»Warum können uns die Umiau nicht ganz hinbringen?«fragte Vardia.
»Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, daß Sie sozusagen an zwei Orten zugleich sind«, erwiderte Brazil. »Um Ihre Frage zu beantworten, es ist zu gefährlich. Wir fahren so weit wir können, aber es gibt dann starke Strömungen, Strudel und dergleichen. Mit den Bewohnern kommen sie auch nicht gut aus. Die Umiau kämen zurecht, aber die scheußlichen Fische mit den zwanzig Zahnreihen würden uns und das Floß zerlegen, bevor wir uns richtig vorgestellt hätten. Nein, wir riskieren es mit hundertsechzig Kilometern Ivrom.«
»Was ist Ivrom, Nathan?«fragte Wuju. Sie hatte den Dolmetscher bekommen und ihre Bedenken zum großen Teil überwunden. Er behandelte sie sanft und sagte nur die richtigen Worte, und sie hatte sich ein wenig beruhigt, aber das Fremdartige an ihm war geblieben. »Nathan!«meinte sie lauter. »Was ist Ivrom? Du hast es uns nicht gesagt.«
»Weil ich es nicht weiß, Liebes«, erwiderte er beiläufig. »Viel Wald, Hügel, viele Tiere, die meisten bekannter Art. Im Atlas stand, es gäbe Pferde und Rehwild. Ein nicht-technologisches Hex, also wohl wieder Schwert und Speer. Die intelligente Lebensform ist irgendeine Insektenart, glaube ich, aber niemand weiß es genau. Die aktiven Vulkane auf unserer linken Seite — das ist Alisstl, eine gewaltige Sperre. Die Leute dort sind dickhäutige Reptilien, die in Temperaturen nahe dem Siedepunkt leben und Schwefel essen. Vermutlich nette Leute, aber niemand besucht sie.«
Sie blickte zu den Vulkanbergen hinüber; aus den meisten stiegen Dampfwolken empor, und an einem lief Lava herunter. Sie fror, obwohl es nicht kalt war.
»So muß man reisen, wenn man kann«, sagte Brazil begeistert und atmete tief die salzige Luft ein. »Phantastisch! Früher bin ich mit großen Schiffen auf solchen Meeren gefahren, damals auf der alten Erde. Das war noch romantisch.«
»Wann werden wir landen?«fragte Wuju.
»Nun, sie sind erstaunlich schnell vorwärtsgekommen. Starke Teufel, und ganz in ihrem Element. An diese Kraft muß ich denken. Hätte keinen Sinn, unseren Dr. Skander zu unterschätzen.«
»Aber wie lange dauert es noch?«
»Morgen früh sind wir da. Dann ungefähr ein Tag nach Ghlmon — wir müssen nicht durch das ganze Ivrom-Hex, nur durch einen Winkel — und noch ein Tag hinauf zur Bucht in Ghlmon.«
»Glauben Sie wirklich, wir werden die anderen dort treffen?«sagte Vardia. »Ich möchte mein anderes Selbst — meine Schwester — so gern vor diesen Wesen retten.«
»Wir treffen sie, wenn wir ihnen zuvorkommen, und das schaffen wir bei dieser Geschwindigkeit. Ich weiß, wohin sie müssen. Wenn sie dort ankommen, erwarten wir sie.«
* * *
Die Umiau hatten bemerkenswert wenig über Ivrom gewußt, was im Grunde aber nicht so erstaunlich war, wie man glauben mochte. Die Umiau waren Wasserbewohner, und sie brauchten technologische Produkte, die sie nicht herstellen konnten. Ein Bündnis mit Czill war ganz natürlich. Ivrom bestand zum großen Teil aus Wäldern und Wiesen, es gab keine großen Ströme, wenn auch viele kleine Bäche und Flüsse. Es war ein nicht-technologisches Hex, also schwer zu erreichen und vermutlich auch nicht lohnend. Das Hauptproblem war natürlich, daß niemand, der sich je auf den Weg nach Ivrom gemacht hatte, um zu studieren, Verbindung aufzunehmen oder nur hindurchzuziehen, jemals wieder aufgetaucht war. Aus diesem Grund hielten sie an einem Riff an und übernachteten, obwohl sie das Ufer noch hätten erreichen können.
Einladend genug sah das Land aus. Die Luft war reich und frisch, etwa zwanzig Grad warm, ein paar kleine Wolken und tiefblauer Himmel.
An der Küste war unberührter, gelber Sandstrand zu erkennen. Die Wellen hatten Treibholz angeschwemmt. Der Wald dahinter war sehr dicht. Als es dunkler wurde, konnten sie gelegentlich ein Reh und eine Reihe anderer Tiere wie Bisamratten, Murmeltiere und andere Waldbewohner erkennen.
Schließlich wurde es ganz dunkel, und nur Cousin Bat konnte noch etwas sehen. Er berichtete, daß er nichts anderes feststellen könne, als was sie schon am Tag gesehen hätten.
»Das heißt, doch etwas«, verbesserte sich Bat. »Aus dieser Entfernung bin ich mir aber nicht sicher. Überall im Wald scheinen kleine, winzige Lichter zu blinken.«
Leuchtkäfer, dachte Brazil. War er der einzige aus ihrer kleinen Ecke der Galaxis, der sich an Leuchtkäfer erinnerte?
»Gut«, sagte er zu Bat. »Dann fliegen Sie hin, aber vorsichtig. Die Gegend hat einen schlechten Ruf. Achten Sie auf jeden Fall auf Insekten, gleichgültig, wie klein oder unbedeutend sie scheinen mögen.«
»In Ordnung. Ich rühre sie nicht an, obwohl ich sie gerne esse«, meinte Cousin Bat. »Nur ein kurzer Ausflug, dann bin ich wieder da.«
Bat flog in die Dunkelheit hinein.
Als am nächsten Morgen die Sonne heraufkam, war Cousin Bat noch nicht zurückgekehrt.
Gleich hinter Der Nation — Grenze von Slelcron — der Morgen
Der Rel hielt an, als die Luft plötzlich klar wurde und sie in hellen Sonnenschein traten.
»Ihr könnt alle eure Atemgeräte abnehmen und wegwerfen«, sagte er. »Die Luft ist jetzt ungefährlich.«
Skander griff hinauf und nahm ihre Maske ab, legte sie aber in das Gepäck.
»Ich behalte meine und rate den anderen, es genauso zu machen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie es im Inneren aussieht, aber es wäre möglich, daß wir für ein paar Stunden die Luft in den Tanks noch brauchen. Wenn der Mechanismus autonom ist, befindet er sich vielleicht in einem Vakuum.«
»Daran habe ich gedacht«, sagte Der Rel. »Ich kann auch nicht im Vakuum existieren — Der Erahner braucht Neon und Argon, und ich Xenon und Krypton, und davon hat es zum Glück in allen Sechsecken Spuren gegeben. Wir hatten Wochen Zeit, uns auf die Expedition vorzubereiten, und ich rechne damit, daß wir jetzt auf Vakuum stoßen werden — und da nutzen die kleinen Atemgeräte gar nichts. Im Gepäck befinden sich für alle von uns Druckanzüge.«
»Warum haben wir sie in dem Höllenloch hiner uns dann nicht benutzt?«fragte Hain empört.
»Das war ein Hex mit scharfen Kanten und Schmirgelstoffen, in dem die Anzüge hätten beschädigt werden können«, erwiderte Der Rel. »Es war unbehaglich, mehr nicht.«
»Wie ist es hier überhaupt?«fragte Skander. »Gibt es irgendeinen schattigen Fluß, wo ich mich anfeuchten kann?«
»Sie werden überleben«, sagte Der Rel. »Wir kümmern uns um Sie, sobald wir etwas Geeignetes finden.«
Von Blume zu Blume surrten große Insekten, aber sie gingen ganz individuell vor, nicht als Schwarm. Sie waren ungefähr fünfzig Zentimeter lang und pelzig, schwarz mit orangeroten und gelben Streifen am Hinterleib.
»Wie schön«, sagte Vardia.
»Verdammt laut, wenn Sie mich fragen«, schrie Skander, um das ohrenbetäubende Surren zu übertönen.
»Sind die Insekten die Lebensform?«fragte Hain.
»Nein«, antwortete Der Rel. »Es soll sich um eine Art Symbiose handeln. Die Pflanzen sind sie. Ihre Samen werden von den Insekten vergraben, und wenn alles gutgeht, entwickelt sich daraus der Hirnschädel. Dann bildet sich der Stengel und die Blume.«
»Dann kann ich vielleicht ein paar von den Heulern essen«, sagte Hain eifrig.
»Nein, noch nicht. Die Blumen lassen Samenkörner fallen, vermehren sich also nicht durch Bestäubung. Die Bienen vergraben den Samen, aber ihre Nahrung gewinnen sie wohl aus dem Inneren der Blüten. Wenn die Blumen sie ernähren, müssen sie für sie wohl etwas tun.«
»Sie können sich nicht entwurzeln«, sagte Vardia mitfühlend. »Was hat es für einen Zweck, ein Gehirn zu besitzen, wenn man nicht sehen, hören, fühlen oder sich bewegen kann? Was für eine dominierende Lebensform soll das sein?«
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