„Machen Sie das, Trivennleth!“ rief die erste Stimme. „An alle Arbeiter im Laderaum! Verschließen Sie wieder die Anzüge und halten Sie sich an etwas Stabilem fest. Es wird gleich zu einer massiven Druckverminderung kommen.“
Als die seitlichen Bugtriebwerke des Frachters Schub gaben, um ihn von der Schleuse loszureißen, konnte Gurronsevas über das Kreischen der Sirene hinweg rings um die Frachtschleuse ein starkes metallisches Knirschen und Ächzen hören. Plötzlich entwich durch den nun entstehenden Spalt zwischen Frachtschleuse und Schiffsladeraum unter hohem Pfeifen Luft, die man durch die Besatzungsschleusen in den Laderaum gelassen hatte und die die Gasschwaden, von denen die Sicht getrübt wurde, mit sich fortriß. Dadurch wurde auf der rechten Seite, wo die Dichtungen zwischen Laderaum und Frachtschleuse auseinandergezogen worden waren, ein dunkler, sich weitender halbmondförmiger Spalt sichtbar. Kurz darauf spürte Gurronsevas, wie er zusammen mit den anderen losen Frachtstücken von diesem Spalt angesogen wurde.
Für einen Sekundenbruchteil kam es ihm so vor, als würden sämtliche Behälter und Sprühdosen in der Nähe gegen ihn prallen und ihm den Anzug von oben bis unten mit Nahrungsmitteln bespritzen. Dann befand er sich plötzlich außerhalb des Laderaums, und die Frachtstücke trieben von ihm weg.
Wie Gurronsevas wußte, hätte er den Vorfall nicht überlebt, wenn er einen schweren Anzug getragen hätte. Doch dank der Elastizität war der leichte Schutzanzug unversehrt geblieben, obwohl man von seinem Träger nicht das gleiche behaupten konnte. Gurronsevas’ linke Seite und das mittlere und hintere linke Bein fühlten sich an, als ob er sich dort furchtbare Prellungen zugezogen hätte.
Um sich von den Schmerzen abzulenken, richtete er die Augen auf die wenigen Stellen des durchsichtigen Helms, die nicht vom Nahrungspräparat verschmiert waren, damit er die Vorgänge verfolgen konnte, während er auf Hilfe wartete.
Als der Frachter zur Seite geschwenkt war und sich auf diese Weise losgerissen hatte, waren die vorspringenden Teile der Frachtschleuse von Ladeplatz zwölf ein wenig verbogen worden, doch die Schleuse selbst stand noch immer offen, und ein Dunstkegel aus entwichener Luft — gemischt mit ungesicherten Frachtstücken, die gegeneinander stießen und platzten — ragte aus ihr hervor. Die Trivennleth hatte sich um neunzig Grad nach Steuerbord gedreht und lag jetzt parallel zur Außenhaut des Hospitals. Der Schiffsladeraum wies nur einen Bruchteil des Volumens vom Ladeplatz auf und mußte inzwischen luftleer sein, denn an seiner Schleuse waren weder Spuren von Nebel noch von herausfliegender Fracht zu sehen.
Der diensthabende Offizier an Bord hatte entschlossen und geschickt gehandelt, dachte Gurronsevas und fragte sich, warum während des Notfalls nicht der Captain das Kommando übernommen hatte. Er zog gerade die Möglichkeit in Betracht, daß es sich beim kommandierenden Offizier um den FROB handelte, den er zusammen mit dem hudlarischen Assistenzarzt auf dem Freizeitdeck zurückgelassen hatte, als er sich einer Stimme im Kopfhörer bewußt wurde, die über ihn sprach.
„…und wo ist dieser dämliche Tralthaner?“ fragte sie wütend. „Die Besatzung der Trivennleth befindet sich wohlbehalten im Vakuum im Laderaum, keine Verletzten. Das gleiche gilt für die sauerstoffatmenden Verladearbeiter. Chefdiätist Gurronsevas, bitte melden Sie sich! Falls Sie noch leben, antworten Sie, verdammt noch mal.“
Erst in diesem Moment stellte Gurronsevas fest, daß sein Anzug doch nicht ganz ohne Schaden davongekommen war. Das Sendelämpchen des Kommunikators wollte nicht aufleuchten.
Allmählich wurde nicht nur der Luftvorrat gefährlich knapp, auch seine Hilferufe konnten von niemandem gehört werden.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der bedeutendste Vertreter der Kochkunst vieler verschiedener Spezies in der Föderation sein Leben durch den Erstickungstod in einem von hudlarischem Nahrungspräparat überzogenen Raumanzug beenden soll, fluchte Gurronsevas in sich hinein. Wie subtil die Art seines Todes auch in Worte gefaßt werden mochte, als Schlüßeintrag unter einem beruflich bemerkenswerten Leben wäre sie auf jeden Fall ungerecht, unpassend und würdelos gewesen. Über den Abschiedsgruß, den einige seiner weniger ernsthaften Kollegen auf die für ihn errichtete Gedenksäule schreiben würden, konnte er nur vage Vermutungen anstellen, doch bis jetzt war er viel zu wütend und bestürzt, um wirklich Angst zu haben.
Es mußte irgendeine Möglichkeit geben, seine mißliche Lage anders als über Funk zu verstehen zu geben. Doch die Stimmen, die er über den Empfänger hörte, der im Gegensatz zu der dämlichen Sendeeinheit einwandfrei funktionierte, behaupteten das Gegenteil.
„Gurronsevas, bitte melden!“ forderte ihn eine der Stimmen auf. „Falls Sie mich hören, aber nicht antworten können, feuern Sie Ihr Notleuchtsignal ab. Immer noch keine Antwort, Sir.“
„Sie vergessen, daß er einen Hospitalanzug trägt, der nur für das Gebäudeinnere bestimmt ist“, gab eine zweite Stimme zu bedenken. „Der ist nicht mit Leuchtsignalen versehen. Und Gurronsevas hatte keinen Grund, eins einzustecken, weil er nicht damit gerechnet hat, das verdammte Hospital zu verlassen! Aber dafür ist er mit Kurzzeitdüsen ausgerüstet. Wie ein Tralthaner aussieht, wissen Sie ja, also halten Sie nach ihm Ausschau. Da er über Anzugdüsen verfügt, wird er sich unabhängig von der allgemeinen Richtung bewegen, in die die Ladung treibt, und versuchen, zur Frachtschleuse zurückzukehren — das heißt, falls er unverletzt und bei Bewußtsein ist.“
„Oder noch lebt.“
„Ja.“
Gurronsevas versuchte, die pessimistische Wendung, die das Gespräch genommen hatte, gar nicht zu beachten, und konzentrierte sich statt dessen lieber auf den nützlichen Rat, den es enthalten hatte. Eindrucksvoll umkreiste ihn die endlose Metallandschaft, die aus dem Hospitalgebäude, der stumpfen Torpedoform des Frachters und der Wolke aus zerstreuten Frachtstücken bestand, aus denen zum Teil immer noch ein dichter Nebel aus Chlor oder Nahrungspräparat strömte oder sprühte. Wie die erste Stimme zu verstehen gegeben hatte, sollte er damit beginnen, sich unabhängig von den Gegenständen zu bewegen, die ihn umgaben. Doch zuerst mußte er die Düsen zünden, um die Drehbewegung zu stoppen.
Wegen seiner kaum vorhandenen Erfahrung im Manövrieren mit den Anzugdüsen brauchte er nicht nur mehrere Minuten, bis er sich nicht mehr drehte, sondern vergeudete obendrein eine beträchtliche Menge Treibstoff, der den Anzeigen zufolge ohnehin schon gefährlich knapp gewesen war. Nach seiner Schätzung stand ihm bestenfalls noch genügend Schub zur Verfügung, um sich langsam ein paar Minuten lang über eine Entfernung von einigen hundert Metern fortzubewegen, und die Geschwindigkeit würde zum Schluß weit hinter der zurückbleiben, die er brauchte, um sich aus der ausbreitenden Wolke aus Ladungstrümmern zu lösen, und ihn erst recht nicht zum Ladeplatz zurückbringen, bevor ihm die Luft ausging.
Zwar waren die Stimmen im Kopfhörer ganz seiner Meinung, doch ansonsten hatten sie nichts Hilfreiches beizusteuern.
„…außerdem haben wir das Anzugverzeichnis überprüft, Sir“, sagte gerade jemand. „Demnach ist kürzlich, vor einer knappen halben oder Dreiviertelstunde, ein Schutzanzug für Tralthaner samt Luftvorrat für drei Stunden und einem Standarddüsenaggregat entnommen worden. Wenn Gurronsevas die Düsen während der Besichtigung des hudlarischen Schiffs gezündet und den Anzug die ganze Zeit nicht geöffnet hat, wird er vielleicht nicht mehr weit kommen oder noch sehr viel länger atmen können. Rettungs- und Bergungstrupps machen sich schon bereit, aber wo sollen wir die nach ihm suchen lassen?“
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