Sie nickte zögernd.
Die Yaxa schien zu überlegen.
»Ich hätte gedacht, daß Sie inzwischen die männliche Form angenommen haben«, sagte sie schließlich.
»Das hätte ich eigentlich tun sollen, aber ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Als Mann hat man die Verantwortung, ein Kind aufzuziehen, und ich habe mich dazu noch nicht imstande gefühlt.«
»Ortega hat Sie hierhergeschickt, damit Sie mithelfen, Mavra zu suchen«, erklärte die Yaxa nach einer Pause.
Vistaru nickte, fügte aber nichts hinzu. Die beiden Rassen waren von Natur aus Feinde. So seltsam die Yaxa sich auch benahm, Vistaru rechnete nicht damit, die Begegnung zu überleben.
»Dann hatte ich also recht«, murmelte der große Falter. »Sie ist nicht tot, sondern vermißt.«
»Was geht das Sie an?«antwortete Vistaru. »Wenn Sie mit ihrem Verschwinden nichts zu tun haben, dann nur, weil Ihnen Trelig oder sonst jemand zuvorgekommen ist.«
»Kühne Worte«, sagte die Yaxa kalt. »Aber ich will trotzdem eine Abmachung mit Ihnen treffen. Beantworten Sie wahrheitsgemäß meine Fragen, und ich sorge dafür, daß Sie Gelegenheit bekommen, doch noch zum Mann zu werden.«
Vistaru starrte das Wesen erstaunt an.
»Mal sehen«, erwiderte sie vorsichtig. »Stellen Sie Ihre Fragen.«
»Wissen Sie, wer Mavras Gehege zerstört hat?«
»Nein, aber wir vermuten, daß Beauftragte von Antor Trelig dahinterstecken.«
Die Antwort schien der Yaxa zu genügen.
»Ich darf annehmen, daß die Ambreza eine groß angelegte Suchaktion begonnen haben?«
Vistaru nickte.
»Sie ist fast mit Sicherheit nicht in Glathriel oder Ambreza und scheint auch die Grenze nach Ginzin nicht überschritten zu haben.«
»Dann ist sie, wie ich vermutete, mit einem Schiff unterwegs. Die Frage ist nur, freiwillig oder unfreiwillig.«
»Trelig hätte für ihren männlichen Begleiter Joshi keine Verwendung«, betonte Vistaru. »Angesichts der Hypnotechnik benötigt man keine anderen Druckmittel, wenn man eine Informationsquelle anzapfen will. Aber er ist auch verschwunden. Wir gehen davon aus, daß sie geflohen sind.«Die Lata verstummte plötzlich, nicht sicher, ob sie nicht schon zuviel verraten hatte.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, erklärte die Yaxa, als könne sie ihre Gedanken lesen. »Ich bin bereits zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Ich nehme an, daß Sie aus demselben Grund hier sind wie ich — um die ›Toorine Trader‹ abzufangen.«
Die Lata antwortete nicht, aber ihr Ausdruck sprach für sich.
»Lata, ich könnte Sie töten«, sagte die Yaxa nach einer längeren Pause, »aber ich werde es nicht tun. Wenn ich Sie befreie, könnten Sie jedoch versuchen, mich zu stechen, oder wir suchen weiterhin gemeinsam nach der ›Trader‹, die in Richtung Norden nicht mehr allzu weit entfernt sein kann, und stoßen bei einer anderen Gelegenheit wieder zusammen. Ich könnte Sie mit Ihren gefesselten Flügeln einfach hier lassen, und Sie könnten die Flechten essen, würden aber trotzdem bald sterben. Diese Felseninsel liegt weitab von den Schiffsrouten, und nur die Graden hat uns hier zufällig zusammengeführt. Ich schlage also einen ehrenhaften Waffenstillstand vor. Sie verpflichten sich, mich nicht zu stechen, und ich werde Ihnen nichts tun und Ihnen die Klammern abnehmen. Wir suchen gemeinsam die ›Trader‹ und bleiben zusammen, bis wir herausgefunden haben, wo Mavra Tschang ist. Einverstanden?«
Vistaru überlegte. Sie hatte keine Aussicht, die Klammern allein entfernen zu können, und ohne ihre Flügel saß sie in der Falle. Aber konnte sie der Yaxa vertrauen? Welche Motive bewegten sie? Warum war sie hier?
Aber im Grunde hatte sie gar keine Wahl.
»Also gut, ich bin einverstanden. Waffenstillstand. Zumindest so lange, bis wir festgestellt haben, was hier vorgeht. Sie haben mein Wort, daß ich nichts gegen Sie unternehme.«
»Ihr Wort genügt mir.«Eine lange, klebrige Zunge schnellte aus der gewölbten Nase der Yaxa heraus und löste die Klammer von einem Flügelpaar, reichte sie an einen Greifarm weiter, der sie in einem Beutel verstaute. Das wiederholte sich noch dreimal, bis Vistaru befreit war. Sie bewegte dankbar die Flügel und reckte sich.
Die Yaxa blieb regungslos an der Felswand hängen und beobachtete sie. Vistaru wußte, daß sie auf alles vorbereitet war. Aber sie gedachte nichts zu tun. Ihr Wort galt, zumindest so lange, bis sie erfuhren, wo Mavra Tschang war.
»Wissen Sie, wo das Schiff ist?«fragte sie die Yaxa.
»Folgen Sie mir«, sagte die andere und flog mit weit ausgebreiteten Flügeln hinaus. Vistaru schwang sich hinter ihr in die Luft, mußte sich aber anstrengen, auf gleicher Höhe zu bleiben.
»Ein bißchen langsamer«, bat sie, und die Yaxa ging darauf ein.
»Wie heißen Sie?«fragte Vistaru.
»Mein Name ist Wooly«, erwiderte die andere.
Ihr Hauptproblem war, daß sie nicht das Logische und Sichere tun konnten — am Strand bleiben. Jeder, der sie suchte, würde schließlich auf die ›Toorine Trader‹ stoßen und sich seinen Reim darauf machen.
»Aber wir haben doch die Wesen in die Luft gesprengt, die uns verfolgten«, sagte Joshi klagend, als sie sich durch das Dickicht zwängten. »Warum laufen wir davon?«
Mavra dachte über die Frage nach. Wie konnte sie ihm die Lage auf eine für ihn verständliche Weise erklären? Daß sie aus der Gefangenschaft der Freiheit entgegenflüchteten, um das Recht in Anspruch zu nehmen, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen? Das war zu abstrakt für ihn. Glathriel war die einzige Heimat, die er kannte. Abgesehen von einem gelegentlichen Besuch in Ambreza, für ihn ein Abenteuer, waren Dorf und Gehege seine Welt gewesen.
Aber sie gab vor sich selbst zu, daß sie sich beinahe in dieselbe Gemütsverfassung hätte treiben lassen. Sie, die Braut der Sterne, der freie Geist vieler Welten, war in eine Falle geraten, die beinahe bewirkt hätte, daß sie sich mit ihrem ruhigen, friedlichen Dasein abfand, ihren Auftrag und ihr Ziel vergaß.
Sie war beauftragt worden, die Bedrohung durch Neu-Pompeii zu unterbinden, und da hing der Asteroid noch immer am Nachthimmel, ein Dolch, der auf das Herz des Daseins an sich zielte. Der Auftrag, vor so langer Zeit erteilt, war immer noch nicht ausgeführt. Und dazu kam ihr eigentliches Ziel, das sie in klaren Nächten vom Strand aus sehen konnte — die Sterne!
Warum fliehen wir, Joshi? dachte sie. Wovor und wohin? Vor Stillstand und schließlichem Tod zu Abenteuern nach unseren eigenen Bedingungen — dahin!
Laut sagte sie:»Wir wissen nicht, ob sie diejenigen waren, welche uns überfallen hatten, und selbst wenn sie es gewesen sind, waren sie nur Werkzeuge und nicht die Leute, die es eigentlich auf uns abgesehen haben. Die Hintermänner werden es immer wieder versuchen, bis sie uns eines Tages in ihrer Gewalt haben. Wir können dasitzen und Zielscheiben abgeben, bis sie uns treffen, oder wir können versuchen, die Spielregeln zu ändern. Wir werden das zweite versuchen.«
Er bedachte, was sie gesagt hatte, akzeptierte es sogar, aber ganz verstand er es nicht. Das Gehege war immer ein Symbol für Frieden und Sicherheit gewesen; sich damit abzufinden, daß davon nichts geblieben war, würde geraume Zeit dauern.
Sie trugen Kleidungsstücke, die der Segelmacher für sie angefertigt hatte. In den Taschen war Nahrung verstaut, Vitamine für schlechte Zeiten, und Vorräte, die sie brauchen mochten. Sie hatten alles eingepackt, was sie tragen konnten, und die Jacken waren mit dunklem Pelz benäht, den man in der Dunkelheit mit ihren Haaren verwechseln konnte.
In Ecundo waren die Tage warm, aber der Anbruch der Nacht im Landesinneren brachte unbehagliche Kälte mit sich. Sie schliefen zugedeckt mit Zweigen und erwachten oft durchfroren und taubenäßt.
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