Conway beteiligte sich nicht an dem Gespräch, da er noch einmal die Lunge des Patienten untersuchte. Die leichte Blutung aus dem Mund hatte ihm Sorgen gemacht. Und jetzt, wo sich der Patient für die Untersuchung in der richtigen Lage befand, gab es unverkennbare Anzeichen für Dekompressionsverletzungen in der Lunge. Da der Patient auf den Rücken gelegt worden war, hatten zudem wieder einige der tieferen Rißwunden zu bluten begonnen. Gegen die Lungen Verletzungen konnte Conway mit dem ihm auf dem Ambulanzschiff zur Verfügung stehenden Mitteln nur sehr wenig tun. Zog man aber den geschwächten Zustand des Patienten in Betracht, dann mußte die Blutung schleunigst gestillt werden.
„Weißt du im Moment schon genug über die Zusammensetzung des Bluts, um ein ungefährliches Gerinnungs- und Narkosemittel empfehlen zu können?“ fragte Conway Murchison.
„Ein Gerinnungsmittel wüßte ich, aber beim Anästhetikum hab ich noch Zweifel“, antwortete Murchison. „Damit würde ich gerne noch bis zur Rückkehr ins Hospital warten. Thornnastor könnte bestimmt ein vollkommen sicheres Narkosemittel vorschlagen oder herstellen. Ist es denn sehr dringend?“
Bevor Conway antworten konnte, erwiderte Prilicla: „Ein Anästhetikum ist völlig überflüssig, mein Freund. Der Patient liegt in tiefer Bewußtlosigkeit, und das wird sich auch in nächster Zeit nicht ändern. Sein Zustand verschlechtert sich langsam, wahrscheinlich durch die eingeschränkte Sauerstoffaufnahme der verletzten Lunge. Der Blutverlust trägt sicherlich auch dazu bei. Diese Regalträger im Schrank haben wie stumpfe Messerklingen gewirkt.“
„Das stimmt“, pflichtete ihm Conway bei. „Und falls Sie damit andeuten wollen, daß der Patient so schnell wie möglich ins Hospital gebracht werden sollte, dann bin ich mit Ihnen darin ebenfalls einer Meinung. Aber immerhin schwebt er nicht in akuter Lebensgefahr, und bevor wir von hier abfliegen, möchte ich absolut sichergehen, daß sich hier keine weiteren Überlebenden befinden. Wenn Sie also weiterhin seine emotionale Ausstrahlung überwachen würden und mir jede unerwartete Veränderung seines.“
„Es kommen weitere Wrackteile in Sicht“, unterbrach ihn Haslams Stimme aus dem Wandlautsprecher. „Doktor Prilicla, kommen Sie bitte in die Luftschleuse.“
„Ja, mein Freund“, versicherte er Conway, während er bereits behende an der Decke entlang zur Luftschleuse zurücktrippelte.
Bevor sich Conway an die Behandlung der äußeren Verletzungen des Schiffbrüchigen machen konnte, mußte er noch einen kleineren Aufstand von Naydrad niederschlagen. Wie alle anderen Angehörigen ihrer Spezies — die mit einem sehr schönen, silbernen Pelz ausgestattet war — es getan hätten, äußerte sie ihren tiefen Abscheu gegen jeden chirurgischen Eingriff, der den nach ihrer Ansicht nach kostbarsten Besitz eines Wesens beschädigen oder verunstalten konnte: das Fell. Für einen Kelgianer kam das Entfernen schon eines winzigen Stückchen Pelzes einer persönlichen Tragödie gleich, die nur allzuoft dauerhafte psychische Schäden zur Folge hatte — das Fell stellte für die kelgianische Spezies nämlich ein dem gesprochenen Wort gleichwertiges Kommunikationsmittel dar und wuchs nicht nach. Ein DBLF mit entstelltem Pelz hatte es sehr schwer einen Lebensgefährten zu finden, der bereit war, jemanden zu akzeptieren, der seine Gefühle nur mangelhaft äußern konnte. Murchison mußte der kelgianischen Oberschwester erst zusichern, daß das Fell des Überlebenden weder beweglich noch zur Äußerung von Gefühlen bestimmt war und zweifellos nachwachsen würde, bevor Naydrad zufrieden war. Sie weigerte sich natürlich nicht, Conway bei dem recht harmlosen chirurgischen Eingriff zu assistieren — doch sowohl durch ihre Stimme als auch durch ihr sich kräuselndes und zuckendes Fell verlieh sie bei der Rasur und der Säuberung des Operationsfelds ihrem Protest Ausdruck.
Während Conway auf die kreuz und quer über den Körper des Patienten verteilten Wunden Gerinnungsmittel auftrug und sie dann vernähte, unterbrach Murchison hin und wieder Naydrads Monolog, indem sie die beiden über irgendwelche Einzelheiten informierte, die sie durch die von ihr fortgesetzte Untersuchung und Sezierung der Leichname herausgefunden hatte.
Die Spezies hatte zwei Geschlechter, weiblich und männlich, und das Fortpflanzungssystem schien ziemlich normal zu sein. Im Gegensatz zu dem Patienten, dessen Fell anscheinend etwas stumpfer wirkte und weniger Farbvariationen aufwies, hatten die toten Aliens beiderlei Geschlechts jedoch ein wasserlösliches Färbemittel zur künstlichen Steigerung der Farbintensität der Streifen in ihrem Körperfell benutzt, die sonst genauso wie die des Patienten ausgesehen hätten. Die Farbstoffe waren eindeutig zu kosmetischen Zwecken aufgetragen worden. Doch warum der Patient, oder besser, die Patientin ihr Fell nicht gefärbt hatte, war Murchison allerdings nicht klar.
Ein möglicher Grund konnte die noch nicht voll erlangte Geschlechtsreife der Patientin oder ein ritueller Kult sein, nach dem ein vorpubertärer Angehöriger dieser Spezies keine Kosmetika benutzte oder benutzen durfte. Es konnte natürlich auch sein, daß die Patientin zwar schon erwachsen, aber nur von kleinem Wuchs war, oder einer Gesellschaftsschicht innerhalb der Spezies angehörte, die das Schminken des Fells ablehnte. Eine genauso einleuchtende Erklärung wäre, daß die Katastrophe eintrat, bevor sie die Möglichkeit zum Schminken hatte. Die einzige Substanz, die einem kosmetischen Mittel ähnelte, waren die wenigen Stückchen bräunlicher Pigmentschuppen, die an der nackten Stelle über dem Schwanz der Patientin geklebt hatten, doch diese Substanz war während der präoperativen Maßnahmen entfernt worden. Da ihre Freunde oder vielleicht auch Familienangehörigen die Überlebende kurz vor der Kollision in einen luftdichten Metallschrank gesteckt hatten, glaubte Murchison, daß es sich eher um ein junges und wahrscheinlich vorpubertäres weibliches Wesen als um eine kleinwüchsige erwachsene Frau handelte.
Denn die Föderation war bisher noch nie auf eine intelligente Spezies gestoßen, in der sich die Erwachsenen nicht zur Rettung der Kinder selbst geopfert hätten.
Während sich Conway, Naydrad und Murchison mit einem lebenden und drei toten Aliens befaßten, kam von Zeit zu Zeit Prilicla mit Berichten über den negativen Verlauf der Suche nach weiteren Überlebenden von der Schleuse aufs Unfalldeck. Bei diesen Gelegenheiten teilte er auch gleichzeitig Unerfreuliches über die gerettete Schiffbrüchige mit, deren Zustand sich nach seiner Interpretation ihrer emotionalen Ausstrahlung weiterhin verschlechterte. Conway wartete, bis Prilicla wieder zur Luftschleuse abberufen wurde, und setzte sich erst dann mit Fletcher im Kontrollraum in Verbindung — er wollte seinen cinrusskischen Freund nicht mit dem belasten, was möglicherweise zu einer regelrechten Flut an unangenehmer emotionaler Ausstrahlung seinerseits hätte werden können.
„Captain, ich muß eine wichtige Entscheidung treffen und brauche Ihren Rat“, sagte er. „Wir haben jetzt zwar die Behandlung der äußeren Verletzungen der Patientin erfolgreich abgeschlossen, aber die Lunge ist durch die Dekompression schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Deshalb ist eine Verlegung ins Orbit Hospital dringend erforderlich. Als Übergangsmaßnahme versorgen wir die Patientin mit sauerstoffangereicherter Luft, aber trotzdem verschlechtert sich ihr Zustand — zwar nicht rapide, aber doch stetig. Wenn wir noch weitere vier Stunden in dieser Gegend bleiben würden, wie wären dann Ihrer Meinung nach die Chancen für die Bergung weiterer Überlebender?“
„Praktisch gleich Null, Doktor“ antwortete der Captain.
„Ich verstehe“, entgegnete Conway skeptisch. Er hatte mit einer wesentlich komplizierteren und von Wahrscheinlichkeitsberechnungen und näheren Wortbestimmungen durchsetzten Antwort gerechnet. Jetzt fühlte er sich erleichtert und besorgt zugleich.
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