Nessus rührte sich. Er schien sich ein wenig zu entspannen.
»Etwas verwirrt mich noch«, sagte Louis. »Und es nervt mich. Entweder sind Sie eine Sie oder der Hinterste.«
»Das ist ungehörig, Louis. Man spricht nicht mit Aliens über Sexualität.« Ein Kopf kam zwischen Nessus Beinen hoch, und ein vorwurfsvoller Blick traf Louis. »Sie und Teela würden sich doch auch nicht vor meinen Augen paaren, oder?«
»Eigenartig; darüber haben wir auch schon gesprochen. Teela meinte…«
»Ich bin schockiert!« konstatierte der Puppenspieler.
»Weshalb denn?« fragte Teela. Der exponierte Puppenspielerkopf tauchte in Deckung. »Nun kommen Sie schon wieder raus da! Ich tue Ihnen doch nichts!«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht. Ich meine es ehrlich. Ich finde Sie ganz entzückend.«
Der Puppenspieler entrollte sich völlig. »Haben Sie mich wirklich entzückend genannt?«
»Ja.« Sie blickte zu dem orangefarbenen Berg von Der-zu-denTieren-spricht auf. »Sie übrigens auch«, fügte sie großzügig hinzu.
»Ich will Sie nicht beleidigen«, fauchte der Kzin, »aber sagen Sie das nie wieder! Niemals!«
Teela schien wieder einmal verwirrt.
Es war eine staubige, orangefarbene Hecke, zehn Fuß hoch, vollkommen gerade und mit kobaltblauen Tentakeln, die schlaff herabhingen. Wie es aussah, war die Hecke aus einer fleischfressenden Pflanze hervorgegangen. Sie bildete die Grenze des Parks, und Nessus führte die kleine Gruppe darauf zu.
Louis erwartete, einen Durchgang vorzufinden. Er war verblüfft, als Nessus einfach hindurchging. Die Hecke teilte sich vor dem Puppenspieler und schloß sich dahinter wieder.
Die anderen folgten.
Bisher hatten sie einen himmelblauen Himmel über sich gesehen. Doch sobald sich die Hecke hinter ihnen geschlossen hatte, wurde der Himmel schwarz und weiß. Im Dunkel der ewigen Nacht trieben weiße Wolken, deren Unterseiten vom Licht der meilengroßen Stadt angestrahlt wurden, in die die kleine Gruppe nun trat.
Auf den ersten Blick unterschied sie sich nicht wesentlich von einer irdischen Stadt. Die Gebäude waren massiver, kantiger, uniformer — und sie waren höher, schrecklich hoch. So hoch, daß der Himmel nur aus erleuchteten Fenstern und hell strahlenden Balkonen zu bestehen schien. Schmale Spalten oder Risse aus Schwarz markierten den Zenit. Hier gab es die rechten Winkel, die man bei Puppenspielermöbeln vergeblich suchte, hier an den Gebäuden, wo ein rechter Winkel viel zu groß war, um sich ein Knie daran zu stoßen.
Aber warum hatte die Stadt nicht als Silhouette über dem Park aufgeragt? Auf der Erde gab es nur wenige Gebäude, die höher waren als eine Meile. Hier war keines niedriger. Louis schätzte, daß der Park von lichtbeugenden Feldern umgeben war. Er fragte den Puppenspieler nicht danach. Es war sicher noch das kleinste Wunder der Puppenspielerwelt.
»Unser Raumfahrzeug wartet am anderen Ende der Insel«, flötete Nessus. »Wir können in weniger als einer Minute dort sein, wenn wir Stepperscheiben benutzen. Ich werde es Ihnen zeigen.«
»Geht es Ihnen wieder besser?«
»Ja, Teela. Wie Louis gesagt hat: Das Schlimmste ist vorbei.« Der Puppenspieler tänzelte leichtfüßig vor ihnen her. »Der Hinterste ist mein Liebster. Ich muß nur von der Ringwelt zurückkehren!«
Der Weg war elastisch. Für das Auge sah er aus wie Beton, der mit irisierenden Partikeln durchsetzt war.
Unter der Sohle fühlte er sich feucht und schwammig an. Nachdem sie einen Block weit gegangen waren, erreichten sie eine Kreuzung. »Wir müssen hier entlang«, sagte Nessus und deutete mit einem Kopf in die Richtung. »Nehmen Sie nicht die erste Scheibe. Folgen Sie mir.«
In der Mitte der Kreuzung war ein blaues Rechteck markiert. Vier blaue Scheiben umgaben das Rechteck, eine vor jedem Übergang.
»Sie können auf das Rechteck treten«, sagte Nessus, »aber nicht auf die falschen Scheiben. Kommen Sie.«
Er umging die erste Scheibe, überquerte die Kreuzung, trat auf die Scheibe, die der ersten gegenüber lag — und war verschwunden.
Einen Augenblick lang bewegte sich niemand. Schließlich stieß Teela einen gellenden Schrei aus und rannte auf die Scheibe zu. Sie verschwand ebenfalls.
Der-zu-den-Tieren-spricht fauchte und sprang hinterher. Kein Tiger hätte gezielter springen können. Louis war allein.
»Bei den Nebeldämonen!« sagte er verwundert. »Sie haben offene Transferkabinen.«
Er trat vor.
Und fand sich auf der nächsten Kreuzung auf einem blauen Rechteck zwischen Nessus und dem Kzin wieder. »Ihre Gefährtin ist voraus gerannt«, sagte Nessus. »Ich hoffe, sie wartet auf uns.«
Der Puppenspieler verließ das Rechteck in die Richtung, in die er gerade sah. Drei Schritte brachten ihn zur nächsten Scheibe, und er verschwand erneut.
»Was für ein System!« sagte Louis bewundernd. Er war allein, denn der Kzin war Nessus bereits gefolgt. »Man geht einfach los, das ist alles. Drei Schritte, und man ist einen ganzen Block weiter. Das ist wie Zauberei. Und man kann die Blocks so lang machen, wie man will!« Er trat vor.
Louis trug Siebenmeilenstiefel. Er ging leichtfüßig voran, und alle drei Schritte veränderte sich die Umgebung. Die kreisförmigen Zeichen an den Ecken der Gebäude dienten anscheinend der Orientierung, damit ein Fußgänger wußte, wann er sein Ziel erreicht hatte. Sodann mußte er nur noch die Scheiben umrunden, um mitten in den Block zu gelangen.
Entlang der Straßen waren Schaufenster, die Louis liebend gern näher in Augenschein genommen hätte. Oder waren es keine Schaufenster, sondern irgend etwas vollkommen anderes? Doch Nessus und der Rest der Gruppe waren Blocks voraus. Louis konnte sie ganz am Ende der Gebäudeschlucht sehen. Er beschleunigte seine Schritte.
Als er nach einer Scheibe wieder materialisierte, standen sie vor ihm und versperrten den Weg.
»Ich fürchtete, Sie könnten die Biegung versäumen«, sagte Nessus. Und ging nach links voraus.
»Warten Sie…« Doch der Kzin war ebenfalls wieder verschwunden. Wo zur Hölle steckte bloß Teela?
Sie schien vorausgegangen zu sein. Louis wandte sich nach links und ging los…
Siebenmeilenstiefel.
Die Stadt flog an ihm vorüber wie in einem Traum. In Louis’ Kopf tanzten bunte Smarties. Highways durch die Stadt, die Scheiben in unterschiedlichen Farben markiert, zehn Blöcke weit auseinander. Überlandverbindungen, hundert Meilen weit, von einem Stadtzentrum zum nächsten, die Scheiben einen ganzen Block groß. Scheiben, mit denen man Ozeane überqueren konnte: Ein Schritt, und man war auf der nächsten Insel! Inseln wie Trittsteine!
Offene Transferkabinen. Die Puppenspieler waren erschreckend weit fortgeschritten. Die Scheiben maßen nur einen Yard im Durchmesser, und man mußte nicht ganz auf ihnen stehen, damit sie funktionierten. Ein Schritt, und man kam auf dem nächsten Empfängerrechteck heraus. Die Rollsteige der Erde waren dagegen tanj vorsintflutlich!
Während Louis weiterging, entstand in seinem Kopf das Phantombild eines Puppenspielers, der Hunderte von Meilen groß war und sich einen verschlungenen Weg über die Inselkette bahnte; der vorsichtig auf seine Schritte achtete, um keine nassen Füße zu kriegen. Der Phantompuppenspieler wurde größer und größer, und seine Stepperscheiben waren ganze Welten…
Die Puppenspieler waren den Menschen furchtbar weit voraus…
Plötzlich waren keine Scheiben mehr vor ihm. Louis stand am Ufer der ruhigen schwarzen See. Hinter dem Rand der Welt standen vier große Vollmonde in einer Reihe übereinander am Sternenhimmel. Auf halbem Weg zum Horizont lag eine weitere Insel. Auch sie war in gleißendes Licht getaucht.
Die beiden Aliens warteten auf ihn.
»Wo steckt Teela?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Nessus.
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