Und Männer gab es auf Olympus auch — ganz offen. Sie hatten nichts zu sagen und wurden immer noch als Sexobjekte betrachtet, aber sie gehörten zur Gesellschaft — und hatten stets dazu gehört.
Überdies hatte die Gemeinde des Schachtes einen anderen Kurs eingeschlagen — und zwar durch gleichzeitige ›göttliche Offenbarung‹ für alle Hohepriesterinnen, damit es keinen Irrtum geben konnte. Um das Paradies für alle zu schaffen, so war ihnen erklärt worden, mußte Nathan Brazil zuerst zur Schacht-Welt, den Schacht betreten und das alte Universum auslöschen. Die Kräfte des Bösen würden versuchen, ihn aufzuhalten. Damit Olympus am bevorstehenden Himmel beteiligt sein konnte, mußten die Anhängerinnen eine Armee aufstellen, um Brazil zu helfen, damit er sein Ziel erreichen konnte. Dafür würden sie dem neuen, Heiligen Universum angehören, denn hier herrschten zwar auch die Kräfte des Bösen, aber sie würden bei der Neuerschaffung fortgefegt werden, was zu einem Universum ohne Böses führen mußte. Selbst der Tod bei diesem heiligen Kreuzzug würde im nächsten, großen Universum einen Platz sichern.
Marquoz bestaunte Obies Geschicklichkeit, als er den Bericht gehört hatte.
»Es ist viel einfacher, einen heiligen Kreuzzug zu führen, der durch göttliches Eingreifen geleitet wird«, stellte er fest.
Mavra Tschang lächelte nur.
»Immer dieselbe alte Geschichte. Für nichts gibt es nichts. Man hat ihnen einen Himmel angeboten, den wir nicht liefern können, und Leben über die Zerstörung des Universums hinaus, das wir im Austausch für ihre Dienste vielleicht einigen bieten können. Sie werden für eine Lüge kämpfen und sterben.«
»Wie üblich«, fügte Marquoz hinzu.
Ihr Gespräch wurde von einem Summton in Mavras Sprechgerät unterbrochen. Sie zog es vom Gürtelhaken und sagte:»Ja?«
»Ich glaube, er kommt zu sich«, sagte ein Mediziner.
Sie stürzten alle in Brazils Suite.
* * *
Nathan Brazil hatte an einer hübschen, dunklen, stillen Stelle geschwebt, die nur ihm gehörte. Denken war nicht verlangt gewesen; es war warm und behaglich, und man fühlte sich so wohl. Die Stille glitt jetzt davon, und Erinnerungen fluteten in sein Gehirn zurück. Zuerst konnte er keinen Sinn darin entdecken und gab sich auch keine Mühe; trotzdem stürmten sie weiter wie Soldaten in die Schlacht, bemüht, eine Art Ordnung zu finden.
Ein kleines Palmenwäldchen um ein klares, blaues Wasserloch; selbst da schon trockenes, ausgeglühtes Land, aber grün, nicht so, wie es werden sollte. Von Südosten ein leichter Wind, ein trockenes, schreckliches, heißes Streicheln, das keine Erleichterung brachte. Zwei junge Frauen, eine sehr hübsch, zwei kleine Kinder. Die der schönen Frau? Ein älterer Mann, ergrauender Bart, das Gesicht wettergegerbt und ledrig. Schwer zu sagen. Man redete in diesen schweren Zeiten nicht viel, versuchte nicht, neue Bekanntschaften anzuknüpfen.
Hufschlag. Männer auf Pferden. Kaum eine Gelegenheit, die Köpfe zu heben. Römer! Nur fünf, aber üble Burschen. Auf der Suche nach Zwistigkeiten. Er versteckte sich im Gebüsch und blieb liegen. Seltsam, andererseits sagte etwas in seinem Gehirn. Klang eigentlich nach mehr Pferden. Vielleicht verschiedene Richtungen? Verbargen sich noch andere im Gesträuch?
Die Römer sind abgestiegen. Die beiden kleinen Kinder, beide Jungen, waten nackt am Rand des Teichs, planschen und spielen. Die Römer schauen sich nach ihnen um, nach dem alten Mann und den beiden Frauen, prüfend und herrisch. Einer ruft dem anderen auf lateinisch etwas zu und zeigt finster auf die beiden kleinen Jungen. Er fängt ein Wort auf, das ihm der heiße Wind zubläst. »Beschnitten.«Es wird Ärger geben; Antiochus hat den Brauch vorerst verboten. Ein Rom, ein Glauben, ein Brauchtum. Die Welt unter einem und wie eine. Kulturelle Assimilation, nannten sie das.
Der alte Mann ist trotzig. Er schreit den Zenturio an, der zurückbrüllt, dann lacht und nach der jüngeren Frau greift. Der alte Mann stürzt sich schreiend und fluchend auf ihn. Zwei Römer laufen, Schwerter gezückt, herbei, um dem Zenturio beizustehen, und zerhacken den alten Mann beinahe. Die Frauen kreischen. Die Römer umstellen sie. Die jüngere wird von zwei Römern gepackt und halb ausgezogen. Die ältere Frau greift sie mit einem Dolch in der Hand an, aber ein Hieb mit der flachen Klinge eines Römerschwerts zertrümmert ihr den Schädel; sie stürzt hin und bleibt liegen.
Er liegt immer noch im Gebüsch und ist zornig auf sich, schämt sich seiner. Er hat Speer und Schwert, und plötzlich springt er in blinder Wut hinaus.
Ein Römer schneidet den Jungen die Kehlen durch; er fährt erschrocken herum und reißt die Augen auf, als ein Speer durch seinen Brustpanzer in seinen Bauch gestoßen wird.
Die beiden Männer haben die Frau zu Boden geworfen; sie drehen sich erstaunt um, aber ihre Kameraden haben bereits ihre Waffen herausgerissen und gehen auf den fremden Mann los.
Er war gut, vor allem dann, wenn von solcher Wut erfaßt. Er riß dem erstbesten Römer mit einem gewaltigen Hieb nach innen beinahe den Schwertarm ab, aber der andere war nicht so leicht zu besiegen. Selbst ein guter Schwertkämpfer, trieb der Römer den Mann in die Arme der beiden anderen Römer, die das Mädchen hatten liegen lassen und hinter ihm herankamen.
»Ich bringe den Hund auf der Stelle um!«fauchte der Schwertkämpfer, als er herankam.
»Nein, halt!«rief einer der anderen. »Das Weibsstück bedeutet ihm etwas, warum würde er sonst so kämpfen? Bindet ihn an den Baum. Er soll zuschauen und bereits vor seinem Tod sterben!«
»Ai! Trennen wir ihm die Gliedmaßen ab und lassen wir ihn liegen, damit er verblutet oder als Krüppel ohne Glieder lebt!«zischte der Mann, dem er den Arm bis zum Knochen durchgehauen hatte. Er lag immer noch im Sand und bäumte sich unter Qualen auf. Sie lachten und verbanden den anderen, so gut sie konnten.
Und es geschah. Er wurde mit Stricken, die er nicht zerreißen konnte, an einen Baum gebunden und gezwungen, der Notzüchtigung zuzusehen. Danach töteten sie das Mädchen, nicht barmherzig schnell, sondern langsam.
Er weinte, ebenso sehr um die Welt wie um diese Menschen, die gemartert und getötet worden waren. Er hatte gute, tapfere, anständige Männer der Legionen gekannt, Männer, die angesichts solcher Barbarei gehandelt haben würden wie er. Jetzt nicht mehr. Rom dehnte sich aus, erstreckte seinen Einfluß bis an den Rand der Welt, und dazu brauchte man viele Männer, deren einzige Qualifikation darin bestand, daß sie töteten und Spaß am Töten hatten.
Nun umringten sie ihn am Baum.
»Das ist also die Größe des mächtigen Rom«, zischte er verächtlich.
Sie lachten, obwohl er in ihren Gesichtern erkennen konnte, daß eine derartige Kaltblütigkeit angesichts von Marter und Tod sie verblüffte.
Sie zogen ihre Schwerter und feixten ihn an. Einer wies auf das Blutbad. »Waren das deine?«
Er sah dem Mann in die Augen.
»Ich habe sie in meinem ganzen Leben nie zuvor gesehen«, antwortete er in fehlerlosem Latein.
»Warum hast du dann für sie gekämpft?«fragte ein anderer verwirrt.
»Die Kinder des Herrn über Israel sollten nicht von Höllenbrut geschändet werden.«
»Genug davon! Du bist ein tapferer Mann, aber ein Narr«, sagte der Zenturio. »Wir werden dich töten, damit die Sache ein Ende hat.«
»Ich würde mir wahrlich wünschen, daß Ihr das könnt.«
Der Römer zog sein Schwert und zögerte eine Sekunde. Bevor er den tödlichen Streich führte, sah er ihm in die Augen.
Vier knallende Geräusche hallten wieder, gefolgt von einem wapp! wapp! wapp! wapp! Die Römer standen einen Augenblick da und blickten verwirrt, dann stürzten sie zu Boden. Aus ihren Rücken ragten Pfeile.
Vier Männer traten aus dem nahen Gesträuch. Alles Hebräer, das sah er sofort, alle mit Bogen. Einer war ein älterer Mann; nach ihrem Aussehen mußten die anderen seine Söhne sein. Zwei von den Söhnen untersuchten die Leichen der toten Hebräer, während der dritte Sohn mit einem Schwert dafür sorgte, daß die Römer für immer am Boden liegen würden. Der alte Mann kam heran, zog ein kleines, gebogenes Messer aus dem Gürtel und durchschnitt die Fesseln. Er brach beinahe zusammen, als das Blut in seine Glieder zurückkehrte. Der alte Mann war stark und fing ihn auf, bevor er ihn vorsichtig zu Boden gleiten ließ.
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