In dem sicheren Bewußtsein, daß die Söldner die Bedeutung des Privilegs verstanden, das ihnen eingeräumt wurde, führte der barrayaranische Offizier Tung und Chodak, die beide glücklich waren, den Korridor hinab. Miles hörte, wie Tung leise kicherte: »Mittagessen mit Admiral Vorkosigan, höhö …«
Leutnant Yegorov dirigierte Miles und Elena in die entgegengesetzte Richtung. »Sie sind Barrayaranerin, Madame?«, wollte er von Elena wissen.
»Mein Vater war achtzehn Jahre lang ein durch Lehnseid gebundener Gefolgsmann des verstorbenen Grafen Piotr«, erklärte Elena. »Er starb im Dienste des Grafen.«
»Ich verstehe«, sagte der Leutnant respektvoll. »Sie sind also mit der Familie bekannt.« Das erklärt Ihre Einladung, konnte Miles ihn fast denken sehen.
»Ah, ja.«
Der Leutnant blickte mit etwas mehr Zweifel auf ›Admiral Naismith‹ herab. »Und … hm … ich habe gehört, daß Sie Betaner sind, Sir?«
»Ursprünglich«, sagte Miles in seinem breitesten betanischen Akzent.
»Sie … finden vielleicht die Art, wie wir Barrayaraner manche Dinge tun, ein bißchen formeller, als Sie es gewohnt sind«, warnte der Leutnant. »Der Graf, verstehen Sie, ist an den Respekt und die Ehrerbietung gewöhnt, die seinem Rang zustehen.«
Miles beobachtete amüsiert, wie der ernsthafte Offizier nach einer höflichen Methode suchte, um ihm zu sagen: Nennen Sie ihn ›Sir‹, wischen Sie nicht Ihre Nase an Ihrem Ärmel ab und unterlassen Sie Ihre verdammten egalitären betanischen Frechheiten. »Sie dürften ihn als sehr respekteinflößend empfinden.«
»Ein echter Wichtigtuer, nicht wahr?«
Der Leutnant runzelte die Stirn. »Er ist ein großer Mann.«
»Och, ich wette, wenn wir ihm beim Essen genügend Wein zu trinken geben, dann wird er schon auftauen und schmutzige Geschichten erzählen wie jeder andere auch.«
Yegorovs höfliches Lächeln fror auf seinen Lippen fest. Elena rollte mit den Augen, beugte sich herab und flüsterte energisch: »Admiral, benehmen Sie sich!«
»Oh, ist schon gut«, seufzte Miles bedauernd. Der Leutnant war über Miles’ Kopf hinweg Elena einen dankbaren Blick zu.
Miles bewunderte im Vorübergehen, daß alles wie aus dem Ei gepellt aussah. Abgesehen davon, daß sie neu war, hatte man bei der Planung der Prinz Serg an die Diplomatie ebenso wie an den Krieg gedacht und ein Schiff gebaut, das geeignet war, den Kaiser bei Staatsbesuchen zu befördern, ohne an militärischer Wirksamkeit einzubüßen. In einem Querkorridor, dessen Wandverkleidung zum Teil offenstand, sah er einen jungen Fähnrich, der eine Technikergruppe bei kleineren Reparaturen dirigierte — nein, bei Gott, das war originale Installationsarbeit.
Die Prinz Serg hatte den Orbit mit den Arbeitsmannschaften noch an Bord verlassen, wie Miles gehört hatte. Er blickte schnell über die Schulter zurück. Wenn Gott und General Metzov es nicht anders gewollt hätten, dann wäre ich jetzt hier an Bord. Wenn er seine Nase auf der Insel Kyril bloße sechs Monate sauber gehalten hätte … — er empfand einen Stich unlogischen Neides auf den geschäftigen Fähnrich.
Sie betraten den Offiziersbereich. Leutnant Yegorov führte sie durch ein Vorzimmer in ein spartanisch eingerichtetes Flaggbüro, das doppelt so groß war wie alles, was Miles je zuvor auf einem barrayaranischen Raumschiff gesehen hatte. Admiral Graf Aral Vorkosikan blickte von seinem Komkonsolenpult auf, als die Türen lautlos zur Seite glitten. Miles trat ein, und dabei wurde ihm plötzlich flau im Magen.
Um seine Emotionen zu verbergen und in den Griff zu bekommen, sagte er lässig: »He, ihr kaiserlichen Schnecken werdet alle dick und weichlich, wenn ihr in solchem Luxus herumhängt, wißt ihr das?«
»Ha!« Admiral Vorkosigan stolperte fast, als er sich von seinem Sessel erhob und hastig um die Ecke seines Schreibtisches polterte. Nun ja, kein Wunder, wie kann er richtig sehen mit all dem Wasser, das ihm in den Augen steht? Er schloß Miles heftig in die Arme. Miles grinste und blinzelte und schluckte, als sein Gesicht gegen den kühlen grünen Ärmel gedrückt wurde, und er hatte seine Züge fast wieder unter Kontrolle, als ihn Graf Vorkosigan eine Armlänge von sich hielt, um ihn besorgt und prüfend zu betrachten. »Geht es dir gut, Junge?«
»Wirklich gut. Wie hat dir dein Wurmlochsprung gefallen?«
»Wirklich gut«, erwiderte Graf Vorkosigan flüsternd. »Sieh dich vor! Es gab Momente, da manche meiner Berater wollten, daß man dich erschießt. Und es gab Momente, da war ich einer Meinung mit ihnen.«
Leutnant Yegorov, dem das Wort mitten in der Ankündigung ihrer Ankunft abgeschnitten worden war (Miles hatte ihn nicht sprechen hören, und er zweifelte, ob sein Vater ihn gehört hatte), stand da, den Mund noch offen und vollkommen verwirrt. Leutnant Jole, der selber ein Grinsen unterdrückte, erhob sich von der anderen Seite des Komkonsolenpults und führte Yegorov sanft und gütig wieder zur Tür hinaus. »Danke, Leutnant. Der Admiral weiß Ihre Dienste zu schätzen, das wäre es dann …«
Jole blickte schnell über die Schulter zurück, verzog nachdenklich die Augenbrauen und folgte Yegorov nach draußen. Bevor sich die Türen schlossen, erhaschte Miles noch einen Blick auf den blonden Leutnant, wie er sich auf einem Sessel im Vorzimmer niederließ und den Kopf in der entspannten Pose eines Mannes zurücklehnte, der sich auf ein langes Warten einrichtet. Jole konnte manchmal geradezu übernatürlich höflich sein.
»Elena.« Mit einer gewissen Anstrengung riß sich Graf Vorkosigan von Miles los, um Elenas beide Hände mit einem kurzen festen Griff zu umfassen. »Geht es dir gut?«
»Ja, Sir.«
»Das freut mich … mehr als ich sagen kann. Cordelia läßt dich herzlich grüßen, sie hofft das Beste für dich. Falls ich dich sehen sollte, so sollte ich dich daran erinnern … ah — ich muß die Worte richtig zusammenbekommen, es war einer ihrer schlauen betanischen Sprüche — ›Dein Zuhause ist dort, wo man, wenn du dort hingehen mußt, dich aufnehmen muß.‹«
»Ich kann direkt ihre Stimme hören«, sagte Elena und lächelte.
»Übermitteln Sie ihr meinen Dank. Sagen Sie ihr … ich werde mich daran erinnern.«
»Gut.« Graf Vorkosigan drang nicht weiter in sie. »Setzt euch, setzt euch«, er winkte sie zu Stühlen, die er bequem an das Komkonsolenpult herangezogen hatte, und setzte sich selbst. Für einen Augenblick schaltete er quasi in einen anderen Gang, und seine Gesichtszüge entspannten sich, dann konzentrierte er sich wieder mit aller Aufmerksamkeit. Gott, er sieht müde aus, erkannte Miles, für den Bruchteil einer Sekunde fast todmüde. Gregor, du hast viel zu verantworten. Aber Gregor wußte das ja.
»Was ist die neueste Nachricht bezüglich des Waffenstillstands?« fragte Miles.
»Er hält noch, danke. Die einzigen cetagandanischer Schiffe, die nicht dorthin zurückgesprungen sind, vor wo sie kamen, hatten beschädigte Necklin-Stäbe oder beschädigte Steuersysteme oder verletzte Piloten.
Oder alles drei. Wir lassen sie zwei dieser Schiffe reparieren und dann mit Kernbesatzungen hinausspringen, die übrigen sind nicht mehr zu retten. Ich schätze, daß der kontrollierte kommerzielle Verkehr in sechs Wochen wieder aufgenommen werden kann.«
Miles schüttelte den Kopf. »So endet der Fünftage-Krieg. Ich habe nie einen Cetagandaner von Angesich zu Angesicht gesehen. All die Mühe und all das Blutvergießen, nur um zum Status quo ante zurückzukehren.«
»Nicht für alle. Eine Anzahl höherer Offiziere der Cetagandaner wurden in ihre Hauptstadt zurückgerufen, um ihrem Kaiser ihr ›unbefugtes Abenteuer‹ zu erklären. Man erwartet, daß ihre Entschuldigungen fatal sein werden.«
Miles schnaubte. »Es geht doch eher darum, daß sie für ihre Niederlage büßen. ›Unbefugtes Abenteuer‹ — glaubt das überhaupt jemand? Warum macht man sich überhaupt die Mühe?«
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