Sorgfältig suchte er einen großen, unregelmäßig geformten Stein und rollte ihn mit großer Mühe bis auf einen Meter an die Baumhöhlung heran. Er vermochte die Flammenwaffe an den Stein zu lehnen, so daß sie auf die Höhlung zielte.
Er holte Zweige aus dem Wald und legte ein Pentagramm um Pistole und Stein, dann stellte er sich so auf, daß die Pistole zwischen seinen Vorderbeinen lag. Das linke diente als Haltepunkt für den Griff, der auch das Gas enthielt, das rechte befand sich neben dem Abzug.
Er nickte befriedigt, blickte auf die Sonne und seine drei Rehe, die in der Nähe ästen. Noch etwa zwei Stunden bis Sonnenuntergang, dachte er. Genau richtig.
Er legte das rechte Vorderbein auf den Abzug. Die Pistole wackelte, blieb aber aufrecht. Gas zischte heraus, aber keine Flamme. Er ließ den Abzug los, als ihm klar wurde, daß der Feuersteinzünder ein kurzes, hartes Reißen am Abzug verlangte.
Er wußte, daß ihm die Waffe davonspringen mochte, wenn er das tat, vielleicht sogar emporschnellte und ihn verbrannte. Er seufzte und entschloß sich. Er legte das linke Vorderbein an den Griff, und sein rechtes berührte den großen bügellosen Abzug, der für czillanische Ranken gedacht war.
Plötzlich riß er mit dem rechten Bein hart am Abzug. Die Waffe zuckte ein wenig, blieb aber in ihrer Lage.
Und zündete nicht.
Er versuchte es noch einmal. Wieder gab es keine Zündung, weil er den Abzug nicht gerade zurückgerissen hatte. Er fragte sich, ob er es mit seiner körperlichen Behinderung überhaupt schaffen konnte. Wenn nicht, würde er seine Begleiter einfach zurücklassen müssen.
Er versuchte es noch einmal, mit besonderer Anstrengung. Die Pistole zündete, aber sie flog ihm beinahe davon. Vorsichtig, ohne den Abzug loszulassen, richtete er sie auf den Baum. Links davon flammte und rauchte es.
Der Flammenstrahl erreichte die Baumhöhlung, und er konnte sehen, wie die Rinde schwelte und sich entzündete, wie das Feuer den Baum einhüllte, als sei es etwas Flüssiges, Lebendes. Rauch quoll empor, Vögel kreischten, Waldtiere flüchteten in Panik.
Plötzlich hörte er, worauf er gewartet hatte: eine dünne, schwache, hustende Stimme.
Die Schwarmkönigin verfügte über mehr als nur einen Ausgang, und sie kroch betäubt oben aus dem Baumstamm, wo die vier großen Äste auseinanderstrebten. Sie war blind und erschöpft und versuchte, schwächlich an einem der Äste hinaufzukriechen.
»Schwarmkönigin!«rief Brazil, ohne den Flammenstrahl zu verringern. »Soll ich dich verbrennen, oder erfüllst du meine Bedingungen?«
»Wer bist du, der mir das anzutun wagt?«stieß sie hustend und stöhnend hervor.
»Er, dem du Böses getan hast, und er, der deine Vorfahren von fernen Planeten vertrieben hat«, erwiderte er kühn, während er sich im stillen fragte, wie lange die Ladung der Pistole noch vorhalten mochte. »Gibst du nach?«
Der große Käfer hatte am Ast nicht emporkriechen können. Brazil fürchtete plötzlich, die Schwarmkönigin könnte ins Feuer stürzen, bevor sie aufgegeben hatte.
»Ich — ich gebe nach!«schrie sie. »Dreh dein verfluchtes Feuer ab!«
»Du mußt sagen, ich gebe ohne Vorbehalte nach.«
»Ich gebe ohne jeden Vorbehalt nach, verdammt!«schrie sie nervös.
In diesem Augenblick war die Ladung der Pistole verbraucht, und die Flamme erlosch. Brazil starrte die Waffe an. Noch ein paar Sekunden, dachte er, und ich hätte verloren.
»Hol mich herunter, bevor ich verbrenne!«kreischte die Schwarmkönigin.
»Spring hinaus und flieg herunter«, sagte er. »Du kennst die Entfernung.«
Das hätte sie naürlich auch vorher tun können, aber Hitze und Feuer trieben diese Wesen stets in Panik.
Sie landete unsicher und blieb zitternd einige Minuten sitzen. Schließlich fand sie ihre Fassung wieder und schaute mit den alten, bösartig halbmenschlichen Augen zu ihm hinauf.
»Du bist das Tier«, sagte sie entgeistert. »Wie hast du den Zauber gebrochen? Wie kannst du überhaupt reden?«
»Deine Zaubersprüche können mich nicht lange bannen«, erwiderte er. »Was in diesem schlichten Gefäß steckt, ist dir überlegen. Aber der Zauber bindet meine Begleiter, und um ihretwillen handle ich.«
»Sag, was du verlangst«, erklärte sie bitter. »Es wird geschehen.«
Brazil überlegte.
»Erstens«, begann er, »meine drei Begleiter und ich werden die Grenze nach Ghlmon überschreiten und den Weg bis dorthin ohne Behinderung zurücklegen.«
Die Schwarmkönigin zog die Brauen hoch und sagte:»Gut.«
»Zweitens: Der Zauber wird bei meinen drei Begleitern aufgehoben, und sie werden sein wie vorher.«
»Gut«, sagte sie. »Und drittens?«
»Wenn wir die Grenze nach Ghlmon überschritten haben, sprichst du einen Zauber, der alle Erinnerungen, Wirkungen und Anzeichen löscht, daß wir vier hier gewesen sind, auch bei dir selbst.«
»Mit Vergnügen«, sagte sie. »So wird es geschehen, wenn es dunkel wird.«
»Bis Mitternacht am Schacht der Seelen«, antwortete er.
Und sie konnte nichts tun. Wenn irgendeine der Bedingungen nicht erfüllt wurde, mußte der Zauber sich umkehren, Brazil würde die Schwarmkönigin und sie das Tier sein.
* * *
Nach knapp zwei Stunden brach die Dunkelheit herein. Am Baum rauchte es noch immer ein wenig, aber sonst war von der Auseinandersetzung wenig zu bemerken. Als der Schwarm aus Tausenden von Löchern in den umliegenden Bäumen schwirrte, fand er die Königin verstört vor, aber er spürte, daß ein Kampf stattgefunden hatte und die Königin unterlegen war. Da seine Macht nur durch sie ausgeübt werden konnte, mußte er sich an die Abmachung halten.
Die drei Rehe waren vor dem Feuer davongestürzt, kehrten im Halbdunkel aber scheu zurück und wurden ohne Schwierigkeiten in den Ring getrieben.
Die Augen der Schwarmkönigin loderten haßerfüllt, aber sie hielt sich an die Vereinbarung. Als der Schwarm sich summend versammelte, sprach sie die erste Bedingung und kam zur zweiten.
»Die drei im Kreis sollen in Geist und Körper wieder sein wie zuvor.«Und so geschah es.
Brazil ächzte und verfluchte sich, weil sie es so wörtlich genommen hatte.
Im Kreis stand Vardia, aber nicht als Czillanerin, sondern so, wie sie in den ersten Tagen in seinem Raumschiff ausgesehen hatte — menschlich, ungefähr zwölf Jahre alt, an die dreißig Kilo schwer, mit glattrasiertem Kopf.
Neben ihr stand, verwirrt, nicht Wuju aus Dillia, sondern Wu Julee, offenkundig gesund, von keiner Sucht befallen, aber ungefähr fünfundvierzig Kilo schwer, mit langen, schwarzen Haaren und ein wenig schlaffen Brüsten.
Und da war ein Fremder, ein Junge, scheinbar so alt wie Vardia, mit kurzen Haaren und vorpubertären Genitalien, etwa 1,50 m groß, muskulös und von wohlproportioniertem Körperbau.
»Ah, Varnett«, sagte Brazil. »Wir sind heute früh aus dem Gebälk gekommen, wie?«
Der Erahner und Der Rel und der Slelcronier in Vardias Körper betrachteten die hohen, schneebedeckten Berge, die bis zum Meer reichten. Sie entdeckten einen kleinen Strand mit schwärzlichem Sand. Draußen im Wasser sahen sie Felssäulen, Überreste früherer Vulkantätigkeit. Der Himmel war bleigrau, die Luft sehr kalt.
»Bald kommen Wolken«, sagte Hain unter ihnen. »Regen oder Schnee am ganzen Ufer. Wir sollten anfangen.«
»Schaffen wir es, ohne in die Berge zu gehen?«fragte der Slelcronier. »Wenn der Strand nun aufhört?«
»Freund Hain hier kann notfalls an senkrechten Wänden hinauflaufen«, erwiderte Der Rel zuversichtlich, »und uns auf diese Weise hinüberbefördern. Die Grenze mit Yrankhs liegt nur einige Meter hinter dem Wasser, so daß wir die Bewohner von Ekh'l kaum treffen werden — eine Art fliegender Affen, glaube ich. Den Yrankhs wollen wir nicht begegnen — sie sind alle Fleischfresser, aber sie atmen Wasser und werden uns kaum belästigen, wenn wir nicht schwimmen.«
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