Der Twosh mit der Zigarre sah ihn argwöhnisch an.
»Wichtig für wen?«fragte er.
»In erster Linie für mich«, gab der Agitar zurück. »Und für sie.«
»Kann ich mir denken«, sagte der andere Twosh halblaut. »Wenn Sie ihren Weg hierher verfolgt haben, muß sie ja irgendwo auf dem Schilf sein, nicht? Sie können es gern durchsuchen, obwohl ich fürchte, daß die Besatzung auf See zu beschäftigt ist, um Ihnen zu helfen.«Seine schwarzen, geraden Brauen sanken plötzlich herunter, bis sie die Augen berührten. »Aber ich kann Ihnen gleich sagen, daß das nichts nützen wird«, flüsterte er. Der kleine Kopf wies auf die beiden Ecundaner auf dem Brückendach. »Sie haben sie aufgegessen, wissen Sie.«
Einen unbehaglichen Augenblick lang glaubte Renard, das kleine Wesen sage die Wahrheit. Aber dann tat er die Antwort mit einem Achselzucken ab. Er war überzeugt davon, daß Mavra sich nicht an Bord befand.
»Sie haben seit Glathriel nur einmal angelegt«, sagte er, »und das war in Ecundo. Haben Sie sie dort abgesetzt?«
Der Twosh sah ihn entsetzt an.
»Wir lassen die Leute ganz sanft über Bord gleiten, wenn wir sie an Land bringen.«
Renard hob die Hände.
»Ich begreife nicht, wie Sie das alles so leichtnehmen können«, sagte er erbost. »Für jemanden wie sie ist das ein sehr gefährliches Hex!«
Die Ecundaner erhoben sich plötzlich auf ihre sechs Beine.
»He, Ziegenbock! Willst du uns beleidigen?«rief einer von ihnen und hob den Stachel.
»Ich geb's auf«, sagte Renard seufzend.
»Wenn Sie glauben, daß sie in Ecundo ist, sollten Sie lieber hinfliegen«, riet einer der Twosh. »Aber seien Sie vorsichtig. Die beiden da oben sind hinausgeworfen worden, weil sie so nette Burschen waren. Übrigens sucht alle Welt nach Mavra.«
»Augenblick. Alle Welt? Sind schon andere hier gewesen?«
»Sicher. Ein großes Wesen mit hübschen, orangeroten Flügeln und ein kleines Ding, das Ihnen kaum bis an die Knie reicht, kamen heute morgen dahergeflogen. Wir waren nicht so freundlich zu ihnen, wie wir das bei Ihnen sind, aber Sie sind ja auch sehr nett.«
Renard ging auf den Sarkasmus nicht mehr ein.
»Eine Yaxa und eine Lata? Sind sie aufeinandergetroffen?«
Er machte sich Sorgen um Vistaru, von der man seit Tagen nichts mehr gehört hatte.
»Wenn man bedenkt, daß die eine auf der anderen saß, würde ich sagen, daß es ihnen schwerfallen dürfte, zusammenzutreffen«, meinte der Twosh.
Das beunruhigte Renard noch mehr, und er bemühte sich sehr, ihnen eine Lata zu beschreiben, um die Gewißheit zu haben, daß man ihn nicht noch mehr verspottete. Eine Yaxa und eine rosarote Lata — fast mit Gewißheit Vistaru — zusammen ? Das schien beinahe unmöglich zu sein.
»Führte eine der beiden das Kommando?«fragte er. »Ich meine, sah es so aus, als wäre eine die Gefangene der anderen gewesen?«
Der Twosh dachte nach.
»Nein. Ich würde nicht sagen, daß sie befreundet waren — aber ich glaube auch nicht, daß man mit dem orangeroten Eisklotz Freund sein kann. Sie schienen aber auf jeden Fall zusammenzuarbeiten.«
Das störte Renard. Hatte die Lata aus irgendeinem Grund nach all der Zeit Ortega im Stich gelassen und sich ihren alten Gegnern angeschlossen? Das war undenkbar — aber es waren so viele Jahre vergangen. Die Leute änderten sich, dachte er. Regierungen verändern sich, der einzelne verändert sich.
Es hörte sich nicht gut an.
»He, Freund!«rief einer der Ecundaner.
Er starrte verblüfft hinauf.
»Ja?«
»Wie willst du wieder abheben?«
Die Frage brachte ihn für einen Augenblick aus der Fassung. Er hatte einfach nicht darüber nachgedacht. Die See war zu rauh, und Domaru brauchte entschieden eine ebenso lange Start- wie Landestrecke — und zwar mit ausgebreiteten Flügeln.
Er saß fest, bis sie in Domien ankamen, noch ein Tag entgegen der Richtung, die er einschlagen wollte.
Sie lachten alle. Tbisi blieb es überlassen, ihm den Gnadenstoß zu versetzen.
»Die Fahrt kostet zwölf Goldstücke am Tag«, sagte er, als er auf Renard zuging.
Der Agitar seufzte und hätte sich selbst einen Tritt geben mögen.
»Ich hole sie aus Domarus Satteltaschen«, sagte er resigniert.
»Das kommt auch noch dazu«, erklärte Tbisi. »Das Pferd ist Fracht. Ein Goldstück pro Kilogramm.«
Das Geschnatter einiger Vögel flog zwischen den Bäumen hin und her, manchmal auch, wenngleich selten, zwischen der Hex-Grenze und dem Wald. Es war etwas in der Luft von Ecundo, das den Tschangs nicht gefiel, und sie hatten bald gelernt, ihm auszuweichen, wo es ging.
Das Dickicht knackte, als etwas Übergroßes sich durch diese Welt von Vögeln und Laub bewegte. Was immer es sein mochte, es hatte keine Eile. Es ging gleichmäßig und beharrlich auf den elektrischen Zaun zu.
Das Wesen, das den Zaun erreichte, war ein großer Zweibeiner. Sein Körper, ein fast vollkommenes Oval, bedeckt mit dichten, drahtigen schwarzen Haaren, stand auf riesigen Vogelfüßen mit langen Klauenzehen. Die Beine sahen aus wie lange Spiralen, so daß das Wesen auf Federn zu stehen schien; die dicken, meterlangen Beine konnten sich in jede Richtung biegen.
Der Wuckl blieb stehen und betrachtete den Zaun und die beiden bewußtlosen Geschöpfe mit neugierigen Augen. Dann ging er zum Zaun und berührte ihn beinahe. Sein Kopf drehte sich auf dem langen, goldberingten Hals hin und her.
Der Wuckl war von dem Anblick der Bewußtlosen offenbar verwirrt. Aus der Ferne hatten sie ausgesehen wie Bundas, aber in der Nähe unterschieden sie sich von allem, was er kannte — eine gewisse Ähnlichkeit mit Bundas war gegeben, aber nicht mehr.
Er beschloß endlich, sich die Verwunderung für später aufzusparen. Der Zaun war nicht so stark geladen, daß er einen Bunda, Ecundaner, Wuckl oder sonst irgendein großes Geschöpf töten konnte. Er sollte Eindringlinge vertreiben, nicht sie umbringen — aber ein Wesen hatte versucht, unten durchzuschlüpfen, war hängengeblieben und hatte eine Reihe von Schlägen erdulden müssen. Das zweite hatte das erste gepackt und war ebenfalls von den Stromstößen durchzuckt worden. Inzwischen hatte die sich steigernde Wirkung beiden das Bewußtsein geraubt.
Obwohl der Wuckl keine erkennbare Kleidung trug, griff eine lange, dünne Hand seitlich in den Körper und zog aus einer unsichtbaren Tasche Isolierhandschuhe. Die rechte Hand tauchte wieder hinein und zog heraus, was nach einer langen Drahtschere aussah. Das Wesen streifte die Handschuhe über und zertrennte die Drahtstränge um die beiden bewußtlosen Wesen.
Das erste ließ sich dann leicht auf die Wuckl-Seite der Grenze hinüberziehen. Beim zweiten wurde es jedoch schwieriger, weil der Wuckl nicht den ganzen Zaun zerschneiden wollte. Er überlegte einige Zeit, ob er das zweite Wesen zurücklassen sollte. Unter der bundaähnlichen Bekleidung waren die beiden aber offensichtlich von derselben Art und sollten also nicht getrennt werden — jedenfalls so lange nicht, bis das Rätsel ihrer Herkunft geklärt war.
Dem Wuckl gelang es schließlich doch, den bewußtlosen Joshi heraus- und zu sich hinüberzuziehen. Er streifte die Handschuhe ab, steckte sie zusammen mit der Drahtschere in die unsichtbaren Taschen und hob mit je einer Hand die beiden Wesen auf, als hätten sie überhaupt kein Gewicht. Er ging mit ihnen den Weg zurück.
Toug war Waldhüter; verletzte Tiere waren nicht sein Aufgabengebiet, und so ging er zum Haus des Wildhüters, der Tierkunde studiert hatte. In den zehn Minuten, die Toug brauchte, um zum Haus zu gelangen, regten die beiden Geschöpfe sich nicht.
Der Wildhüter klickte ein paarmal gereizt mit dem Schnabel und beklagte sich über die Störung beim Mittagessen, bezeugte jedoch Interesse, als er Tougs Bürde sah. Er bat den Forstaufseher, die beiden in den Operationssaal zu bringen.
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