Ich beschloss, keinen Raumanzug anzulegen. Der atmosphärische Druck war in Ordnung, ich brauchte lediglich Sauerstoff. Deshalb schnappte ich mir einen Sauerstoffbehälter und eine Atemmaske aus der medizinischen Abteilung. Auf diese Weise hatte ich viel mehr Bewegungsfreiheit. Ich hatte sogar ein Gummiband, damit das Ding auf meinem Gesicht haftete!
Allerdings brauchte ich einen Raumanzug, um den tatsächlichen Sauerstoffgehalt in der Wohnkuppel zu messen, da der Hauptcomputer überzeugt war, die Atmosphäre bestünde zu 100 Prozent aus Sauerstoff. Mal sehen … Martinez’ Anzug war im Rover. Johannsens Anzug überlistete den Regler. Lewis’ Anzug diente als Wassertank. Meinen eigenen wollte ich nicht benutzen, denn es war eine Maßanfertigung. Also blieben noch zwei Anzüge, mit denen ich arbeiten konnte.
Ich schnappte mir Vogels Anzug und aktivierte die inneren Luftsensoren, ohne den Helm aufzusetzen. Sobald der Sauerstoffgehalt auf 12 Prozent gefallen war, setzte ich die Atemmaske auf. Ich sah zu, wie der Wert weiter und weiter sank. Als er bei ein Prozent angelangt war, schaltete ich die Stromversorgung des Reglers ab.
Es war vielleicht nicht möglich, den Regler umzuprogrammieren, aber ich konnte den Drecksack völlig abschalten.
Für den Fall eines kritischen Zusammenbruchs der Stromversorgung gibt es an vielen Stellen in der Wohnkuppel Taschenlampen. Ich riss die LED-Leuchten aus einer heraus und ließ die beiden zerfransten Drähte dicht nebeneinander hängen. Sobald ich die Lampe einschaltete, entstand ein kleiner Funken.
Schließlich holte ich einen O2-Behälter aus Vogels Anzug, brachte an beiden Enden Riemen an und schlang ihn mir über die Schulter. Danach setzte ich einen Luftschlauch auf den Behälter und knickte ihn mit dem Daumen ab. Ich ließ nur einen winzigen Strom O2 entweichen – schwach genug, um durch den Knick noch einmal stark gedrosselt zu werden.
Dann stieg ich mit meinem Knallfunkengeber in einer und dem Sauerstoffschlauch in der andern Hand auf den Tisch, hob beides hoch und versuchte es.
Beim Himmel, es funktionierte! Ich ließ den Sauerstoff über den Funkengeber streichen, schaltete die Taschenlampe ein und sah vor dem Schlauch eine wunderschöne Stichflamme. Natürlich brüllte der Feueralarm los, aber ich hatte ihn in der letzten Zeit so oft gehört, dass ich kaum noch darauf achtete.
Dann tat ich es wieder. Und wieder. Kurze Stöße, nichts Großartiges. Ich war ganz zufrieden damit, mir Zeit zu lassen.
Ich war begeistert! Das war der beste Plan, den ich je verfolgt hatte! Ich räumte nicht nur den Wasserstoff weg, sondern produzierte zugleich mehr Wasser!
Alles verlief großartig, bis es eine Explosion gab.
In einem Moment habe ich fröhlich Wasserstoff verbrannt, im nächsten lag ich auf der anderen Seite der Wohnkuppel, und eine Menge Sachen waren umgeworfen. Stolpernd richtete ich mich auf und sah mir das Durcheinander in der Wohnkuppel an.
Mein erster Gedanke war: “Mir tun die Ohren höllisch weh!”
Dann dachte ich: “Mir ist schwindlig”, und ich sank auf die Knie. Als Nächstes fiel ich der Länge nach hin, so benommen war ich. Mit beiden Händen tastete ich nach dem Kopf, suchte nach einer Verletzung und hoffte inständig, nichts zu finden. Mein Kopf war anscheinend in Ordnung.
Doch als ich den Kopf abtastete, erkannte ich das wahre Problem. Die Explosion hatte mir die Sauerstoffmaske vom Kopf gerissen. Ich atmete beinahe reinen Stickstoff.
Der Boden war mit Trümmern bedeckt. Ich konnte nicht hoffen, die medizinische Sauerstoffflasche dort zu finden, ehe ich ohnmächtig wurde.
Dann entdeckte ich Lewis’ Raumanzug, der genau dort hing, wo er hängen sollte. Er hatte sich bei der Explosion nicht gerührt. Er war schwer und außerdem mit 70 Litern Wasser gefüllt.
Ich eilte hin, drehte rasch den Sauerstoff auf und steckte den Kopf in die Halsöffnung. Den Helm hatte ich schon eine Weile vorher entfernt, um leichter an das Wasser zu gelangen. Ich atmete eine Weile, bis die Benommenheit abklang, dann holte ich noch einmal tief Luft und hielt den Atem an.
Mit angehaltenem Atem blickte ich zu dem Raumanzug und dem Laubsack, mit dem ich den Regler überlistet hatte. Die schlechte Nachricht war, dass ich beides nicht entfernt hatte. Die gute Nachricht war, dass die Explosion dies für mich erledigt hatte. Acht der neun Einlassöffnungen des Reglers waren noch versperrt, doch diese eine verriet dem Gerät die Wahrheit.
Ich stolperte zum Regler und schaltete ihn ein.
Nach einem Startprozess, der nur zwei Sekunden dauerte (aus offensichtlichen Gründen war das Ding so gebaut, dass es sehr schnell startete), erkannte es das Problem.
In der Wohnkuppel schrillte der Sauerstoffalarm, während der Regler so schnell wie möglich reinen Sauerstoff in die Atmosphäre pumpte. Sauerstoff aus der Atmosphäre zu entfernen ist schwierig und erfordert Zeit. Sauerstoff hinzuzufügen ist sehr einfach. Man muss nur ein Ventil öffnen.
Ich kletterte über die Trümmer zu Lewis’ Raumanzug zurück und steckte den Kopf in die Öffnung, um noch einmal durchzuatmen. Nach drei Minuten hatte der Regler in der Wohnkuppel einen normalen Sauerstoffpegel hergestellt.
Erst da bemerkte ich, wie stark meine Kleidung verbrannt war. Nur gut, dass ich drei Schichten übereinander getragen hatte. Die Ärmel waren am stärksten beschädigt. Die äußerste Schicht war völlig verschwunden, die mittlere versengt und an einigen Stellen verbrannt. Die innere Schicht, meine eigene Uniform, war einigermaßen intakt. Anscheinend hatte ich wieder einmal Glück gehabt.
Der Hauptcomputer der Wohnkuppel verriet mir, dass die Temperatur auf 15 ° gestiegen war. Irgendetwas war sehr heiß und sehr heftig explodiert. Ich wusste nur nicht, was es war und wie es dazu gekommen war.
An diesem Punkt stehe ich jetzt. Ich frage mich, was, zum Teufel, passiert ist.
Nach all der Arbeit und der Explosion bin ich erschöpft. Morgen muss ich eine Million Systemprüfungen durchführen und mir überlegen, was explodiert ist, aber jetzt will ich nur noch schlafen.
Diese Nacht werde ich wieder im Rover verbringen. Auch wenn der Wasserstoff verbraucht ist, habe ich keine Lust, in einer Wohnkuppel zu bleiben, in der es aus keinem erkennbaren Grund Explosionen gibt. Außerdem kann ich nicht sicher sein, ob sie nicht leckgeschlagen ist.
Dieses Mal habe ich mir eine vollständige Mahlzeit genehmigt und mir Musik ausgesucht, die nicht nach Disco klingt.
Logbuch: Sol 41
Den ganzen Tag über habe ich Diagnosen sämtlicher Systeme in der Wohnkuppel durchgeführt. Es war unglaublich langweilig, aber mein Überleben hängt von den Maschinen ab, also musste ich es tun. Ich kann nicht einfach unterstellen, dass die Explosion keinen bleibenden Schaden hinterlassen hat.
Zuerst waren die wichtigsten Prüfungen an der Reihe, wie etwa die Integrität der Außenwand. Ich war ziemlich sicher, dass sie sich in einem guten Zustand befand, denn ich hatte vor meiner Rückkehr ein paar Stunden im Rover geschlafen und anschließend festgestellt, dass der Druck in Ordnung war. Abgesehen von winzigen Schwankungen, die auf die Temperatur zurückzuführen waren, hatte der Computer keine Druckveränderungen gemessen.
Dann überprüfte ich den Oxygenator. Wenn das Gerät seinen Dienst einstellt – und ich kann es nicht reparieren –, dann bin ich tot. Auch dort keine Probleme.
Danach der Atmosphäreregler. Ebenfalls einwandfrei.
Die Heizung, die Primärbatterie, Sauerstoff- und Stickstoffvorräte, Wasseraufbereiter, alle drei Luftschleusen, Beleuchtung, Hauptcomputer … so ging es immer weiter, und ich fühlte mich besser und besser, weil alle Systeme in perfekter Verfassung waren.
Eins muss man der NASA lassen: Sie weiß, wie man zuverlässige Sachen baut.
Dann kam der kritische Teil … die Überprüfung der Erde. Ich nahm ein paar Proben aus der ganzen Wohnkuppel, die inzwischen vollständig mit Erde bedeckt war, und verteilte sie auf Objektträger. Mit zitternden Händen schob ich ein Glasplättchen ins Mikroskop und holte die Darstellung auf den Bildschirm. Da waren sie! Gesunde, aktive Bakterien, die ihrem Tagwerk nachgingen. Anscheinend sollte ich zu Sol 400 doch nicht verhungern. Ich sank auf einen Stuhl und wartete, bis mein Atem wieder normal war.
Читать дальше