»Nö«, seufzte Tung, als Miles ihm diesen optimistischen Gedanken anvertraute. »Sie stecken schon zu tief drin. Die Metzgerrechnung ist schon zu hoch für sie, als daß sie noch vorgeben könnten, sie hätten nur Faxen gemacht. Selbst für sie selber. Ein cetagandanischer Kommandant, der jetzt aufstecken würde, käme zu Hause vor ein Kriegsgericht. Sie werden noch weitermachen, wenn es schon lange hoffnungslos ist, weil ihre hohen Tiere verzweifelt ihre blutenden Ärsche mit einer Siegesfahne bedecken wollen.«
»Das ist … abscheulich.«
»Das ist das System, mein Sohn, und nicht nur für die Cetagandaner. Einer der verschiedenen eingebauten Defekte des Systems. Und außerdem«, Tung grinste kurz, »es ist für sie noch nicht ganz so hoffnungslos. Eine Tatsache, die wir vor ihnen zu verheimlichen versuchen werden.«
Die cetagandanischen Kräfte begannen sich zu bewegen, ihre Richtungen und Beschleunigungen signalisierten die Absicht, einen schweren Stoß durchzuführen. Der Trick war, lokale Konzentration von Kräften zu versuchen, drei oder vier Schiffe, die sich gegen ein gegnerisches zusammenrotteten und so die Plasmaspiegel des Verteidigers überwältigten. Die Dendarii und die Vervani würden eine gleiche Strategie gegenüber versprengten Cetagandanern versuchen, ausgenommen ein paar bravouröse Kapitäne auf beiden Seiten, die mit den neuen Imploderlanzen ausgerüstet waren und ein wahnsinnig wagemutiges Spiel trieben, indem sie versuchten, ein Ziel in die kurze Reichweite der Waffe zu bekommen.
Miles versuchte auch, ein Auge auf die Dispositionen der Rangers zu haben. Nicht jedes Ranger-Schiff hatte vervanische Berater an Bord, und Kampfaufstellungen, die die Rangers vor die Cetgandaner brachten, waren solchen sehr vorzuziehen, in denen Rangers im Rücken von Dendarii positioniert wurden.
Das ruhige Gemurmel der Techniker und Computer in dem Taktikraum veränderte kaum seinen Rhythmus. Es hätte eigentlich einen Tusch geben sollen mit Trommelwirbel und Dudelsäcken, etwas, das diesen Tanz mit dem Tod ankündigte. Aber wenn die Realität überhaupt in diese gepolsterte Blase einbrach, dann plötzlich, absolut und endgültig.
Eine Vidnachricht unterbrach sie, eine schiffsinterne — ja, es gab noch ein wirkliches Schiff, das sie umhüllte: ein atemloser Offizier meldete sich bei Tung: »Hier das Schiffsgefängnis, Sir. Passen Sie dort oben auf sich auf. Wir hatten einen Ausbruch. Admiral Oser ist entkommen und hat auch all die anderen Gefangenen rausgelassen.«
»Verdammt«, sagte Tung, warf einen zornigen Blick auf Miles und zeigte auf das Vid.
»Erledige das. Scheuche Auson hoch.«
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Taktikdisplay zu und murmelte: »Zu meiner Zeit wäre so etwas nicht passiert.«
Miles schlüpfte auf den Stuhl an der Kommunikationsstation und rief die Brücke der Triumph an. »Auson! Haben Sie das mit Oser gehört?«
Ausons irritiertes Gesicht erschien auf dem Schirm. »Ja, wir arbeiten daran.«
»Befehlen Sie extra Kommandowachen zum Taktikraum, zur Maschinenabteilung und Ihrer Brücke. Das ist eine wirklich schlechte Zeit für Unterbrechungen hier unten.«
»Wem sagen Sie das! Wir sehen, daß die Scheißkerle von Cetas auf uns zukommen.« Auson schaltete wieder ab.
Miles begann die internen Sicherheitskanäle abzuhören und hielt nur inne, um die Ankunft gut bewaffneter Wachen auf dem Korridor zur Kenntnis zu nehmen. Oser hatte offensichtlich Helfer bei dieser Flucht gehabt, einen loyalen oserischen Offizier oder derer mehrere, was Miles seinerseits zu der Frage veranlaßte, wie es mit der Sicherheit der Sicherheitswachen bestellt war.
Und würde Oser versuchen, sich mit Metzov und Cavilo zusammenzutun? Ein paar Dendarii, die für Disziplinarverfehlungen eingesperrt gewesen waren, wurden in den Korridoren herumwandernd aufgegriffen und ins Schiffsgefängnis zurückgebracht, ein weiterer kam von selbst zurück. In einem Laderaum wurde ein mutmaßlicher Spion gestellt. Noch kein Zeichen von den wirklich Gefährlichen …
»Da haut er ab!«
Miles wählte den Kanal an. Eine Frachtfähre löste sich aus ihrer Halterung an der Seite der Triumph und bewegte sich in den Raum hinaus.
Miles übersprang diverse Kanäle, bis er schließlich die Feuerleitstation fand. »Nicht, ich wiederhole, nicht auf diese Fähre feuern!«
»Hm …«, kam die Antwort. »Jawohl, Sir. Nicht feuern.«
Warum bekam Miles den unterschwelligen Eindruck, daß der Techniker überhaupt nicht die Absicht gehabt hatte, Feuer zu eröffnen?
Eine sichtlich gut koordinierte Flucht. Die spätere Hexenjagd würde scheußlich werden.
»Schalten Sie mich zu dieser Fähre durch!«, verlangte Miles vom Kommunikationsoffizier. Und, ach ja, schicken Sie eine Wache in die Korridore bei der Fährenluke … Dafür war es zu spät.
»Ich werd’s versuchen, Sir, aber sie antworten nicht.«
»Wie viele sind an Bord?«
»Einige, aber wir sind nicht ganz sicher …«
»Schalten Sie mich durch. Die müssen zuhören, auch wenn sie nicht antworten wollen.«
»Ich habe einen Kanal, Sir, aber ich weiß nicht, ob sie zuhören.«
»Ich werd’s versuchen.« Miles holte Atem. »Admiral Oser. Wenden Sie Ihre Fähre, und kommen Sie zur Triumph zurück. Es ist zu gefährlich dort draußen. Sie rasen Hals über Kopf in eine Gefechtszone. Kehren Sie um, und ich werde persönlich Ihre Sicherheit garantieren …«
Tung blickte über Miles’ Schulter. »Er versucht, zur Peregrine durchzukommen. Verdammt, wenn dieses Schiff ausschert, dann wird unsere Verteidigungsstellung zusammenbrechen.«
Miles warf schnell einen Blick zurück auf den Taktikcomputer.
»Sicherlich nicht. Ich dachte, wir haben die Peregrine im Reservegebiet aufgestellt, weil wir gerade ihre Zuverlässigkeit bezweifelt haben.«
»Ja, aber wenn die Peregrine ausschert, dann kann ich dir drei andere Kapitän-Eigner nennen, die folgen werden. Und wenn vier Schiffe ausscheren …«
»Dann werden die Rangers sich trotz ihrer VervaniKommandanten auflösen, und wir sind erledigt, stimmt, ich verstehe.«
Miles blickte wieder auf den Taktikcomputer. »Ich glaube nicht, daß er es schafft — Admiral Oser! Können Sie mich verstehen?«
»Zum Teufel!« Tung kehrte zu seinem Platz zurück und vertiefte sich wieder in die Cetagandaner. Vier cetagandanische Schiffe verbanden sich gegen den Rand der Dendarii-Formation, während ein anderes versuchte, in die Mitte einzudringen, offensichtlich, um in die Reichweite für einen Angriff mit der Imploder-Lanze zu kommen.
Beiläufig, im Vorüberfliegen, schoß ein cetagandanischer Plasmaschütze die fliehende Fähre ab. Eine Wolke leuchtender Funken …
»Bis er sich mit seiner gestohlenen Fähre von der Triumph absetzte, wußte er nicht, daß die Cetagandaner ihren Angriff durchführen«, flüsterte Miles. »Guter Plan, schlechtes Timing … Er hätte umkehren können, aber er entschied sich, es zu versuchen und Reißaus zu nehmen …« Hatte Oser seinen Tod selbst gewählt? War das der Trost?
Die Cetagandaner brachen ihre Angriffswelle nicht eigentlich ab, sondern beendeten sie, in deprimierend guter Ordnung. Das Ergebnis stand leicht zugunsten der Dendarii. Eine Anzahl von cetagandanischen Schiffen war schlimm beschädigt, und eins war völlig zerstört worden.
Auf den Schadenskontrollkanälen der Dendarii und der Rangers herrschte hektischer Sprechverkehr. Die Dendarii hatten noch keine Schiffe verloren, jedoch Feuerkraft, Maschinen, Flugsteuerungen, Lebenserhaltungssysteme, Abschirmungen.
Die nächste Angriffswelle würde noch mehr Verheerungen anrichten. Sie können sich es leisten, drei zu verlieren für eines von den unseren. Wenn sie immer wieder kommen, immer weiter knabbern, dann ist es unvermeidlich, daß sie gewinnen, überlegte Miles kühl. Es sei denn, wir bekommen Verstärkung.
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