Conway hörte auf zu bohren und entnahm aus dem Innern des Schranks eine Atmosphäreprobe, bevor er antwortete. „Captain, in diesem Behälter steckt jedenfalls kein terrestrischer DBDG mit Grippe“, entgegnete er, während er Murchison die Probe zur Analyse übergab. „Vielmehr werden wir auf einen ET einer bislang unbekannten Spezies stoßen, der dringend medizinische Hilfe benötigt. Und von extraterrestrischen Krankheitserregern haben wir nichts zu befürchten, das hab ich Ihnen ja schon erklärt.“
„Ich mache mir ja auch nur Sorgen über die Ausnahme, die die Regel bestätigen könnte, Doktor“, erwiderte der Captain hartnäckig. Dennoch öffnete er das Visier an seinem Helm, um so allen zu zeigen, daß er sich nicht allzu große Sorgen machte.
„Doktor Prilicla, bitte in zehn Minuten zur Luftschleuse“, bat Haslams Stimme aus dem Kontrollraum.
Der kleine Empath schwebte kurz über dem Container und versicherte, daß mit der emotionalen Ausstrahlung des Überlebenden keine spürbare Veränderung vorgegangen sei. Er befinde sich noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit, sei aber weit davon entfernt, unheilbar krank zu sein. Dann eilte Prilicla zur Luftschleuse, damit er beim Nahanflüg des Astronavigators an das nächste Wrackteil sagen konnte, ob auch dort drinnen irgend jemand überlebt hatte oder nicht. Als der Cinrussker das Kommandodeck verließ, blickte Murchison vom Bildschirm des Analysators auf.
„Wenn man davon ausgeht, daß die erste Probe aus einer Kabine mit normaler Atmosphärezusammensetzung und normalem Druck stammt, dann könnten wir uns — abgesehen von ein paar harmlosen, in unserer Schiffsatmosphäre nicht enthaltenen Spurenelementen — ziemlich glücklich schätzen, die gleiche Luft zu atmen wie diese Aliens“, berichtete sie. „Die Probe aus dem Schrank hingegen hat nur den halben Normaldruck und einen hohen Kohlendioxid- und Wasserdampfgehalt. Kurz gesagt, die Luft im Schrank ist gefährlich dünn und verbraucht. Je eher wir den Alien dort herausholen, desto besser.“
„Gut“, erwiderte Conway. Er zog den Bohrer zur Entnahme der Proben heraus, ohne dabei das entstandene Loch wieder zu verschließen. Als die Luft des Unfalldecks pfeifend in den Schrank hineinströmte, fügte er hinzu: „Öffnen Sie bitte die Tür, Captain.“
Der Container lag jetzt auf der Rückseite, so daß sich der Verschluß der Öffnungsklappe, eine rechteckige Metallplatte mit drei kegelförmigen Vertiefüngen, oben befand. Fletcher zog einen seiner Handschuhe aus, drückte drei Finger fest in die Einkerbungen und schob die Platte zur Seite. Es klickte laut und Fletcher schwang die Tür nach oben. Im Innern des Schranks lag eine einzige wirre, blutige Masse.
Conway brauchte mehrere Minuten, um das Vorgefallene zu begreifen und die blutdurchtränkte Kleidung oder das Bettzeug um den Überlebenden herum zu entfernen. Der Container hatte früher einmal tatsächlich als Schrank gedient und wohl über zwanzig Regale enthalten. Diese hatte man eiligst herausgezogen und die metallenen Regalträger zum Schutz des Insassen mit Bettzeug oder Kleidungsstücken gepolstert. Aber die Kollision war sehr heftig gewesen, und außerdem hatte man für eine fachmännische Befestigung der Polsterung an den Trägern keine Zeit mehr gehabt. Deshalb waren sowohl die Polsterung als auch der Überlebende im Innern des Schranks durcheinandergewirbelt worden. Der bedauernswerte Alien, der noch immer aus zahllosen Rißwunden blutete, die von den scharfkantigen Regalträgern herbeigeführt worden waren, war fest in eine Ecke des Metallschranks gepreßt worden. Durch die vom geronnenen Blut völlig verfilzten und büschelig gewordenen Pelzhaare hindurch konnte man das buntgestreifte Fell des Aliens kaum noch erkennen.
Murchison und Naydrad halfen Conway, den Überlebenden mit äußerster Vorsicht aus dem Schrank herauszuheben und auf den Untersuchungstisch zu legen. Eine der klaffenden Wunden an der Seite begann wieder stärker zu bluten, aber bisher wußten sie noch nicht genug über das Wesen, um es zu riskieren, eins der üblichen Gerinnungsmittel anzuwenden.
„In seiner Kabine hat es anscheinend keine Raumanzüge gegeben“, sagte Conway, während er den Körper des Aliens mit dem Scanner abtastete. „Aber die Insassen der Kabine müssen ein paar Minuten vor der Kollision Bescheid gewußt haben. Unserem Patienten hier hat die Zeit anscheinend gereicht, den Schrank leerzuräumen, auszupolstern und hineinzusteigen. Die restlichen drei, die wir gesehen haben, hat er in der Kabine zurückgelassen und so dem.“
„Nein, Doktor“, widersprach der Captain. Er zeigte auf den luftdichten Schrank und fuhr fort: „Den kann man nicht von innen öffnen oder schließen. Die vier Aliens müssen sich entschlossen haben, wer von ihnen überleben sollte. Und für dieses Überleben haben sie ihr Bestes getan. Sie haben äußerst schnell und, ich würde sagen, ohne lange Diskussionen gehandelt. Als Spezies scheinen sie sehr. ah. zivilisiert zu sein.“
„Aha“, entgegnete Conway ohne aufzublicken.
Er wußte zwar nicht, ob eins der inneren Organe des Überlebenden stärker verschoben war, doch nach dem Scanner zu urteilen, wies keins der größeren Orgore Verletzungen oder eine vollkommen falsche Lage auf. Das Rückgrat war ebenfalls unverletzt, ebenso wie der langgestreckte Brustkorb. Auf dem Rücken befand sich direkt über dem Ansatz des dicken, pelzigen Schwanzes eine hellrosa Stelle, die Conway zuerst für einen Fleck hielt, an dem das Fell fehlte, aber eine genauere Untersuchung zeigte, daß es sich um ein natürliches Merkmal handelte. Außerdem entdeckte Conway an dieser Stelle große, schuppige Flocken, an denen anscheinend irgendein Farbstoff haftete. Der gegen den Körper gedrückte und vom Schwanz teilweise verdeckte Kopf des Wesens war kegelförmig, mit dichtem Fell besetzt und erinnerte entfernt an ein Nagetier. Der Schädel selbst schien zwar unversehrt zu sein, wies aber an mehreren Stellen Spuren von subkutanen Blutungen auf, die sich bei einem Wesen ohne Gesichtsfell als starke blaue Flecken gezeigt hätten. Auch aus dem Mund des Alien rann etwas Blut, doch Conway konnte sich nicht sicher sein, ob diese Blutung die Folge einer äußeren Einwirkung oder einer durch Dekompression verursachten Lungenverletzung war.
„Helfen Sie mir, ihn in ausgestreckte Lage zu bringen“, bat er Naydrad. „Es sieht so als, als ob er sich zu einer Kugel zusammenzurollen versucht hat. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine instinktive Verteidigungshaltung, die diese Spezies bei der Bedrohung durch natürliche Feinde einnimmt.“
„Genau das ist einer der Punkte, über die ich mir bei diesem Patienten den Kopf zerbreche“, erklärte Murchison, wobei sie von einer der Leichen aufsah, die sie gerade untersuchte. „Soweit ich das beurteilen kann, verfügen diese Wesen nämlich über keine natürlichen Angriffs- oder Verteidigungswaffen und weisen auch keinerlei Anzeichen auf, sie früher einmal besessen zu haben. Bedenkt man die Tatsache, daß dies hier wahrscheinlich die dominante intelligente Lebensform eines Planeten ist, dann verstehe ich nicht, wie sie dominierend werden konnte. Diese Wesen können nicht einmal vor Gefahren fliehen, weil ihre Gliedmaßen keine schnelle Fortbewegung zulassen. Das zum Gehen benutzte Beinpaar ist zu kurz und mit Ballen versehen, während das vordere Paar schlanker und weniger muskulös gebaut ist und in vier extrem beweglichen Zehen endet, die an der Spitze nicht einmal so einen Schutz wie Fingernägel besitzen. Natürlich gibt es da noch die Zeichnung des Fells, aber es geschieht doch äußerst selten, daß eine Lebensform allein durch die Art der Tarnung an die Spitze des Evolutionsbaums klettert. und erst recht nicht, weil sie so lieb und knuddelig ist. Das alles ist wirklich seltsam.“
„Das klingt ja ganz so, als ob dieser Alien von einem Planeten stammte, der für Cinrussker das reinste Paradies wäre“, warf Prilicla ein, der kurz von seinem Dienst an der Luftschleuse zurückgekommen war.
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