»Auf der Stelle, hoffe ich. Ich werde bald Weiterreisen.«
Sie murmelte geistesabwesend: »Vielleicht nicht …«, dann blickte sie mit einem schnellen Stirnrunzeln auf: »Wo ist Ihr nächster Halt?«
Ungari mußte sowieso einen öffentlichen Flugplan eintragen.
»Aslund.«
»Hm … ja, wir müssen zu einer Vereinbarung kommen. Absolut.«
War das Flackern dieser blauen Augen das, was man einen Schlafzimmerblick nannte? Die Wirkung war einlullend, fast hypnotisch. Ich habe endlich eine Frau getroffen, die kaum größer ist als ich, und ich weiß nicht einmal, auf welcher Seite sie steht. Von allen Männern dürfte gerade er geringe Körpergröße nicht mit Schwäche oder Hilflosigkeit verwechseln.
»Kann ich Ihren Boss sprechen?«
»Wen?« Sie senkte ihre Augenbrauen.
»Den Mann, mit dem ich Sie beide heute morgen gesehen habe.«
»… oh. Dann haben Sie ihn also schon gesehen.«
»Vereinbaren Sie für mich ein Treffen. Kommen wir zum ernsthaften Geschäft. Betanische Dollars, denken Sie daran.«
»Erst das Vergnügen, dann die Arbeit, gewiß.« Ihr Atem streifte sein Ohr, ein schwacher, aromatischer Hauch.
Versuchte sie ihn weichzumachen. Wofür? Ungari hatte gesagt, er solle seine Tarnung nicht aufgeben. Sicherlich würde es dem Charakter von Victor Rotha entsprechen, alles zu nehmen, was er bekommen konnte. Plus zehn Prozent. »Sie brauchen das nicht zu tun«, brachte er noch hervor. Sein Herz schlug viel zu schnell.
»Ich tue nicht alles aus geschäftlichen Gründen«, schnurrte sie.
Warum in der Tat sollte sie sich die Mühe machen, einen schäbigen kleinen Waffenhändler zu verführen? Welches Vergnügen lag für sie darin? Was lag für sie darin außer Vergnügen? Vielleicht mag sie mich? Miles zuckte zusammen, als er sich vorstellte, wie er Ungari diese Erklärung anbot. Ihr Arm umschlang seinen Nacken. Seine Hand hob sich unwillkürlich, um den feinen Pelz ihrer Haare zu streicheln.
Ein höchst ästhetisches Tasterlebnis, genau, wie er es sich vorgestellt hatte …
Ihre Hand wurde fester. In einem reinen Nervenreflex sprang Miles auf die Füße. Und stand da und kam sich wie ein Idiot vor. Das war eine Liebkosung gewesen, nicht der Beginn einer Erdrosselung. Für die Hebelwirkung eines Angriffs war der Winkel völlig falsch.
Sie warf sich in dem Sitz zurück und streckte oben auf den Kissen einen schlanken Arm aus. »Victor!« Ihre Stimme klang amüsiert, ihre Augenbrauen waren hochgezogen. »Ich hatte nicht vor, Sie in den Hals zu beißen.«
Sein Gesicht war heiß. »Ich-muß-jetzt-gehen.« Er räusperte sich, um in seiner Stimme wieder der tieferen Töne Herr zu werden. Seine Hand sauste herab, um die Viddiskette aus dem Gerät zu ziehen. Ihre Hand zuckte danach, fiel dann schlaff zurück und simulierte Desinteresse.
Miles tippte auf den Türschalter.
Overholt war sofort da, als sich die Tür zur Seite gleitend öffnete.
Miles’ Inneres entspannte sich. Wenn sein Leibwächter verschwunden wäre, dann hätte Miles sofort gewußt, daß dies eine Art Falle war. Zu spät, natürlich.
»Vielleicht später«, brabbelte Miles. »Wenn Sie die Lieferung übernommen haben. Da könnten wir zusammenkommen.« Lieferung einer nicht existierenden Fracht? Was sagte er da?
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Ihr Gelächter folgte ihm den Korridor entlang. Es klang gereizt.
Miles war mit einem Ruck wach, als die Lichter in seiner Kabine angingen. Ungari stand in voller Kleidung in der Tür. Hinter ihm stand nervös und unsicher ihr Sprungpilot, nur in Unterwäsche und mit einem verschlafenen Ausdruck im Gesicht.
»Ziehen Sie sich später an«, knurrte Ungari den Piloten an. »Sorgen Sie nur dafür, daß wir vom Dock loskommen und steuern Sie uns dann über die Zehntausend-Kilometer-Grenze hinaus. Ich werde in ein paar Minuten bei Ihnen oben sein und Ihnen helfen, den Kurs festzulegen.«
Er fügte hinzu, halb zu sich selbst gesprochen: »Sobald ich weiß, wohin, zum Teufel, wir fliegen. Los, Bewegung!«
Der Pilot machte sich aus dem Staub. Ungari trat an Miles’ Bett.
»Vorkosigan, was, zum Teufel, ist in dem Zimmer im Gästequartier passiert?«
Miles kniff die Augen zusammen, sowohl gegen das grelle Licht wie auch gegen Ungaris zornigen Blick, und unterdrückte einen Impuls, sich unter der Bettdecke vor beiden zu verstecken. »Hä?« Sein Mund war noch trocken vom Schlaf.
»Ich habe gerade eine Vorwarnung bekommen — Vorwarnung von nur ein paar Minuten —, daß vom zivilen Sicherheitsbüro von Pol Sechs ein Haftbefehl für Victor Rotha ausgestellt wurde.«
»Aber ich habe die Dame doch gar nicht angefaßt!«, protestierte Miles verwirrt.
»Liga wurde ermordet in eurem Begegnungszimmer aufgefunden.«
»Was!«
»Das Sicherheitslabor hat gerade die Zeitbestimmung abgeschlossen — für etwa den Zeitpunkt, als ihr euch getroffen habt. Treffen wolltet. Der Haftbefehl wird in wenigen Minuten auf dem Netz sein, und wir werden hier eingesperrt sein.«
»Aber ich habe es nicht getan. Ich habe Liga nicht einmal getroffen, nur seinen Boss, Livia Nu. Ich meine — wenn ich so etwas getan hätte, dann hätte ich es Ihnen doch sofort gemeldet, Sir!«
»Danke«, sagte Ungari trocken. »Freut mich, das zu wissen.« Seine Stimme wurde schärfer. »Natürlich will jemand Ihnen was anhängen.«
»Wer …« Ja. Es konnte noch eine schlimmere Methode für Livia Nu gegeben haben, Liga diese äußerst geheime Viddiskette abzunehmen.
Aber wenn sie nicht Ligas Vorgesetzte war oder vielleicht überhaupt kein Mitglied seiner polianischen kriminellen Organisation, wer war sie dann? »Wir müssen mehr wissen, Sir! Dies könnte der Anfang von etwas sein.«
»Dies könnte das Ende unserer Mission sein. Verdammt! Und jetzt können wir uns nicht über Pol nach Barrayar zurückziehen. Der Weg ist abgeschnitten. Wohin als nächstes?«
Ungari ging auf und ab und dachte dabei offensichtlich laut nach. »Ich möchte nach Aslund gehen. Sein Auslieferungsvertrag mit Pol ist im Augenblick aufgehoben … aber dann sind da Ihre Komplikationen mit den Söldnern. Nachdem die jetzt Rotha mit Naismith in Verbindung gebracht haben. Dank Ihrer Nachlässigkeit.«
»Dem zufolge, was Chodak gesagt hat, glaube ich, daß man Admiral Naismith nicht unbedingt mit offenen Armen begrüßen würde«, stimmte Miles widerstrebend zu.
»Die Station des Konsortiums von Jackson’s Whole hat mit niemandem einen Auslieferungsvertrag. Ihre Tarnung ist völlig kaputt. Rotha und Naismith sind beide nutzlos. Wir müssen also zum Konsortium. Ich werde dieses Schiff dort stehenlassen, untertauchen und auf eigene Faust Richtung Aslund kehrtmachen.«
»Und was ist mit mir, Sir?«
»Sie und Overholt werden sich von mir trennen und auf den langen Weg nach Hause machen müssen.«
Nach Hause. Nach Hause in Schande.
»Sir … wegzulaufen sieht schlecht aus. Angenommen, wir rühren uns nicht vom Fleck und entlasten Rotha von der Beschuldigung? Wir wären nicht mehr abgeschnitten, und Rotha wäre immer noch eine brauchbare Tarnung. Es ist doch möglich, daß man uns genau dazu drängen will, daß wir abhauen.«
»Ich sehe nicht, wie irgend jemand etwas von meiner Quelle im polianischen zivilen Sicherheitsbüro hätte wissen können. Ich glaube, man wollte uns hier am Dock festhalten.«
Ungari schlug einmal mit seiner rechten Faust in die linke Hand, diesmal als Geste der Entschlossenheit. »Auf zum Konsortium!«
Er drehte sich um und ging hinaus. Seine Stiefeltritte stapften das Deck hinab. Eine Veränderung in der Vibration und im Luftdruck und ein etwas gedämpftes Klirren zeigten Miles an, daß ihr Schiff nun von Pol Sechs abhob.
Miles sagte laut zu der leeren Kabine: »Aber was, wenn die anderen Pläne für beide Eventualitäten haben? Ich würde sie haben.« Er schüttelte zweifelnd den Kopf und stand auf, um sich anzuziehen und Ungari zu folgen.
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