Mit einem tiefen Seufzer schaltete Norbert Franken die einzige bisher nicht benutzte Frequenz ein, die UKWWelle, die das Raumschiff mit den Kameraden auf dem Asteroiden verband.
Dann drückte Franken kurz entschlossen die glutrote Alarmtaste ein.
Eine Sirene heulte schauerlich auf- und abschwellend los. Diese Sirene war das Zeichen für die höchste Lebensgefahr aller. Sie bedeutete, daß die Leitung des Schiffes eine Gefahr nahen sah, der man trotz aller technischen Mittel nicht wirksam begegnen konnte.
Diese Sirene hatte noch nie auf dem Raumschiff AJ-408 getönt. Ihr durch Mark und Bein gehender Ton drang, vom Bordfunk übertragen, in jeden Winkel der Rakete. Ihr Ruf gellte über UKW-Funk auch all jenen im Helm, die auf dem Asteroiden Adonis tätig waren.
Nach einem dreimaligen alarmierenden Auf und Ab ihres Tones ging die Sirene zu einem eigentümlichen Dauerlaut über. Es war eine Tonkombination, die auf der Grundlage psychologischer Erkenntnisse zusammengestellt war. Jeder, der diesen Dauerton der Gefahrensirene hörte, spürte in sich unbändige Kraft emporsteigen. Dieser Ton weckte höchsten Tatendrang, Entschlossenheit, Kampf- und Einsatzbereitschaft.
Plötzlich brach der Sirenenton ab.
„Astronauten!“ klang es ruhig aus den Tonträgern des Raumschiffes und in den Kopfglocken der Raumanzüge. „Hier spricht Franken. Ein fremdes Raumschiff unbekannter Herkunft ist im Anflug. Es schweigt auf unsere Anfragen. Wir wissen nicht, ob es vorüberfliegt oder ob es eine Handlung gegen uns begehen wird. Die fremde Rakete hat V-Form. Sie wird in zwei Minuten auf gleicher Höhe mit uns sein. Bleibt auf Adonis! Startet nicht! — Ich übergebe an den Kommandanten.“
Während der Funker die Gefährten vor der Gefahr warnte und sie über die Art des drohenden Unheils informierte, gab Axel Kerulen halblaut Anweisungen an seine Männer im Steuerraum. Frankens Worte an die Kameraden auf Adonis ließ alle klar erkennen, was geschah. Die Männer nahmen die Sitze vor den einzelnen Kommandopulten ein. Sie waren bereit, sich bis aufs Letzte einzusetzen.
Die in den nächsten Minuten bevorstehenden Gefahrenmanöver konnte man nicht dem automatischen Astropiloten überlassen. Sollten in dem unbekannten Flugkörper wirklich denkende Wesen aus einem anderen Sonnensystem sein, so konnte der Pilotron durch falsche Auslegungen der Umstände großes Unheil anrichten. Trotz seiner Automatik und seiner blitzschnellen Elektronik konnte er in diesem Fall versagen. Ihm fehlte, wie allen Maschinen, die schöpferische Überlegung, die nur einem lebenden Wesen wie dem Menschen zu eigen sein konnten. Eine unbedachte Handlung konnte die seit Jahrhunderten von der Menschheit erträumte Begegnung mit anderen vernunftbegabten Wesen ferner Welten auf Jahrtausende zunichte machen.
Kerulen erteilte, nachdem Franken seine kurze informatorische Durchsage beendet hatte, auch den Arbeitsgruppen auf Adonis seine Anweisungen:
„Genossen! Die nächsten Minuten sind voller Ungewißheit. Wir müssen mit allem rechnen. Sollte unser Raumschiff vernichtet werden, müßt ihr versuchen, mit dem neuen Funkwarnfeuer Hilfe zu erreichen. Ich befehle daher: die Arbeiten bei der Endmontage des Warnfeuers sind trotz der Gefahr in höchster Eile fortzusetzen. Der kleinen Aufklärungsrakete und allen Einmannraketen erteile ich vorübergehend Startverbot. — Ende.“
Kerulen mußte abbrechen. Jede Sekunde war kostbar. Er hätte seinen Gefährten auf Adonis noch viel zu sagen gehabt. Aber die Umstände duldeten dies nicht.
Kerulen hatte jetzt noch einen kurzen, schweren Kampf mit sich auszufechten. In ihm tobten die widersprechendsten Empfindungen und Überlegungen. Durfte er, wenn das Raumschiff oder die Kameraden auf Adonis angegriffen wurden, den Helicon-Strahlenwerfer sprechen lassen? War es überhaupt möglich, daß in dem V-Schiff Lebewesen waren? War es überhaupt denkbar, daß solche Wesen, die die Raumfahrt noch besser zu beherrschen schienen als die Menschenfeindliche Handlungen begehen konnten?
Kerulen entschloß sich. Würden die anderen angreifen, so stand ihm das Recht zu, sich zur Wehr zu setzen.
Paro Bacos, der Kernphysiker, erhielt den Auftrag, Franken am Funk- und Radarpult abzulösen und an dessen Stelle die Verständigungsversuche fortzusetzen. Franken hingegen wurde angewiesen, am MeteoritenBekämpfungspult, also am Helicon, Platz zu nehmen. Das war eine ungewöhnliche Aufgabenverteilung. Normalerweise hätte es genau umgekehrt sein müssen.
Aber Kerulen glaubte, daß die Waffengewalt bei Franken in besseren Händen sei, weil sich der Funker in den letzten Minuten außerordentlich gut bewährt hatte und weil Franken über das fremde Raumschiff mehr zu wissen schien als sie alle miteinander. Norbert Franken würde das Verhalten und die eventueller! Handlungen der Fremden besser einschätzen können als jeder andere aus ihrer Mitte. Damit war garantiert, daß der Strahlenwerfer mit seiner furchtbaren Gewalt wirklich nur im äußersten Notfall eingesetzt würde.
Der Kommandant ahnte nicht, daß Paro Bacos der Wahrheit viel näher war als Franken.
Das unheimliche V-Schiff war jetzt schon ganz nahe. Mit unverminderter Geschwindigkeit kam es heran. Gleich würde es die Bahn des Asteroiden kurz vor ihm schneiden. Würde das fremde Raumschiff vorbeifliegen oder würde etwas geschehen?
In diesem spannungsreichen Sekunden achtete niemand auf Paro Bacos. Der Kernphysiker drückte plötzlich, von einem unbestimmten zwingenden Gefühl getrieben, auf eine Taste. Aus einem der Richtstrahler fuhr ein kurzer starker Impuls zu dem fremden Schiff hinüber. Es war einer der Schaltimpulse, mit denen die Pilotrone aller Raketen den Triebwerken den Befehl zum Einsetzen gaben.
In diesem Augenblick blieb jedem, im Steuerraum und auf Adonis, das Herz vor Schreck fast stehen.
Aus dem in Flugrichtung weisenden Schenkel der V- Rakete fuhr der blendendhelle Schein eines Atomfeuers. Der bremsende Feuerstoß brach in der Sekunde aus dem fremden Sternenschiff hervor, als es den Schnittpunkt der Bahnen überquerte. Der rätselhafte Flugkörper verfiel sofort in eine dem Asteroiden ähnliche Bahn. Plötzlich erloschen die Atomfeuer. Die V-Rakete flog dicht, nur wenige Kilometer, vor dem Asteroiden einher.
Franken kniff die Augen zusammen. Er behielt von nun an das V-Schiff immer im Radarvisier des Helicons. Nachdem die Fremdlinge ein Lebenszeichen von sich gegeben hatten, mußte man wachsam sein. Franken war zum Äußersten entschlossen. Sein Finger lag schon auf dem Auslöser. Wer schneller ist und zuerst den vernichtenden Strahlen freies Spiel läßt, bleibt leben, bleibt übrig, dachte Norbert Franken. Dann erschrak er: Was, Leben willst du vernichten? — Norbert! ermahnte er sich. Der Funker nahm wieder den Finger vom Auslöser. Wenn ich die Fremden vernichte, werde ich nie erfahren, ob sie die Signale gesendet haben, ob sie die Urheber der Frequenzwandlung sind. — Aber was, wenn die Fremden skrupellos sind, wenn alle Raumfahrer von AJ-408 und auch ich durch mein Zögern das Leben verlieren? Es ist zum Wahnsinnigwerden, dachte Franken. Sein Finger kroch wieder zum Auslöser. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ein Gedanke jagte den anderen. Franken fieberte.
Auch Kerulens Gedanken arbeiteten fieberhaft. Jetzt gab es keine Zweifel mehr. Man schien Besuch von einer fernen Welt vor sich zu haben. Waren diese Wesen gutartig oder böswillig?
AJ-408 mußte das V-Schiff von den schutzlosen Gefährten auf dem Asteroiden ablenken. Der Raumjäger mußte unbedingt die Aufmerksamkeit der eigenartigen Gäste auf sich lenken und sie vom Planetoiden weglocken. Aber wie konnte man das erreichen?
Der Kommandant beschloß, zunächst einmal die Genossen auf Adonis zu informieren. Dann wollte er den Kommodore der Flottille und schließlich den B. d. A. auf dem Mars verständigen. Es wurde höchste Zeit dazu.
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