„Sie müssen wissen, Doktor, daß bei den drei ersten von uns untersuchten Wrackteilen die Chancen am größten waren, Überlebende zu finden“, führ Fletcher | fort. „Danach hat die Wahrscheinlichkeit für das Aufspüren von Überlebenden stark abgenommen, genauso wie auch die Größe der Wrackteile, die wir uns angesehen haben, von Mal zu Mal geringer geworden ist. | Wenn Sie nicht an Wunder glauben, Doktor, dann vergeuden wir hier nur unsere Zeit.“
„Ich verstehe“, erwiderte Conway, wobei er diesmal etwas weniger skeptisch klang.
„Falls Ihnen das helfen sollte, eine Entscheidung zu treffen, Doktor, kann ich Ihnen sagen, daß die Bedingungen für den Sübraumfünk hier draußen ausgezeichnet sind“, führ der Captain fort. „Mit dem Kontakt- und Vermessungskreuzer Descartes haben wir bereits in beide Richtungen Funkkontakt hergestellt. Wenn Hinweise auf eine unbekannte intelligente Spezies entdeckt werden, ist das meine Pflicht. Wegen der Dringlichkeit dieser Angelegenheit wird die Besatzung der Descartes das Wrack nach allen verfügbaren Daten über die neue Spezies durchforsten und durch eine Analyse der Geschwindigkeiten und Flugrichtungen der Trümmerteile zumindest grob den Abfugpunkt und das Ziel des Alienschiffs bestimmen. Hier draußen gibt es ja relativ wenig Sterne, deshalb müßten die Leute von der Descartes den Heimatplaneten und sein Sternsystem ziemlich leicht ausfindig machen können — schließlich sind die für so etwas Spezialisten. Höchstwahrscheinlich wird die Kontaktaufnahme mit den Aliens schon innerhalb der nächsten paar Wochen gelingen, vielleicht sogar noch eher. Außerdem hat die Descartes zwei Planetenlandefähren an Bord, die man im All sowohl als Such- als auch als Rettungsschiff für Kurzstrecken einsetzen kann. Natürlich haben die nicht Prilicla an Bord, aber mit Hilfe dieser kleinen Schiffe können die restlichen Wrackteile viel schneller durchsucht werden als das durch uns der Fall wäre, Doktor.“
„Wann trifft die Descartes ein?“ fragte Conway.
„Unter Berücksichtigung verschiedenster Unwägbarkeiten beim Auftauchen aus dem Hyperraum bezüglich der Astronavigation spätestens in vier bis fünf Stunden“, antwortete Fletcher.
„Na prima“, entgegnete Conway, wobei er seine Erleichterung gar nicht erst zu verbergen versuchte. „Wenn sich im nächsten Wrackteil keine Überlebenden befinden sollten, dann kehren wir unverzüglich zum Hospital zurück, Captain.“ Er schwieg einen Moment lang, blickte auf die Überlebende und die Leichname ihrer Artgenossen, die es nicht geschafft hatten, und sah dann Murchison an. „Falls die Descartes den Heimatplaneten findet und schnell Kontakt herstellt, richten Sie der Mannschaft aus, sie möge um medizinische Hilfe für unsere Freundin hier bitten“, fügte er hinzu. „Die Crew soll sich nach einem einheimischen Arzt erkundigen, der freiwillig zum Orbit Hospital mitkommt, um dort bei der Behandlung zu assistieren oder die Patientin, wenn nötig, ganz zu übernehmen. Bei Patienten, die uns völlig unbekannten Lebensformen angehören, dürfen wir uns keinen falschen Stolz leisten.“
Conway dachte auch daran, daß ein solcher einheimischer Arzt bestimmt bereit sein würde, sein Wissen für ein Schulungsband zur Verfügung zu stellen, sobald er sich erst einmal an die Vielfalt der Lebensformen im Orbit Hospital gewöhnt hatte. Sollte nämlich noch einmal ein Angehöriger seiner Spezies als Patient eingeliefert werden, würden die Mitarbeiter des Orbit Hospitals auf diese Weise wissen, was sie zu tun hatten.
„Identifizieren Sie sich bitte“, forderte sie eine ausdruckslose Translatorstimme von der Anmeldezentrale auf.
„Patient, Besucher oder Mitarbeiter? Und welche Spezies?“ Die Rhabwar war erst vor wenigen Minuten im Normalraum wieder aufgetaucht, und das Orbit Hospital wirkte aus der Ferne lediglich wie ein recht großer, verschwommener Planet vor einem Hintergrund aus kleineren und helleren Sternen. „Falls Sie sich allerdings wegen körperlicher Verletzungen, geistiger Verwirrung oder Unkenntnis der relevanten Einzelheiten über die genaue physiologische Klassifikation nicht sicher sind oder diese überhaupt nicht angeben können, stellen Sie bitte Sichtkontakt her.“
Conway sah Captain Fletcher an, der die Mundwinkel nach unten zog und gleichzeitig eine Augenbraue hob. Mit diesem Mittel wortloser Verständigung drückte der Captain die Ansicht aus, daß derjenige, der diese medizinische Fachsprache verstand, auch am besten zur Beantwortung der Fragen geeignet wäre.
„Hier spricht Chefarzt Doktor Conway, Ambulanzschiff Rhabwar“, meldete sich Conway in forschem Ton. „An Bord sind Angehörige des Personals und eine Patientin, alle warmblütige Sauerstoffatmer. Die Klassifikationen der Besatzung lauten: terrestrische DBDGs, cinrusskischer GLNO und kelgianische DBLF. Die Patientin ist eine DBPK unbekannter Herkunft. Sie hat Verletzungen davongetragen, die eine dringende Behandlung erfordern und.“
„Sie werden bereits erwartet, Rhabwar, und ich hab Sie hier als Flügverkehr mit Vorrang verzeichnet“, unterbrach ihn die Stimme aus der Anmeldezentrale. „Bitte benutzen Sie Anflügebene rot zwei und folgen Sie den rot-gelb-roten Baken zur Schleuse fünf…“
„Aber Schleuse fünf ist doch eine.“, protestierte Conway.
„.die, wie Sie wissen, Doktor, der Haupteingang zu den Ebenen der wasseratmenden AUGLs ist“, fuhr die Stimme aus der Anmeldezentrale fort. „Die für Ihre Patientin reservierte Unterkunft befindet sich jedenfalls in der Nähe von Schleuse fünf. Außerdem ist die von Ihnen unter diesen Umständen normalerweise benutzte Schleuse drei von über zwanzig verletzten Hudlarern blockiert. Während der Montage einer melfanischen Orbitalfabrik hat sich ein Bauunfall ereignet, bei dem Strahlung freigesetzt worden ist. Aber mir sind zur Zeit nur die medizinischen Einzelheiten bekannt.
Thornnastor hatte zwar keine Ahnung, was für ein Wesen Sie mitbringen würden, hat es aber von vornherein für ratsam gehalten, Ihre Patientin nicht einmal geringster Reststrahlung auszusetzen. Ihre geschätzte Ankunft, Doktor?“
Conway blickte Fletcher fragend an, und der Captain antwortete: „In zwei Stunden und sechzehn Minuten.“
Das wäre reichlich Zeit, um die DBPK-Patientin in die Drucktragbahre zu legen — eine solche Trage gewährleistete die Aufrechterhaltung des Lebenserhaltungssystems eines Patienten und schützte ihn vor dem luftleeren Raum, vor Wasser und einer ganzen Anzahl todbringender Atmosphären. Auch das medizinische Team der Rhabwar konnte in aller Ruhe leichte Anzüge zur Begleitung der Drucktrage anlegen. Die verbleibende Zeit konnte man über Funk den leitenden Diagnostiker der Pathologie, Thornnastor, zu den Vorbefunden bezüglich der überlebenden DBPK und zu den Ergebnissen von Murchisons Untersuchung an den Leichen befragen. Thornnastor würde wahrscheinlich um einen baldigen Transport der Leichen ins Hospital bitten, um durch eine gründlichere Untersuchung ein vollständiges Bild des Stoffwechsels der DBPK-Lebensform zu gewinnen.
Nach dieser kurzen Denkpause übermittelte Conway schließlich die Schätzung des Captains an die Zentrale und fragte, von wem das medizinische Personal der Rhabwar an Schleuse fünf empfangen werden würde.
Die Stimme von der Anmeldezentrale gab eine Anzahl kurzer, unübersetzbarer und bei einem ET wahrscheinlich dem Stottern gleichzusetzende Laute von sich, und fuhr erst dann verständlich fort: „Tut mir leid, Doktor. Nach meinen Instruktionen steht das Personal der Rhabwar genaugenommen noch immer unter Quarantäne und darf das Hospital auf keinen Fall betreten. Aber Sie persönlich dürfen natürlich die Patientin begleiten, vorausgesetzt, Sie öffnen Ihren Anzug nicht. Die Hilfe Ihres Teams wird bei der Behandlung der Patientin nicht gebraucht, Doktor, aber die Vorgänge werden auf den Unterrichtskanälen übertragen. Das Team kann das Ganze also mitverfolgen und, falls notwendig, auch Ratschläge erteilen.“
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