„Scheint mir hier ja eine einzige glückliche Familie zu sein.“
„O ja, das kann man wohl sagen! In unserer Firma gibt es Computerverbrechen nicht — im Gegensatz zu anderen Finanzinstituten. Alle lieben den alten J. B.“
Er blickte auf seine Finger. „Gehen wir ins Konferenzzimmer!“
Mr. Chambers sorgte dafür, daß wir VIP-Sitze erhielten, besorgte uns persönlich Kaffee und beschloß dann, sich ebenfalls zu setzen und die Ziehung zu verfolgen.
Der Schirm des Terminals nahm den größten Teil der Stirnseite des Raums ein. Eine Stunde lang schauten wir zu, wie kleinere Preise ausgelost wurden — eine Zeit, in der der Leiter der Sendung mit seinen Assistenten krampfhaft lustige Witze austauschte, vorwiegend über die körperlichen Vorzüge des Mädchens, welches die Papierstücke aus der Lostrommel fischte. Eindeutig war sie eben wegen dieser Vorzüge für diese Aufgabe bestimmt worden — Vorzüge, die wirklich augenfüllend waren und die durch ihre Bereitschaft zur Geltung kamen, ein Kostüm zu tragen, das nicht nur wenig zu raten übrig ließ, sondern dem Publikum außerdem klarmachte, daß sienichts zu verbergen hatte. Sie brauchte nur einen Arm in die Trommel zu schieben und das Los herauszuholen und trug dann praktisch nichts anderes als die Binde über ihren Augen. Es schien mir eine leichte, angenehme Arbeit zu sein, vorausgesetzt, das Studio war gut geheizt.
Zur Hälfte der Zeit gab es weiter vorn lautes Begeisterungsgeschrei; eine Angestellte von Master Charge hatte tausend Braune gewonnen. Chambers setzte ein breites Grinsen auf. „So etwas passiert nicht oft, aber wenn es geschieht, dann sind alle tagelang aufgeheitert. Gehen wir? Nein, Sie haben ja noch ein Los, das gewinnen kann, ja? Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, daß der Blitz zweimal hier einschlägt.“
Mit lautem Fanfarenschall erreichten wir endlich den großen Preis der Woche — den „Riesigen, Erstklassigen, All-kalifornischen Superpreis!!!“ Vorher aber zog das Mädchen mit der Gänsehaut zwei Ehrenpreise — ein Jahresvorrat Ukiah Gold mit Haschpfeife, und ein Abendessen mit dem großen Sensie-Star Bobby „Brutal“ Pizarro.
Dann zog sie das letzte Glückslos; der Zeremonienmeister las die Ziffern vor, die gleich darauf strahlend über seinem Kopf eingeblendet wurden. „Mr.
Zee!“ brüllte er. „Hat der Besitzer die Nummer registriert?“
„Einen Augenblick — nein, nicht registriert!“
„Dann haben wir ein Aschenputtel! Wir haben einen unbekannten Gewinner! Irgendwo lebt in unserer großen, wunderbaren Konföderation ein Mensch, der in diesem Augenblick um zweihunderttausend Braune reicher geworden ist! Schaut uns dieses Glückskind zu? Wird sie — oder er — uns anrufen und hier imFernsehen erscheinen können, ehe die Sendung vorbei ist? Oder wird sie morgen früh aufwachen und dann erst erfahren, daß sie reich ist? Da oben steht die Nummer, Leute! Sie bleibt dort stehen, bis die Sendung vorbei ist, dann wird sie mit jeder Nachrichtensendung wiederholt, bis das Glückskind seinen Preis beansprucht hat. Und jetzt eine Durchsage …“
„Freitag“, flüsterte Georges, „zeig mal dein Los!“
„Nicht nötig“, flüsterte ich zurück. „Es ist die Nummer.“
Mr. Chambers stand auf. „Die Show ist vorbei.
Nett, daß ein Mitglied unserer kleinen Familie etwas gewinnen konnte. Es war mir wirklich eine Freude Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Miß Baldwin und Mr. Karo — und melden Sie sich ruhig wieder bei mir wenn wir Ihnen helfen können.“
„Mr. Chambers“, sagte ich, „kann Master Charge dies für mich einlösen? Ich möchte es nicht persönlich tun.“
Mr. Chambers ist ein netter Mann, der zuweilen aber ein wenig langsam reagiert. Dreimal mußte er die Ziffern auf meinem Lotterielos mit den Ziffern vergleichen, die noch auf dem Bildschirm schimmerten, ehe er seinen Augen zu trauen wagte. Dann mußte Georges ihn davon abhalten, wie wild loszurennen, um Photographen zu holen, das Hauptquartier der Nationalen Lotterie anzurufen, ein Holovisions-Team anzufordern — nur gut, daß Georges ihn zurückhielt, denn ich hätte in diesem Augenblick vielleicht etwas rücksichtslos reagiert. Großgewachsene Männer, die auf meine Einwände nicht achten machen mich ärgerlich.
„Mr. Chambers!“ sagte Georges. „Haben Sie nichtgehört, was sie gesagt hat? Sie möchte den Gewinn nicht persönlich abholen. Keine Publicity.“
„Was? Aber die Gewinner sind doch immer in den Nachrichten zu sehen! Das ist reine Routine! Es dauert bestimmt nicht lange, wenn Ihnen das Sorgen macht — erinnern Sie sich an das Mädchen, das vorhin gewonnen hat? Im Augenblick wird sie bestimmt mit J. B. und ihrem Kuchen photographiert. Wir wollen sofort in sein Büro gehen und …“
„Georges“, sagte ich, „American Express.“
Georges reagiert nicht langsam — und ich hätte nichts dagegen, ihn zu heiraten, sollte Janet ihn jemals von der Leine lassen. „Mr. Chambers“, sagte er hastig, „wie lautet die Anschrift des San-JoséHauptbüros von American Express?“
Chambers hörte augenblicklich mit dem Gewirbel auf. „Was haben Sie da gefragt?“
„Können Sie mir die Adresse von American Express nennen? Miß Baldwin wird ihr Gewinnlos dort zum Einzug vorlegen. Ich werde unseren Besuch telefonisch ankündigen, um sicher zu sein, daß man dort begreift, welchen Wert wir als Bankkunden auf Diskretion legen.“
„Aber das können Sie doch nicht tun. Sie hat hier gewonnen.“
„Oh, wir können und wir werden. Sie hat nicht hier gewonnen. Sie war zufällig in diesem Gebäude, als an einem anderen Ort die Ziehung stattfand. Bitte gehen Sie uns aus dem Weg! Wir gehen.“
Dieselbe Vorstellung mußte dann noch einmal vor J. B. ablaufen. Er war ein würdevoller alter Knabe mit einer Zigarre im Mundwinkel und klebrigem weißen Zuckerguß an der Oberlippe. Er war nicht dumm undreagierte sofort, doch er war es gewöhnt, daß seine Wünsche erfüllt wurden, und Georges mußte wieder ziemlich laut von American Express anfangen, ehe ihm klar wurde, daß ich keinerlei Publicity dulden würde (mein Chef wäre in Ohnmacht gefallen!) und daß wir uns, um dieses Ziel zu erreichen, notfalls auch mit windigen Geldwechslern einlassen würden um seiner Firma aus dem Weg zu gehen.
„Aber Miß Bulgrin ist Kundin von Master Charge.“
„Nein“, widersprach ich. „Ich hatte auch gedacht daß ich Kundin von Master Charge wäre, aber Mr.
Chambers weigerte sich, meine Zahlungen anzuerkennen. Ich werde mir also ein Konto bei American Express einrichten. Ohne Photographen.“
„Chambers.“ Ein unheilvoller Ton schwang in seiner Stimme. „Was ist das für eine Geschichte?“
Chambers erläuterte, daß meine Kreditkarte von der Imperial-Bank von Saint Louis ausgestellt worden sei.
„Ein erstklassiges Haus“, bemerkte J. B. „Chambers. Stellen Sie ihr eine neue Karte aus! Auf uns! Sofort! Und lösen Sie das Gewinnlos für sie ein!“ Er sah mich an und nahm die Zigarre aus dem Mund. „Keine Publicity. Die Angelegenheiten der Kunden von Master Charge sind stets vertraulich zu behandeln.
Zufrieden, Miß Walgreen?“
„Durchaus, Sir.“
„Chambers, dann los!“
„Ja, Sir. Welches Kreditlimit, Sir?“
„In welchem Ausmaß benötigen Sie Kredit, Miß Belgien? Vielleicht sollte ich Sie bitten, in Kronen zu antworten — wie sieht Ihr Limit bei meinen Kollegen in Saint Louis aus?“
„Ich bin dort Goldkundin, Sir. Mein Konto wird stets in Goldwerten berechnet und nicht in Kronen; dafür gibt es ein spezielles doppeltes Konto. Könnten wir dieselbe Basis finden? Sie müssen verstehen, ich bin es nicht gewöhnt, in Braunen zu denken. Ich reise soviel, daß es mir leichter fällt, in Goldgrammwerten zu rechnen.“ (Einem Bankier in Weichwährungsländern mit Gold zu kommen, ist beinahe unfair; sofort vernebelt sich sein Denken.)
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