„Dieser Ansicht bin ich im Grunde auch. Möchtest du dir sonst noch etwas anschauen?“
„Ich glaube nicht, Jan. Zumal ich nicht damit rechne, euer hübsches Versteck jemals benützen zu müssen. Schwimmen wir zurück?“
„Gleich.“ Sie überbrückte die Entfernung, die zwischen uns bestand, und legte mir die Hände auf die Schultern. „Was hast du mir da vorhin zugeflüstert?“
„Das hast du doch gehört!“
„O ja.“ Sie zog mich an sich.
In diesem Augenblick meldete sich das Terminal auf dem Tisch. „Mittagessen ist fertig!“
Jan verzog angewidert das Gesicht. „Spielverderber!“
Das Essen war köstlich. Kalte Platten mit Pickles, Käsesorten, Brot, Marmelade verschiedener Art, Nüssen Radieschen, Schalotten, Sellerie und dergleichen rahmten einen großen Suppentopf über einer offenen Flamme. In Griffweite standen Teller mit buttertriefendem Knoblauchbrot. Georges zelebrierte das Austeilen der Suppe mit der Würde eines Oberkellners. Ich setzte mich, und Ian band mir eine große Serviette um den Hals. „Nun hau tüchtig rein!“ sagte er.
Ich kostete die Suppe. „Das tue ich!“ rief ich und fügte hinzu: „Janet, diese Köstlichkeit hast du sicher schon gestern den ganzen Tag auf dem Feuer gehabt!“
„Falsch!“ antwortete Ian. „Georges’ Großmutter hat ihm die Suppe testamentarisch vermacht.“
„Das ist übertrieben“, widersprach Georges. „Meine geliebte Mutter, möge Gott ihr Trost spenden setzte diese Suppe in dem Jahr an, in dem ich geboren wurde. Meine ältere Schwester rechnete stets damit sie zu erben, aber dann heiratete sie unter ihrer Würde — einen Britisch-Kanadier —, und so ging sie auf mich über. Ich habe mich bemüht, die Tradition aufrechtzuerhalten. Allerdings meine ich, daß Geschmack und Bukett besser waren, als meine Mutter sich noch darum kümmerte.“
„Ich verstehe nichts von solchen Dingen“, antwortete ich. „Ich weiß nur, daß diese Suppe noch keine Dose gesehen hat.“
„Ich habe sie letzte Woche begonnen“, sagte Janet.„Dann aber übernahm Georges das Ruder und päppelte sie hoch. Er versteht mehr von Suppen als ich.“
„Ich verstehe sie lediglich zu essen, und ich hoffe daß der Topf noch recht viel hergibt.“
„Wir können jederzeit noch eine Maus hineintun“ versicherte mir Georges.
„Hat’s was Neues in den Nachrichten gegeben?“ fragte Janet.
„Was ist mit deiner Vorschrift, daß bei den Mahlzeiten nicht über die Außenwelt gesprochen werden soll?“
„Liebling Ian, du solltest besser als jeder andere wissen, daß meine Vorschriften auf andere zugeschnitten sind, nicht aber auf mich. Gib Antwort!“
„Im allgemeinen keine Veränderung. Neue Hinrichtungen sind nicht gemeldet worden. Falls sich der Horde prahlerischer Staatsvernichter weitere hinzugesellt haben sollten, zieht es unsere väterliche Regierung vor, nichts davon zu sagen. Verdammt, wie ich diese Einstellung hasse — ›Papa weiß es schon am besten‹! Papa weiß es eben nicht am besten, sonst steckten wir nicht in dem Chaos, das heute überall herrscht. Im Grunde wissen wir nur, daß die Regierung Zensur ausübt. Was zur Folge hat, daß wir nichts wissen. So etwas weckt in mir den Wunsch, irgend jemand abzuknallen.“
„Ich glaube, solche Sachen hat es schon zur Genüge gegeben. Oder möchtest du dich bei den Engeln des Herrn einschreiben lassen?“
„Wenn du das sagst, solltest du lächeln. Oder möchtest du eins auf dein Zuckerschnäuzchen haben?“
„Denk dran, was passiert ist, als du mich das letz-temal züchtigen wolltest.“
„Deswegen habe ich mich ja auf dein Zuckerschnäuzchen beschränkt.“
„Schätzchen, ich verschreibe dir drei doppelte Drinks oder eine Beruhigungstablette. Tut mir leid wenn du dich aufregst. Mir gefällt das alles auch nicht, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, als weiter abzuwarten.“
„Jan, manchmal bist du beinahe unerträglich vernünftig. Was mich die Wände hochgehen läßt, ist dieses riesige schwarze Loch in den Meldungen … das ohne Erklärung bleibt.“
„Ja?“
„Die multinationalen Firmen. Die Nachrichten haben sich auf die Territorialstaaten beschränkt, über die Firmenmächte ist kein Wort gefallen. Wer jedoch heute einigermaßen bis zehn zählen kann, muß wissen, wo die wahre Macht liegt. Wissen die blutrünstigen Idioten das nicht?“
Sanft sagte Georges: „Mein Freund, vielleicht liegt genau da der Grund, warum die Konzerne bisher nicht als Angriffsziele zur Sprache gekommen sind.“
„Ja, aber …“ Ian unterbrach sich.
„Ian“, sagte ich, „als wir uns kennenlernten, erzähltest du mir, daß es im Grunde keine Möglichkeit gibt, gegen einen Firmenstaat loszuschlagen. Dabei erwähntest du IBM und Rußland.“
„So habe ich das aber nicht ausgedrückt, Marj. Ich sagte, man könne nicht mit militärischer Gewalt gegen einen Multi vorgehen. Bei den alltäglichen Auseinandersetzungen untereinander setzen die Riesen Geld und Bevollmächtigte ein und lassen sich auf Manöver ein, die nicht mit Gewaltanwendung, sondern durchRechtsanwälte und Bankiers ausgefochten werden.
Gewiß, manchmal bekämpfen sie sich mit Söldnerarmeen, aber sie geben es nicht zu, und es gehört normalerweise auch nicht zu ihrem Repertoire. Die Dummköpfe, die da im Augenblick losschlagen, setzen aber genau die Waffen ein, mit denen ein Multi getroffen werden kann, und zwar entscheidend:
Morde an wichtigen Leuten und Sabotageakte. Dies liegt so klar auf der Hand, daß es mich beunruhigt nichts davon in den Nachrichten zu hören. Ich frage mich unwillkürlich, was da noch alles vorgeht, das nicht über die Sender ausgestrahlt wird.“
Ich schluckte einen großen Brocken Brot hinunter den ich in der himmlischen Suppe eingeweicht hatte dann sagte ich: „Ian, läge es im Bereich des Möglichen, daß diese ganze Show auf das Betreiben eines — oder mehrerer — Multis zurückgeht — durch angeheuerte Strohmänner?“
Ian richtete sich so plötzlich auf, daß seine Suppe überschwappte und er sich das Lätzchen schmutzigmachte. „Marj, du erstaunst mich! Ursprünglich habe ich dich aus Gründen, die nichts mit deinem Gehirn zu tun haben, aus der großen Menge ausgesucht …“
„Ich weiß.“
„…aber du bestehst darauf, dein Köpfchen unter Beweis zu stellen. Dir fiel sofort auf, was an dem Gedanken unserer Firma, künstliche Piloten in den Dienst aufzunehmen, nicht stimmte — ich werde deine Argumente in Vancouver vortragen. Jetzt hast du dir die verrückte Nachrichtenszene angeschaut — und das einzige fehlende Stück im Puzzle richtig eingefügt, so daß das Ganze plötzlich einen Sinn ergibt.“
„Ich weiß nicht recht, ob es einen Sinn ergibt“,antwortete ich. „Den Nachrichten zufolge hat es aber Morde und Sabotageakte auf dem ganzen Planeten und seinen Vororten gegeben, auf Luna und bis hinaus zum Ceres. Dazu sind Hunderte von Leuten erforderlich, vermutlich sogar Tausende. Anschläge und Sabotageakte erfordern Spezialisten, die ausgebildet sein müssen. Selbst wenn man dazu Amateure gewinnen könnte, würden sie doch in sieben von zehn Fällen Mist bauen. Die ganze Sache scheint mir auf Geld hinzuweisen. Viel Geld. Nicht nur auf eine verrückte politische Organisation oder einen religiösen Kult von Irrsinnigen. Wer hat das Geld für eine welt- und systemweite Demonstration dieser Art? Ich weiß es nicht — ich habe nur eine Möglichkeit angesprochen.“
„Ich glaube, du hast das Rätsel gelöst — bis auf die Frage, wer da hinter den Kulissen steht. Marj, was machst du, wenn du dich nicht bei deiner Familie in Neuseeland aufhältst?“
„Ich habe keine Familie in Neuseeland, Ian. Meine Männer und meine Gruppenschwestern haben sich von mir scheiden lassen.“
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