»Der Nebel kommt«, sagte Skander. »Wir sollten uns auf den Weg machen.«
Sie gingen zum Strand hinunter und kamen ohne größere Schwierigkeiten voran. Der Strand verschwand zwar für einige Meilen, aber Hain fiel es nicht schwer, sie über die Felsen zu tragen.
Nach fast drei Tagen hatten sie drei Viertel des Weges zur Grenze nach Ghlmon zurückgelegt. Die einzigen Lebewesen, auf die sie stießen, waren Millionen Seevögel.
An einer besonders langen Unterbrechung des Strandes, die zu überwinden Hain über eine Stunde brauchte, kam es zum einzigen Zwischenfall. Hain machte sich mit dem Slelcronier und den Vorräten auf den Weg, während Erahner und Rel mit Skander auf dem Sandstrand blieben.
Skander kaute getrockneten Fisch und sah zu dem Wesen aus dem Norden hinauf, dann schob sie sich langsam zum Wasser.
Als sie noch fünf Meter zur Brandung hatte, wurde Der Rel aufmerksam und huschte auf Skander zu.
»Halt!«rief das Wesen. »Oder wir stoppen dich!«
Skander zögerte, dann sprang sie ins Wasser.
Die glühenden, zuckenden Lichter des Erahners wurden grell und gleißend, und unter der Sphäre schoß etwas heraus und zischte krachend vor der Meerjungfrau ins Wasser. Sie überschlug sich, kehrte aber nicht um.
Ein zweiter Blitz raste hinaus, traf Skander im Rücken, und sie erstarrte mit einem Aufschrei. Der Rel glitt auf sie zu.
»Ich habe mich schon gefragt, wie lange die alberne Hypnose bei Ihnen wirken wird«, sagte er ruhig. »Aber Sie haben die Lektion in Slelcron vergessen. Keine Sorge — Sie können sich bald wieder bewegen. Etwas mehr Stromstärke, und Ihr Herz wäre zum Stillstand gekommen. Sie sind nur am Leben, weil wir Sie brauchen. Das gilt für die anderen auch — Hain wegen des Transports, der Slelcronier, weil seine Kräfte im Notfall wichtig sein könnten. Sie werden bald zu sich kommen, aber vergessen Sie nicht, wenn Sie entwischen, nutzen Sie mir nichts mehr. Wenn wir wählen müssen, ob wir Sie verlieren oder töten, ist Ihr Schicksal besiegelt. Jetzt können Sie sich wieder bewegen — aber auf die richtige Weise. Und unseren Begleitern erzählen wir nichts, ja?«
Skander kapitulierte, als sie sich wieder bewegen konnte. Hain kam nach zwei Stunden zurück und schaffte sie nach kurzer Rast hinüber.
»Wir sind fast da«, sagte das Rieseninsekt. »Man sieht vom letzten Strandstück aus die Gegend schon. Sie scheint die Hölle zu sein.«
Hain hatte recht. Ghlmon sah aus wie etwas, vor dem man davonläuft, statt es zu suchen. Das Ufer zog sich nach Nordwesten, und das Land Ghlmon begann abrupt, wobei sich das Gebirge von Ekh'l noch ein wenig in das neue Hex hineinschob. Es war ein Land von wehendem Sand. Die Dünen reichten hinab bis zum Meer. Abgesehen vom Ozean schien es kein Wasser, keine Vegetation zu geben.
»Man muß wirklich verrückt sein, um da freiwillig hineinzugehen, nicht?«sagte Hain langsam, mehr zu sich selbst als zu den anderen.
»Überhaupt kein Wasser«, sagte Skander seufzend.
»Kein fruchtbarer Boden, nichts, nur Sand«, fügte der Slelcronier hinzu.
»Die erste wirklich angenehme Gegend, die wir im Süden gesehen haben«, sagte Der Rel.
»Nun, wie geht es weiter?«fragte Skander sarkastisch.
»Wir bleiben an der Küste«, erwiderte das Wesen. »Hain kann weiter Fische fangen. Der Slelcronier wird ein paar Tage ohne Vitamine auskommen müssen, aber genug Sonne bekommen. Nehmen Sie Wasser in dem Fluß dort hinten auf«, sagte er zu dem Pflanzenwesen.
Während der Slelcronier es tat, fragte Skander:»Was ist mit Ihnen, Rel? Oder essen Sie nicht?«
»Natürlich essen wir«, erwiderte Der Rel. »Silikon. Was sonst?«
Wenige Minuten später überschritten sie die Grenze.
Der Wind hatte eine Geschwindigkeit von fast vierzig Kilometern in der Stunde, die Temperatur lag um vierzig Grad Celsius. Es war, als trete man vom tiefsten Winter in den heißesten Hochsommer, und der wirbelnde Sand erschwerte die Sicht.
Sie konnten die Berge von Ekh'l immer noch sehen, als sie haltmachen mußten. Skander brach auf dem heißen Sand zusammen und schüttelte erschöpft den Kopf.
»Was für Wesen können in dieser Hölle leben?«stieß sie hervor.
Wie als Antwort auf die Frage tauchte in der Nähe ein winziger Kopf aus dem Sand. Er zuckte plötzlich herauf, und sie sahen einen kleinen, zweibeinigen Dinosaurier, ungefähr einen Meter hoch, mit kurzen Stummelarmen, die in winzige, aber sehr menschliche Hände ausliefen. Er besaß einen sehr langen Schwanz, mit dem er das Gleichgewicht zu halten schien.
Er war von dunklerem Grün als Vardia, schien aber eine kleine rostbraune Weste und Jacke zu tragen. Das Wesen kam auf sie zu und blieb stehen. Der flache Kopf und die vorstehenden Augen zu beiden Seiten eines spatenförmigen Mundes betrachtete sie mit schnellen, zuckenden Bewegungen. Plötzlich lehnte sich das Wesen auf seinen Schwanz zurück.
»Wenn ich fragen darf, Herrschaften«, sagte es plötzlich mit Tenorstimme, die tief aus seiner Kehle zu kommen schien — offenbar besaß es ein Übersetzungsgerät —»sind Sie die Guten oder die Bösen?«
»Daß ihr alle in das zurückverwandelt worden seid, was wir als menschlich ansehen, hat ausgesprochene Nachteile«, beklagte sich Nathan Brazil, immer noch ein riesengroßer Hirsch, als sie den Strand hinaufgingen. Er schleppte das Gepäck, weil von den anderen keiner mehr die schwere Last tragen konnte.
»Du glaubst, du hast Probleme«, gab Wu Julee zurück. »Wir sind alle splitternackt, und von der Kleidung im Gepäck paßt nichts mehr.«
»Ganz zu schweigen von Hunger, Schmerz und Kälte«, warf Vardia ein. »Ich hatte diese Empfindungen alle vergessen und mag sie nicht. Als Czillanerin war ich glücklicher.«
»Aber wie ist das möglich?«fragte Wuju. »Ich meine, wie können Dinge, die das markovische Gehirn bewirkt hat, ungeschehen gemacht werden?«
»Warum fragst du Varnett nicht?«schlug Brazil vor. »Er hat das alles in Gang gebracht.«
»Ihr beklagt euch alle über Nebensächlichkeiten«, sagte Varnett mürrisch. »Ich konnte fliegen. Und bevor ich mich daran machte, Sie einzufangen, Brazil, habe ich Sex erlebt, zum erstenmal in meinem Leben. Jetzt stecke ich wieder in dem zurückgebliebenen Körper.«
»So zurückgeblieben ist er gar nicht«, erwiderte Brazil. »Sie sind chemisch zum Stillstand gebracht worden, aber das ist jetzt alles verschwunden, wie Wujus Schwamm-Sucht. In ein paar Jahren müßten Sie normal heranreifen. Und Sie sehen auch gut aus später, wenn ich mich recht entsinne, weil Sie nach Ian Varnett gebildet sind. Ich erinnere mich, daß er ein großer Schürzenjäger war.«
»Sie haben Ian Varnett gekannt ?« stieß der Junge hervor. »Aber — er ist doch schon sechshundert Jahre tot!«
»Ich weiß«, sagte Brazil. »Es hat ihn bei dem großen Experiment auf Mavrischnu erwischt. Schade darum. Sie wissen es, Varnett — ich habe Ihre Zone-Interviews gesehen.«Während sie den Strand entlangliefen, unbehindert von allen Barrieren, wie die Schwarmkönigin es versprochen hatte, unterhielten sie sich weiter. »Wieviel wissen Sie wirklich, Varnett?«fragte Brazil. »Über all das hier, meine ich.«
»Als ich im Computerspeicher die Zellprobe des dalgonischen Gehirns sah, erkannte ich die mathematische Beziehung der Folge und Anordnung der Energieimpulse«, sagte der Junge. »Es dauerte ungefähr drei Stunden, die Folge zu erarbeiten, und noch ein, zwei mehr, sie mit den Computern festzulegen. Ich brauchte das Ding nur zu sehen, um zu wissen, daß die Energiewellenformen keine Ähnlichkeit mit dem besaßen, was wir kannten. Ich kombinierte das, was ich sah, mit unseren Vermutungen darüber, warum die Markovier keine Artefakte hinterließen. Das Planetengehirn erschuf alles, was man brauchte, speicherte alles, was man wollte. Damit wußte ich, was vorging, wenn ich auch immer noch nicht begreife, wie es sich abspielt.«
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