„Sind die Jäger bereit zum Aufbruch?“ Barlennans Frage brachte die Leute wieder zum Schweigen.
„Wir haben noch nicht gegessen“, antwortete Merkoos bedächtig, „aber die Waffen liegen bereit.“
„Ist das Essen fertig?“
„Es dauert nicht mehr lange.“ Karondrasee, der Schiffskoch, machte sich ohne weitere Befehle auf den Weg zu seiner Kombüse.
„Don, Merkoos, ihr nehmt beide eine dieser Maschinen. Ihr habt gesehen, wie ich mein Funkgerät benütze — man braucht nur irgendwo in seiner Nähe zu sprechen. Mit seiner Hilfe sich wirklich große Zangenbewegungen möglich, weil die Führer einander nicht zu sehen brauchen.“
Barlennan zögerte und fuhr dann fort: „Don, ich bleibe wahrscheinlich nicht an Bord, wie ich es ursprünglich vorhatte. Ich habe festgestellt, daß man von der Fahrmaschine des Fliegers aus einen guten Blick über weite Entfernungen hat; wenn er zustimmt, fahre ich mit ihm in euer Jagdgebiet.“
„Aber… aber…“ Dondragmer war sichtlich erschüttert. „Vertreibt das Ding nicht alles Wild? Man hört es schon aus hundert Meter Entfernung, und ich weiß nicht, wie weit es sichtbar ist. Außerdem…“ Er schwieg, weil er nicht wußte, wie er den wichtigsten Einwand vorbringen sollte. Barlennan sprach für ihn weiter.
„Außerdem könnte sich niemand auf die Jagd konzentrieren, solange ich dort oben sitze — ist das der Grund?“ Die Zangen des Maats bewegten sich zustimmend, und der größte Teil der Besatzung machte die gleiche Bewegung.
Der Kommandant wollte schon an ihre Vernunft appellieren, aber dann fiel ihm ein, wie zwecklos dieser Versuch wäre. Er wußte nicht mehr bestimmt, wie er selbst auf einen Plan dieser Art reagiert hätte, aber ihm war jedenfalls klar, daß er sich ebensowenig von ›vernünftigen‹ Argumenten hätte überzeugen lassen.
„Einverstanden, Don, ich bestehe nicht darauf — du hast vermutlich recht. Ich bleibe in Funkverbindung mit dir, aber immer außer Sichtweite.“
„Willst du wirklich auf diesem Ding fahren? Was ist plötzlich mit dir los? Ich weiß, daß hier am Rand der Welt ein kleiner Fall harmlos ist, aber ich würde es nie über mich bringen, diesen Fall geradezu herauszufordern, und ich kann nicht einsehen, was andere dazu bewegen könnte. Ich mag mir nicht einmal vorstellen, wie man sich dort oben fühlt.“
„Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich erst neulich an einem Mast aufgerichtet“, antwortete Barlennan trocken. „Oder war das ein anderer, der die Rahen überprüfen wollte, ohne den Mast umzulegen?“
„Das war etwas anderes — ich hatte schließlich sechs Füße an Deck“, erwiderte Dondragmer kleinlaut.
„Dein Kopf wäre trotzdem tief gefallen. Ich habe ähnliche Kunststücke bei anderen beobachtet. Du erinnerst dich vielleicht noch an meinen Befehl, diese Scherze zu unterlassen.“
„Ist der Befehl noch in Kraft, seitdem du…“ Der Maat zögerte, aber Barlennan wußte genau, was er hatte sagen wollen.
„Der Befehl wird hiermit aufgehoben“, sagte der Kommandant langsam. „Der Grund besteht nach wie vor, aber wenn einer von euch nach der Rückkehr Schwierigkeiten hat, ist er selbst dafür verantwortlich. In Zukunft muß jeder selbst wissen, was er tut. Will jemand mitfahren?“
Entsetzte Ablehnung von allen Seiten.
„Macht euch für die Jagd fertig. Ich höre euch zu.“ Mit diesen Worten entließ der Kommandant die Besatzung, die gehorsam zur Bree zurückströmte. Barlennan wandte sich an Ladeland und teilte ihm mit, was der Flieger seiner Meinung nach erfahren durfte. Der Kommandant war dabei etwas geistesabwesend, denn während der Unterhaltung war er auf einige brandneue Ideen gekommen. Aber damit konnte er sich noch beschäftigen, wenn er wieder mehr Zeit hatte. Im Augenblick hatte er nur den Wunsch, nochmals auf dem Dach des Raupenschleppers mitfahren zu dürfen.
Die Bucht, an deren Südufer die Bree überwinterte, war etwa zwanzig Kilometer lang und an der Mündung kaum zwei Kilometer breit. Sie begann am Südufer eines größeren Golfs mit etwa dreihundertfünfzig Kilometer Länge und ähnlicher Form, der seinerseits nur eine Fortsetzung des offenen Meeres war, das sich unbestimmbar weit über die nördliche Hemisphäre erstreckte, wo es allmählich ins Eis des Polargebiets überging. Bucht, Golf und Meer verliefen ziemlich genau von Osten nach Westen, wobei zwischen Bucht und Golf, aber auch zwischen Golf und Meer schmale Halbinseln Schutz vor Wind und Stürmen boten. Die Position der Bree war besser gewählt, als Barlennan ahnte, denn die Halbinseln schützten sie an ihrem Liegeplatz vor Stürmen aus dem Norden. Dreißig Kilometer westlicher war dieser Schutz jedoch nicht mehr wirksam, und Barlennan und Lackland konnten sich vorstellen, was aus der Bree geworden wäre, wenn ihr Kommandant nicht instinktiv den besten Liegeplatz gewählt hätte.
Hier war der Strand überall mit bewegungslosen dunklen Massen bedeckt, die der letzte Sturm an Land geworfen hatte. Zum Teil handelte es sich dabei um große Klumpen Seetang — Lackland fühlte sich wenigstens daran erinnert —, aber sie sahen auch Meerestiere in verschiedenen Größen und Formen. Lackland wunderte sich nicht so sehr über die Ausmaße dieser Tiere, sondern vor allem über die Tatsache, daß ihre Kadaver so weit landeinwärts lagen. Ein geradezu gigantisches Tier lag fast einen Kilometer vom Strand entfernt, und Lackland sah zum erstenmal mit eigenen Augen, was die Stürme von Mesklin anrichten konnten, wenn sie hundert Kilometer offenes Meer vor sich hatten, dessen Wogen sie aufpeitschen konnten.
„Was wäre aus deinem Schiff geworden, Barlennan, wenn es solchen Brechern ausgesetzt gewesen wäre?“
„Auf dein Meer hätten wir nichts zu befürchten, denn die Bree würde darüber hinweggleiten; wäre sie jedoch wie jetzt am Strand vertäut, hätten die Wellen alles kurz und klein geschlagen. Ich hätte nie gedacht, daß es hier am Rand so hohe Wellen gibt — aber wahrscheinlich sind selbst die größten harmlos, weil sie nicht viel wiegen.“
„Das Gewicht spielt in diesem Fall kaum eine Rolle, fürchte ich; dein erster Eindruck war vermutlich richtig.“
„Daran habe ich auch gedacht, als wir nach einem Liegeplatz suchten. Aber ich muß zugeben, daß mich die Größe der Wellen überrascht hat. Kein Wunder, daß hier am Rand der Welt öfters Schiffe spurlos verschwinden.“
„Dabei kann es hier nickt sehr schlimm gewesen sein. Wenn ich mich recht erinnere, liegt dort drüben noch eine zweite Landzunge, deren Höhenzüge auf unseren Bildern deutlich zu sehen waren. Dadurch wird der Wind etwas abgehalten.“
„Eine zweite Landzunge? Das habe ich nicht gewußt. Soll das heißen, daß jenseits der Halbinsel eine weitere Bucht liegt?“
„Richtig. Ich habe nur nicht daran gedacht, daß ihr meistens in Küstennähe bleibt. Ihr seid von Westen gekommen, nicht wahr?“
„Ja. Diese Küste verläuft etwa fünftausend Kilometer weit in westlicher Richtung und biegt dann allmählich nach Süden ab. Sie ist sehr unregelmäßig, denn an einer Stelle muß man sogar achthundert Kilometer nach Osten, aber ich schätze, daß unser Heimathafen etwa sechsundzwanzigtausend Kilometer in gerader Linie von hier entfernt ist — die Fahrt an der Küste entlang ist natürlich sehr viel länger.“
Der Raupenschlepper kroch inzwischen über den Sand auf das gestrandete Ungetüm zu. Lackland wollte es selbstverständlich genauer untersuchen, weil er bisher kaum Gelegenheit gehabt hatte, die Tierwelt von Mesklin zu studieren. Barlennan war einverstanden, denn er hatte auf allen seinen Reisen noch nie ein so merkwürdiges Seeungeheuer zu Gesicht bekommen.
Seine Gestalt war weder für Lackland noch für Barlennan überraschend: Der Mensch dachte dabei an einen ungewöhnlich stromlinienförmigen Wal, und der Mesklinit fühlte sich an eine außerordentlich dicke Seeschlange erinnert. Der Kadaver erstreckte sich zweihundert Meter weit über den Sand, schien im Leben rund gewesen zu sein und hatte einen Durchmesser von etwa fünfundzwanzig Meter. Da er jetzt nicht mehr von einer Flüssigkeit gestützt und getragen wurde, sah er wie ein Wachsmodell aus, das zu lange in der Sonne gelegen hat. Lackland starrte das Ungetüm verblüfft an und versuchte auszurechnen, wieviel es wiegen mochte.
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