Skander war entsetzt. Nun, Vardia hatte ihren Wunsch erfüllt bekommen, dachte die Meerjungfrau. Und wir haben Probleme.
»Und wenn wir uns weigern?«fuhr Skander das neue Wesen an. »Ein Biß von Hain, und Sie wären fort.«
Das Wesen in Vardias Körper trat vor Hain und blickte dem Rieseninsekt in die Augen.
»Wollen Sie mich essen, Hain?«fragte es ruhig.
Hains Zunge zuckte, aber irgend etwas hielt sie zurück. Sie wollte die Czillanerin plötzlich nicht essen. Sie mochte sie. Es war ein gutes Wesen, eines, das die Interessen des Barons förderte. Es war ihre beste Freundin.
»Ich — ich verstehe nicht«, sagte Hain verwirrt. »Warum sollte ich sie essen wollen? Sie ist meine Freundin, meine Verbündete. Ich könnte ihr nie etwas tun, ihr nicht und den schönen Blumen und Insekten auch nicht.«
»Es hat geistige Macht!«schrie Skander und versuchte, sich aus dem Sattel zu befreien. Hain streckte plötzlich die Beine aus und legte sich auf den Boden.
Skander war vom Gurt befreit und schaute sich um. Ihre zuckenden Augen begegneten dem Blick der Czillanerin, und plötzlich ebbte die Panik ab. Sie konnte sich nicht erinnern, wovor sie Angst gehabt hatte.
Das Wesen kam auf die Meerjungfrau zu und streichelte über das Haar der Umiau, und Skander atmete auf und lächelte.
»Ich liebe dich«, sagte Skander. »Ich würde alles für dich tun.«
»Natürlich wirst du das«, erwiderte der Slelcronier ruhig. »Wir gehen alle gemeinsam zum Schacht, nicht wahr, Liebes? Und du zeigst mir alles?«
Die Umiau nickte ekstatisch.
Das Wesen wandte sich Erahner und Der Rel zu.
»Was wollen Sie mit mir tun?«fragte Der Rel. »Mir ins Auge blicken?«
Zum erstenmal zögerte das Wesen, wirkte unsicher, verwirrt. Es griff mit seinem Denken nach dem Wesen aus dem Norden und fand nichts, womit es sich in Beziehung setzen konnte. Es war, als existiere das Wesen nicht mehr.
»Wenn wir dich nicht kontrollieren können, bist du für uns auf jeden Fall unwichtig«, sagte Vardias Stimme ruhig.
Erahner und Rel rührten sich nicht.
»Ich sagte, die Gleichung hat sich verändert«, erklärte Der Rel. »Ich habe nicht gesagt, in welcher Beziehung. Der Erahner hat offenbar immer recht. Bis zu diesem Augenblick wußte ich nicht, wie wir Skander im Schacht kontrollieren sollten, oder warum die Mitnahme der Czillanerin für uns günstig war. Jetzt ist es klar.«Der Rel schwieg kurze Zeit. »Wir sind von Beginn an führend für dieses Projekt gewesen«, fuhr er fort. »Wir haben günstige Umstände und die erstaunlichen Fähigkeiten des Erahners genutzt, um die Situation nach unseren Wünschen zu gestalten. Wir führen. Jetzt führen wir ohne Sorge.«
»Was für Macht besitzt du, um uns zu führen?«sagte die neue Vardia verächtlich. »Wir holen in diesem Augenblick unsere größten Aufzeichner, um dich zu vernichten. Du bist nicht mehr notwendig.«
»Ich habe gar keine Macht, außer Sprache und Bewegung«, gab Der Rel zu, als acht riesige Insekten donnernd heransurrten. »Der Erahner hat die Macht«, fügte er hinzu, und die zuckenden Lichter des Erahners nahmen an Leuchtkraft und Schnelligkeit zu. Plötzlich schossen Strahlen aus dem blinkenden Wesen und trafen die acht Insekten mit Lichtgeschwindigkeit.
Die Umrisse der Aufzeichner flammten weiß. Es zischte, als die Wesen verschwanden, und achtmal hintereinander gab es einen kleinen Knall, als die Luft dort hineinstürzte, wo sie gewesen waren.
»Hmmmm…«, sagte Der Rel. »Das ist neu. Der Erahner ist voller Überraschungen. Gehen wir? Ich möchte nicht mehr als zwei Nächte in Ihrem bezaubernden Land verbringen.«
Der slelcronische Geist in Vardias Körper war niedergeschmettert. Das zuversichtliche Leuchten in ihren Augen wurde von Respekt verdrängt, vermischt mit etwas Neuem in seiner Erfahrung — Angst.
»Wir — wir wußten nicht, daß Sie solche Macht haben«, stieß sie hervor.
»Eine Kleinigkeit, im Grunde«, erwiderte Der Rel. »Nun? Wollen Sie sich uns anschließen oder nicht? Ich hoffe es — es ist viel einfacher als das, was Der Erahner tun müßte, um Skanders Mitarbeit zu erzwingen, und ich bin sicher, daß Sie im Interesse Ihres Volkes, beider Arten, wünschen, daß eher wir Erfolg haben als die anderen.«
Das Wesen wandte sich Skander zu und sagte:»Steig wieder auf. Wir müssen weiter.«
»Ja, mein Liebling«, sagte Skander glücklich und gehorchte.
»Sie führen«, sagte der Slelcronier zu Erahner und Rel.
»Wie immer«, erwiderte Der Rel zuversichtlich. »Wissen Sie etwas über Ekh'l?«
Der Strand in Ivrom — der Morgen
»Sieht friedlich genug aus«, sagte Vardia, als sie das Floß am Strand entluden. »Eigentlich sehr angenehm.«
»Aber irgend etwas ist hier gegen Leute eingestellt«, meinte Brazil. »Das Hex hat keine Botschaft in Zone, und alle Expeditionen hierher sind verschollen, wie gestern nacht Bat. Bleiben wir am Strand, solange wir können.«
»Und was wird aus Bat?«fragte Wuju. »Wir können ihn doch nicht einfach im Stich lassen.«
»Ich mache das so ungern wie du«, sagte Brazil, »aber das Hex ist groß, und wir wissen nicht, wo er sein könnte. Wir könnten ebenso gut nach einem bestimmten Grashalm suchen. Ich kann kein Risiko eingehen, so gern ich ihm helfen würde.«
»Mir gefällt das nicht«, erklärte Wuju störrisch, aber sie konnte gegen seine Logik nichts vorbringen außer Gefühlen. »Wir haben die Murnies überstanden«, meinte sie. »Was kann hier Schlimmeres sein?«
»Vieles. Ich habe Murithel nur mit Glück überlebt, wie du — und wir wußten, wer der Feind war. Hier ist es noch gefährlicher. Entweder Bat, oder wir alle.«
Und damit war der Fall erledigt. Er verteilte die Waffen. Die Zentaurin bekam zwei automatische Projektilpistolen in einem Halftergürtel. Vardia hatte zwei andere Schußwaffen, die Gas unter Druck in kleinen Flaschen verschossen. Ein Zündstein entzündete das Gas. Der Flammenwerfer hatte eine Reichweite von etwa zehn Metern.
»Wir bleiben am Strand«, sagte Brazil noch einmal. »Wenn wir Glück haben, brauchen wir nicht in den Wald zu gehen.«
Sie bedankten sich bei den Umiau, die sie so weit gezogen hatten, und die Meerjungfrauen schwammen davon.
Sie machten sich auf den Weg, behindert vom Treibholz, und mußten manchmal durch das seichte Wasser, aber sie kamen gut voran.
Bis Sonnenuntergang hatten sie nach Brazils Schätzung die Hälfte des Weges zurückgelegt. Da er im Dunkeln schlecht sah und Vardia sich verwurzeln mußte, machten sie halt, um zu übernachten; das einzigemal in diesem Hex, wie sie hofften.
Der sandige Boden war für die Czillanerin nicht sehr gut, aber sie fand eine harte, flache Stelle vor dem Wald. Er und Wuju lagen in der Nähe, während die Brandung auf den Strand rauschte.
»Nathan«, sagte Wuju, »wenn das ein nicht-technologisches Hex ist wie Murithel, warum funktioniert dann trotzdem dein Sprechapparat? Er ist im Grunde ein Radio.«
Brazil hatte darüber nicht nachgedacht und holte es jetzt nach.
»Ich kann es nicht sagen, außer es hängt mit dem Dolmetscher zusammen, der ja überall funktioniert.«
»Der Dolmetscher!«sagte sie scharf. »Ich spüre ihn wie einen Klumpen in der Kehle. Wo kommen sie her, Nathan?«
»Aus dem Norden, aus einem völlig kristallisierten Hex, wo sie wachsen wie bei uns Blumen. Es geht sehr langsam, und sie geben nicht viele her.«
»Aber wie funktioniert er? Er ist keine Maschine.«
»Nein, nicht in dem Sinn, wie wir uns Maschinen vorstellen. Ich glaube, niemand weiß es genau. Man vermutet, daß die Vibrationen eine Verbindung mit dem markovischen Gehirn des Planeten herstellen.«
Sie zitterte ein wenig.
»Ist dir kalt?«fragte er.
»Nein, ich dachte an das Gehirn. Es macht mich nervös — all diese Macht, die Macht, alle die Regeln für alle die Hexagons aufzustellen und durchzusetzen, die Dolmetscher zu betreiben, Leute zu verwandeln. Der Gedanke behagt mir gar nicht. Stell dir eine Rasse vor, die so etwas zu bauen vermochte. Es erschreckt mich.«
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