, unterbrach Venkat die beiden. “Ich hab’s begriffen.”
“Entschuldigung.”
“Entschuldigung.”
“Verzeihung, wenn ich so ungehalten bin”, lenkte Venkat ein. “Letzte Nacht habe ich nur zwei Stunden geschlafen.”
“Kein Problem”, sagte Morris.
“Völlig verständlich”, versicherte Chuck ihm.
“Na gut”, sagte Venkat. “Erklären Sie mir, warum ein einziger Sturm unsere Fähigkeit, mit Ares 3 zu sprechen, zerstört hat.”
“Mangel an Fantasie”, gab Chuck zu.
“Damit hat niemand gerechnet”, pflichtete Morris ihm bei.
“Wie viele Reservesysteme für die Kommunikation hat eine Ares-Mission?”, fragte Venkat.
“Vier”, behauptete Chuck.
“Drei”, wandte Morris ein.
“Nein, es sind vier”, korrigierte Chuck ihn.
“Er hat nach Reservesystemen gefragt”, beharrte Morris. “Das schließt das Hauptsystem nicht ein.”
“Oh, richtig. Also drei.”
“Also gibt es insgesamt vier Systeme”, fasste Venkat zusammen. “Erklären Sie mir, wie wir alle vier verloren haben.”
“Tja”, setzte Chuck an. “Das erste System war mit der großen Satellitenschüssel verbunden. Das hat der Sturm zerstört. Die übrigen Reservesysteme waren im MRM.”
“Genau”, bestätigte Morris. “Das MRM ist eine Art Kommunikationsmaschine. Es kann mit der Erde, mit der Hermes und sogar mit den Satelliten rings um den Mars reden, wenn es sein muss. Außerdem besitzt es drei unabhängige Systeme. Es braucht schon einen Meteoreinschlag, um die Kommunikation zu unterbrechen.”
“Das Problem ist nur, dass Commander Lewis und die anderen das MRM beim Start mitgenommen haben”, sagte Chuck.
“Demnach ist von vier unabhängigen Kommunikationssystemen nur eins geblieben, und das ist kaputt”, ergänzte Morris.
Venkat kniff sich in den Nasenrücken. “Wie konnten wir das übersehen?”
Chuck zuckte mit den Achseln. “Wir sind einfach nicht darauf gekommen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich jemand ohne MRM auf dem Mars aufhält.”
“Ich meine, mal ehrlich!”, warf Morris ein. “Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?”
Chuck wandte sich an ihn. “Eins zu drei, wie uns die empirischen Daten sagen. Das ist ziemlich mies, wenn man es recht bedenkt.”
Es würde einen Sturm der Empörung geben, so viel war Annie schon vorher klar. Sie musste das größte Schuldeingeständnis in der Geschichte der NASA machen, und jede Sekunde würde sich für immer in die Erinnerungen der Menschen einprägen. Jede Geste, jede Betonung, jedes Mienenspiel würden Millionen Menschen immer und immer wieder sehen. Nicht nur in den aktuellen Berichten, sondern in den nächsten Jahrzehnten. Jeder Dokumentarfilm über Watneys Schicksal würde diese Ausschnitte enthalten.
Sie war sicher, dass ihr diese Sorgen nicht anzumerken waren, als sie die Bühne betrat.
“Danke, dass Sie alle so kurzfristig herkommen konnten”, sagte sie zu den versammelten Reportern. “Wir müssen eine wichtige Ankündigung machen. Wenn Sie jetzt bitte Platz nehmen wollen?”
“Was ist los, Annie?”, fragte Bryan Hess von NBC. “Ist etwas mit der Hermes passiert?”
“Bitte nehmen Sie Platz”, wiederholte Annie.
Die Reporter wuselten umher, zankten sich kurz um die Sitzplätze und ließen sich endlich nieder.
“Dies ist eine kurze, aber sehr wichtige Presseerklärung”, sagte Annie. “Ich werde jetzt keine Fragen beantworten, aber wir werden in etwa einer Stunde eine Pressekonferenz abhalten, auf der wir auf Ihre Fragen eingehen. Nach Auswertung der letzten Satellitenbilder vom Mars können wir nun bestätigen, dass der Astronaut Mark Watney im Moment noch am Leben ist.”
Nach einer vollen Sekunde tiefster Stille brach ein Lärm aus, der nur mit einer Explosion zu vergleichen war.
Eine Woche nach der verblüffenden Verlautbarung war die Meldung immer noch die wichtigste Schlagzeile in allen Nachrichtensendungen der Welt.
“Ich habe die täglichen Pressekonferenzen satt”, flüsterte Venkat Annie zu.
“Ich habe die stündlichen Pressekonferenzen satt”, flüsterte Annie zurück.
Die beiden drängten sich mit unzähligen anderen NASA-Managern und Direktoren auf der kleinen Bühne des Presseraums. Sie standen vor einer Meute hungriger Reporter, die nach jedem Fitzelchen neuer Informationen lechzten.
“Entschuldigen Sie die Verspätung”, sagte Teddy, der gerade zur Seitentür hereinkam. Er zog ein paar Karteikarten aus der Tasche, fasste sie mit beiden Händen und räusperte sich.
“Seit wir bekannt gegeben haben, dass Mark Watney überlebt hat, wurde uns eine überwältigende Unterstützung aus allen Bereichen zuteil. Wir nutzen sie auf schamlose Weise in jeder nur denkbaren Hinsicht.”
Einige Zuhörer kicherten leise.
“Gestern konzentrierte sich auf unsere Bitte hin das ganze SETI-Netzwerk auf den Mars, nur für den Fall, dass Watney ein schwaches Funksignal sendet. Wie sich herausstellte, war das nicht der Fall, aber dies zeigt, wie entschlossen alle sind, uns zu helfen. Die Öffentlichkeit beteiligt sich, und wir bemühen uns, Sie alle gut zu informieren. Wie ich gerade erfahren habe, will CNN diesem Thema jede Woche eine halbstündige Sendung widmen. Wir werden mehrere Pressereferenten für die Sendung abstellen, damit die Öffentlichkeit so schnell wie nur irgend möglich die neuesten Informationen bekommt. Unterdessen haben wir die Umlaufbahnen dreier Satelliten geändert, um den Standort von Ares 3 besser beobachten zu können. Wir hoffen, bald ein Bild von Mark außerhalb der Wohnkuppel aufzufangen. Wenn wir ihn draußen sehen, können wir aus der Körperhaltung und seinen Aktivitäten Rückschlüsse auf seine physische Verfassung ziehen. Inzwischen stehen wir vor vielen Fragen: Wie lange hält er durch? Wie viel Proviant hat er noch? Kann Ares 4 ihn retten? Wie können wir ihn abholen? Die Antworten auf diese Fragen sind im Moment noch nicht das, was wir gern hören würden. Ich kann nicht versprechen, dass wir ihn wirklich retten können, aber ich kann Ihnen versichern, dass sich die ganze NASA darauf konzentriert, Mark Watney nach Hause zu holen. Das wird unsere einzige und vordringlichste Aufgabe sein, bis er entweder zurück auf der Erde oder zweifelsfrei auf dem Mars verstorben ist.”
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