… und befand mich in totaler Dunkelheit, in der nur die grellen Buchstaben leuchteten: PRIVATBESITZ — BETRETEN STRENG VERBOTEN!
Ich blieb stehen und ließ meine Gedanken wandern. Janet hatte mir gesagt, der Schalter, der die Todesfallen lahmlegte, sei „ein kurzes Stück innerhalb versteckt“.
Wie lang ist ein „kurzes Stück“?
Und wie gut war die Installation versteckt?
Das Versteck war gut, einfach weil es bis auf die unheildrohend leuchtenden Buchstaben hier unten tintenschwarz war. Sie hätten genausogut androhen können: „Wenn du hier eintrittst, laß alle Hoffnung fahren.“
Also heraus mit deiner Taschenlampe, Freitag, die ihre eigene kleine Shipstone-Energieversorgung hat dann mach dich an die Suche. Aber wage dich nicht zu weit vor!In dem kleinen Koffer, den ich auf der Skip To M’Lou zurückgelassen hatte, befand sich in der Tat eine Lampe. Vielleicht schimmerte sie in diesem Augenblick sogar und sorgte für Unterhaltung bei den Fischen auf dem Grunde des Mississippi. Und ich wußte, daß weiter unten im Tunnel weitere Lampen gelagert waren.
Ich hatte nicht einmal ein Streichholz.
Wäre ein Pfadfinder bei mir gewesen, hätte ich Feuer machen können, indem ich seine Hinterbeine aneinanderrieb. Ach, schon gut, Freitag!
Ich sank auf den Boden und ließ den Tränen freien Lauf. Dann streckte ich mich auf dem (harten, kalten)
(willkommenen und weichen) Betonboden aus und schlief ein.
Viel später erwachte ich und stellte fest, daß der Boden wirklich hart und kalt war. Trotzdem fühlte ich mich dermaßen ausgeruht, daß das unangenehme Lager mir nichts ausmachte. Ich stand auf, rieb mir die Augen und stellte fest, daß mir nicht mehr hoffnungslos zumute war — nur hungrig war ich.
Der Tunnel war hell erleuchtet.
Noch immer warnte mich das Leuchtschild davor weiterzugehen, doch der Tunnel war nicht mehr schwarz; die Beleuchtung schien der in einem angenehm hellen Wohnzimmer zu entsprechen. Ich schaute mich nach der Lichtquelle um.
Langsam machte auch mein Gehirn wieder mit. Die einzige Lichtquelle war das Leuchtschild; dagegen hatten sich meine Augen während des Schlafens an die Umgebung angepaßt. Ich weiß, daß Menschen dasselbe Phänomen erleben, wahrscheinlich aber nicht in diesem Umfang.
Ich machte mich auf die Suche nach dem Schalter.
Dann aber hielt ich inne und griff vielmehr auf mein Gehirn zurück. Das ist anstrengender als jede Muskelbewegung, doch zugleich ruhiger und weniger kalorienaufwendig. Es ist die einzige Funktion die uns von den Affen unterscheidet, wenn auch nur knapp. Wenn ich ein versteckter Schalter wäre, wo würde ich mich befinden?
Die wesentlichen Parameter dieses Schalters sahen folgendermaßen aus: Er mußte so gut versteckt sein daß Eindringlinge ihn nicht fanden, trotzdem mußte er Janet und ihren Ehemännern das Leben retten. Washatte das zur Folge?
Das Ding durfte nicht so hoch liegen, daß Janet es nicht erreichen konnte; da wir etwa dieselbe Größe haben, folgerte daraus, daß ich den Schalter würde erreichen müssen. Der Schalter war folglich so angebracht, daß ich keinen Stuhl brauchte, um ihn zu bedienen.
Die schwebenden Leuchtbuchstaben befanden sich etwa drei Meter innerhalb der Tür. Der Schalter konnte nicht sehr weit dahinter liegen, denn Janet hatte mir gesagt, die zweite Warnung, die das Todesversprechen enthielt, werde gleich danach ausgelöst — sie hatte von „ein paar Metern“ gesprochen. „Ein paar“ — das sind selten mehr als zehn.
Andererseits würde Janet den Schalter nicht so gründlich verstecken, daß einer ihrer Männer auf der Flucht vor lebensgefährlichen Verfolgern sich genau daran erinnern müßte, wo er wäre. Die einfache Erkenntnis, daß es einen solchen Schalter gab, müßte als Hinweis für das Auffinden genügen. Ein Eindringling, der nicht weiß, daß ein Schalter existiert, darf ihn andererseits nicht zufällig bemerken.
Ich ging in den Tunnel herein, bis ich unter dem Leuchtschild stand, zu dem ich emporblickte. Das von dem Warnschild ausstrahlende Licht erhellte alles ziemlich klar — nur nicht das kleine Stück des Tunnelbogens unmittelbar über den Buchstaben.
Trotz meiner an die Dunkelheit gewöhnten und darüber hinaus gesteigerten Augen konnte ich die Decke direkt über dem Schild nicht erkennen.
Ich griff hinauf und betastete die Decke an den Stellen, wo ich sie nicht sehen konnte. Meine Finger stießen auf etwas, das sich wie ein Knopf anfühlte,womöglich das Ende eines Solenoiden. Ich drückte darauf.
Das Warnlicht erlosch; Deckenlampen gingen an und leuchteten tief in den Tunnel hinein.
Tiefkühlnahrung und eine Kochmöglichkeit, große Handtücher und heißes und kaltes fließendes Wasser und ein Terminal im Loch, das mir die neuesten Nachrichten und Zusammenfassungen alter Meldungen brachte … Bücher und Musik und Bargeld, das für den Notfall im Loch aufbewahrt wurde, dazu Waffen und Shipstone-Ladungen und Munition und Kleidung jeder Sorte, die mir paßte, weil sie für Janet ausgesucht war, und ein Uhrenkalender im Terminal der mir verriet, daß ich dreizehn Stunden geschlafen hatte, ehe die Härte des Beton-„Bettes“ mich weckte und ein weiches, bequemes Bett, das mich aufforderte, die Nacht abzuschließen, nachdem ich gebadet und gegessen und meinen Nachrichtenhunger gestillt hatte — ein Gefühl absoluter Sicherheit, das mir soweit Beruhigung verschaffte, daß ich keine Gedankenkontrolle mehr auszuüben brauchte, um meine echten Gefühle zu unterdrücken …
Aus den Nachrichten ging hervor, daß BritischKanada die Krise auf eine begrenzte Notlage zurückgenommen hatte. Die Grenze zum Imperium blieb geschlossen. Die Québec-Grenze wurde noch immer streng überwacht, doch bei legitimen Anliegen wurden bereits wieder Pässe ausgestellt. Der verbleibende Streitpunkt zwischen den beiden Nationen betraf die Frage, wieviel Québec an Reparationen zu zahlen hatte für einen militärischen Angriff, der inzwischen einem Irrtum oder militärischer Dummheit zuge-schrieben wurde. Der Internierungsbefehl galt immer noch, doch waren inzwischen neunzig Prozent der Québecois Internierten auf Ehrenwort freigelassen worden — und etwa zwanzig Prozent der Internierten aus dem Imperium. Ich war also gut beraten gewesen, den Kopf einzuziehen, denn natürlich war ich für die Behörden eine verdächtige Person, daran bestand kein Zweifel.
Es sah allerdings so aus, als könnte Georges nach Belieben hierher zurückkehren. Oder gab es hier Aspekte, die ich nicht richtig auszuloten wußte?
Der Überlebensrat kündigte eine dritte Welle „lehrreicher“ Hinrichtungen für zehn Tage plus-oderminus zwei Tage nach der letzten Aktion an. Die Stimulatoren folgten einen Tag später mit einer entsprechenden Aussage, in der zugleich der sogenannte Überlebensrat verurteilt wurde. Die Engel des Herrn meldeten sich diesmal nicht zu Wort — zumindest wurde von ihnen keine Ankündigung über das BritKan-Datanetz verbreitet.
Wieder kam ich zu vorläufigen Schlußfolgerungen die ausnahmslos auf tönernen Füßen standen: Die Stimulatoren waren eine Scheinorganisation, die ganz aus Propaganda bestand und gar keine Einsatzagenten unterhielt. Die Engel des Herrn waren ausgeschaltet oder auf der Flucht. Der Überlebensrat dagegen verfügte über Unterstützung aus ungeheuer reicher Ecke; jemand, der bereit war, Geld für weitere unausgebildete Akteure zu bezahlen, die bei weitgehend nutzlosen Anschlägen geopfert werden sollten — aber das war nur eine Vermutung, die aufzugeben ich gern bereit war, sollte die dritte Woge von Anschlägen wieder erfolgreich und professionell geplant ab-laufen — womit ich allerdings nicht rechnete, aber ich habe mich schon öfter geirrt.
Noch immer konnte ich mir nicht recht vorstellen wer hinter diesen dummen Schreckenstaten steckte.
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