Eine Kom-Welt in Vollendung, dachte Skander ironisch, aber laut sagte sie:»Ich glaube, das übernehmen die Insekten. Wenn man lange genug aufpaßt, sieht man, daß sie zu einer Blume fliegen und von einer anderen zu ihr zurückkehren. Sie suchen Dutzende von Blumen auf, kehren aber dazwischen immer wieder zur selben zurück.«
Vardia bemerkte eine kleine Erhöhung im Gras, ging hin und scharrte im Boden.
»Da!«rief sie. Die anderen kamen alle heran. »Ein Samenkorn. Und seht, außen ist ein Ei befestigt. Jedes Insekt befestigt an jedem Samenkorn ein Ei, bevor es vergraben wird. Der Samen wächst über das Ei.«
»Natürlich«, sagte Skander. »Erstaunlich.«
»Was?«fragten sie alle gleichzeitig.
»So verständigen sie sich miteinander — so kommen sie herum, versteht ihr? Das Insekt ist wie ein Roboter mit programmiertem Gehirn. Sie wachsen miteinander auf — ich wette, daß das Insekt voll ausgebildet ausschlüpft und, wenn die Blume sich öffnet, auf der Stelle fliegen kann. Was es sieht, hört und berührt, wird bei der Rückkehr der Blume vermittelt. Nach einer Weile können sie die Wesen gewiß mit Botschaften fortschicken und miteinander reden. Und jedesmal, wenn das Insekt eine andere Blume erreicht, geben die Alterfahrenen Informationen mit. Die Wesen leben, aber aus zweiter Hand, sozusagen durch Aufzeichnungen.«
»Klingt logisch«, räumte Der Rel ein. »Hain, ich schlage vor, daß Sie alles andere essen, nur nicht diese Blumen und die schwarzen, gestreiften Insekten. Ich möchte keinen Ärger haben.«
»Gut«, sagte Hain mürrisch. »Aber wenn es nichts anderes gibt, halte ich mich nicht zurück.«
In diesem Augenblick kam eines der großen Insekten herangeflogen und verscharrte Samenkorn und Ei wieder. Es schwirrte zu einer der Blumen zurück, steckte den Kopf hinein, kam heraus, flog auf sie zu und surrte drohend vor ihnen hin und her. Als es Vardia erreichte, umschwirrte es sie, sprang plötzlich auf ihren Kopf und stieß den scharfen, spitzen Rüssel unter dem Blattgewächs hinein. Sie waren alle zu verblüfft, um auf der Stelle reagieren zu können. Plötzlich sagte Hain:»Laßt mich mal.«
»Nein!«schrie Skander. »Sie lassen das Ding vielleicht in ihr stecken. Warten Sie noch, bis wir wissen, was geschieht.«
Vardia hatte keine Schmerzzentren, aber empfindliche Nerven, und diese spürten, wie das Ding eindrang und umhertastete, bis es eine bestimmte Art von Nerven entdeckte, die Informationen zu Kopf und Gehirn übermittelten und von dort aus weitergaben.
Ganz plötzlich wurde alles dunkel, und eine seltsame Stimme, wie ihr eigenes Denken, nur kraftvoller, sagte:»Wer und was seid ihr, und was macht ihr hier?«
Sie kam auf keinen anderen Gedanken, als zu antworten. Der Einfluß des fremden Denkens war so stark, daß es sie beinahe hypnotisierte.
»Wir ziehen nur durch euer Hex, auf dem Weg zum Äquator.«
Sie spürte, wie der spitze Rüssel sich zurückzog und es wieder hell wurde. Sie hatte wieder Gewalt über sich und sah das Wesen blitzschnell davonfliegen.
»Va — Chon«, verbesserte sich Skander sofort. »Was ist geschehen?«
»Es… es hat zu mir gesprochen. Es fragte, wer wir seien, und ich sagte, wir wären nur unterwegs zum Äquator. Ist das Wesen stark! Ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich alles beantworten müßte, was es fragen würde — und tun, was es verlangte.«
Der Rel schwebte herüber und untersuchte ihren Kopf. Vardia spürte ein seltsames Prickeln.
Der Erahner und Der Rel schienen zufrieden zu sein und entfernten sich wieder.
»Von einer Wunde ist nichts zu sehen«, sagte das Wesen. »Erstaunlich. Eine der Blumen wurde neugierig, und da Sie das einzige Geschöpf der Pflanzenwelt hier sind, suchte sie sich Sie aus. Bleiben Sie ruhig und lassen Sie es noch einmal kommen. Versichern Sie den Wesen, daß wir nichts Böses im Sinn haben und so schnell wie möglich hindurchziehen. Wir halten uns an die Küste und werden sehr vorsichtig sein.«
»Ich glaube nicht, daß ich ihnen etwas sagen kann, was sie nicht fragen«, erwiderte Vardia schwach. »Oh, da kommt es wieder!«
Das Wesen brauchte beim zweitenmal nicht zu stechen und herumzutasten; es nahm sofort den Kontakt mit den richtigen Nerven auf.
»AUSGABE!«kam das Kommando, und plötzlich fühlte Vardia sich entleert, als würde durch einen Strohhalm ihr Innerstes in eine Flasche abgesaugt. Der Prozeß dauerte mehrere Minuten.
»Seht!«rief Skander. »Mein Gott! Sie ist verwurzelt! Regungslos am hellen Tag! Was hat das bewirkt?«
Das Insekt flog zu dem Blumenmeer zurück.
»Wir können nichts tun als warten«, meinte Der Rel vorsichtig. »Wir kennen die Regeln hier nicht. Die Insekten scheinen wenigstens nur auf Pflanzen beherrschend zu wirken. Warten wir ab.«
Sie warteten, und es dauerte Stunden.
* * *
Vardia fühlte sich in einem Zwischenreich, unfähig zu sehen, zu hören, zu fühlen. Es war aber nicht wie Schlaf — sie wußte, daß sie existierte, nur nicht, wo.
Plötzlich kam das saugende Gefühl wieder, und sie nahm etwas anderes wahr. Sie begriff nicht, woher sie es wußte, aber da war noch etwas.
»ICH VERSCHMELZE, WAS DEIN IST, MIT MIR, UND WAS ICH BIN, MIT DIR«, sagte die Stimme, die reines Denken war, und es geschah so.
In Vardias Gehirn gab es eine Explosion, und sie klammerte sich verzweifelt an ihre Persönlichkeit, ihr Wesen, während sie noch spürte, wie es zerrann, sich mit einer viel größeren und mächtigeren, aber fremdartigen Gesamtheit von Gedanken, Erinnerungen, Bildern und Ideen vermischte.
Warum wehrst du dich? fragte eine Stimme, die ihre eigenen Gedanken hervorgebracht haben mochten, oder fremde. Unterwirf dich. Das ist es, was du immer gewünscht hast. Völlige Vereinigung in Gleichförmigkeit. Unterwirf dich.
Die Logik war unangreifbar. Sie unterwarf sich.
* * *
»Es kommt zurück!«schrie Skander, und die beiden anderen sahen mit ihr, wie das Insekt zu Vardias Kopf flog und seinen Rüssel in ihren Kopf bohrte. Diesmal blieb es viel länger, drei- oder viermal so lange wie vorher. Schließlich zog es sich zurück und surrte zu seiner Mutterblume. Sie sahen, wie Vardia ins Leben zurückkehrte, die Augen bewegte, sich umschaute. Sie zog ihre Wurzeln ein, schüttelte die Beine.
»Chon! Alles in Ordnung?«rief Skander sorgenvoll.
»Es geht uns gut, Dr. Skander«, erwiderte Vardia mit einer Stimme, die ihre eigene, aber seltsam anders war. »Wir können jetzt ohne Probleme weiterziehen.«
Die Lichter Des Erahners zuckten wild.
»Der Erahner sagt, daß Sie nicht die Person unserer Gruppe sind«, erklärte Der Rel. »Wer oder was sind Sie? Die Gleichung ist verändert.«
»Wir sind Chon. Wir sind alles, das Chon je gewesen ist. Die ihr Chon genannt habt, ist verschmolzen. Sie ist nicht länger eine, sondern alle. Bald wird alles Chon und Chon alles sein.«
»Sie sind die verdammte Blume!«sagte Hain aufgebracht. »Sie haben mit der Czillanerin einfach getauscht!«
»Es handelt sich um keinen Tausch, wie Sie das nennen«, erwiderte sie. »Und wir sind nicht die verdammte Blume, wie Sie sagen, sondern alle Blumen. Die Aufzeichner übermitteln und übertragen, wie Sie vermutet haben, aber der Prozeß kann vom ersten Sprießen an total sein und ist es gewöhnlich auch, woher könnten wir sonst unsere Information, unseren Intellekt beziehen? Eine neue Blüte ist eine Leere, ein unbeschriebenes Blatt. Wir verschmelzen.«
»Und Sie sind mit der Czillanerin verschmolzen?«sagte Der Rel. »Sie haben alle ihre Erinnerungen, zu Ihren eigenen?«
»Das ist richtig. Und da wir alles von der Czillanerin in uns haben, wissen wir von eurem Unternehmen, dem Grund und dem Ziel und sind jetzt ein Teil davon. Ihr habt keine Wahl, und wir auch nicht, weil wir mit euch nicht verschmelzen können.«
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