Göring kicherte, taumelte auf Burton zu und versuchte ihm die Arme um den Hals zu legen. Es gelang ihm nicht. Burton stieß ihn so fest zurück, daß er zurückfiel und gegen den Tisch prallte. Lediglich ein schnelles Zugreifen seiner Hände verhinderte, daß Göring auf dem Boden landete.
»Es ist alles sehr amüsant«, sagte Göring. »An dem Tag, an dem ich hier ankam, fragte mich nämlich ein Mann, ob ich Sie kennen würde. Er beschrieb Sie ziemlich genau und nannte auch Ihren Namen. Ich berichtete ihm, daß ich Sie gut kennen würde — zu gut sogar — und daß es meine Hoffnung sei, Ihnen niemals wieder über den Weg zu laufen; nicht einmal dann, wenn ich über genügend Macht verfügte. Der Mann sagte, ich solle ihn informieren, wenn ich Sie wiedersähe, und daß er es mir gut vergelten würde.«
Burton verlor nicht die geringste Zeit. Er sprang auf Göring zu und packte ihn mit beiden Händen. Göring winselte vor Angst.
»Was haben Sie vor?« keuchte er. »Wollen Sie mich ein zweites Mal umbringen?«
»Nicht, wenn Sie mir den Namen des Mannes nennen, der Sie über mich ausgefragt hat. Wenn Sie es nicht tun…«
»Dann töten Sie mich doch!« sagte Göring laut. »Glauben Sie, das macht mir was aus? Ich werde irgendwo an einem anderen Ort wieder aufwachen und ein neues Leben beginnen. Tausend Kilometer von hier entfernt, außerhalb Ihrer Reichweite…«
Burton deutete auf das kleine Bambuskästchen, das neben Görings Schlafgelegenheit stand. Der Geruch, den es ausströmte, hatte ihm schon beim Eintritt in die Hütte verraten, daß Göring darin seinen Gummivorrat aufbewahrte.
»Aber Sie würden ohne dieses Kästchen dort aufwachen«, sagte er zynisch.
»Und wie ich Sie kenne, wäre es Ihnen unmöglich, innerhalb kurzer Zeit erneut einen solchen Vorrat zusammenzuraffen.«
»Verdammt sollen Sie sein!« fluchte Göring. Er versuchte allen Ernstes, sich loszureißen und auf das Kästchen zu stürzen.
»Seinen Namen!« verlangte Burton hart. »Oder ich nehme das Kästchen und werfe es in den Fluß!«
»Agneau. Roger Agneau. Er schläft in einer Hütte neben dem Rundhaus.«
»Wir reden später noch miteinander«, sagte Burton und versetzte Göring einen gezielten Handkantenschlag in den Nacken.
Als er sich umwandte, sah er einen Mann von draußen auf die Hütte zukriechen. Plötzlich erhob er sich und tauchte unter. Burton eilte hinter ihm her und fand sich eine Minute später zwischen riesigen Eichen und Pinien wieder. Der Unbekannte verschwand im hüfthohen Gras.
Burton verlangsamte seinen Schritt etwas und sah in der Finsternis einen hellen Punkt — den Rücken des Flüchtlings. Sofort nahm er die Verfolgung wieder auf. Hoffentlich tötete der Ethiker sich nicht, ehe er seiner habhaft werden und mittels Hypnose einige Fragen stellen konnte. Aber bevor Burton seinen Plan ausführen konnte, mußte er den Ethiker zuerst einmal haben.
Möglicherweise war der Mann gerade dabei, mittels irgendeines in seinen Körper transplantierten Gerätes mit seinen Kollegen in Verbindung zu treten.
Wenn ihm das gelungen war, würden sie bald mit ihren Flugmaschinen auftauchen und Burton jagen, was gleichbedeutend mit seinem Ende war.
Burton blieb stehen. Er hatte den Flüchtling plötzlich aus den Augen verloren. Alles, was ihm jetzt noch zu tun übrig blieb, war Alice und die anderen zu wecken und schleunigst das Weite zu suchen. Vielleicht konnten sie sich dieses Mal in die Berge zurückziehen und dort für eine Weile untertauchen.
Aber zuerst würde er zu Agneaus Hütte hinübergehen. Es bestand zwar keine sonderlich große Chance, daß er den Mann dort antreffen würde, aber nachsehen kostete ja nichts.
Burton hatte sich der Hütte gerade bis auf Sichtweite genähert, als er in ihr einen Mann verschwinden sah. Er änderte seinen Kurs und schlich sich an die Seite der Hütte heran, die im Schatten der Berge lag. Die Bäume boten ihm einige zusätzliche Deckung. Er bewegte sich zunächst kriechend fort, stand aber auf und lief auf den Eingang zu.
Hinter ihm — in einiger Entfernung — ertönte plötzlich ein lauter Schrei.
Burton wirbelte herum. Es war Göring, der auf ihn zuhastete und dabei auf deutsch laute Warnrufe ausstieß. Aber er meinte nicht Burton, sondern Agneau. In einer Hand hielt er einen langen Speer, mit dem er dem Engländer wütend drohte.
Burton drehte sich wieder um und warf sich gegen die nicht allzu starke Bambustür. Ein einziger Stoß seiner Schulter reichte aus, um sie aus den Angeln zu reißen. Die Türfüllung flog in den Raum hinein und knallte gegen Agneau, der offenbar direkt hinter ihr gestanden hatte, und riß den Mann zu Boden. Agneau schrie auf. Dann schwieg er. Burton räumte die Tür beiseite und stellte fest, daß sein Gegner die Besinnung verloren hatte. Gut! Wenn der Lärm nicht die Wache alarmiert hatte und er schnell mit Göring fertig werden konnte, stand der Ausführung seines Planes nichts mehr im Wege.
Er blickte auf und sah im Licht der Sterne ein langes, dunkles Objekt, das sich auf ihn zubewegte.
Burton warf sich zur Seite. Krachend bohrte sich eine Lanze in den Boden, genau an der Stelle, wo er soeben noch gestanden hatte. Ihr Schaft vibrierte wie der Hals einer Klapperschlange, bevor sie zum Angriff ansetzt.
Er trat in den Eingang, schätzte die Entfernung zu Göring ab und rannte auf ihn zu. Sein Assegai bohrte sich in den Bauch des Deutschen. Göring warf die Arme in die Luft, schrie und stürzte hin. Burton lud sich Agneaus leichten Körper über die Schulter und verließ die Hütte.
Vom Rundhaus drangen jetzt die ersten aufgeregten Rufe zu ihm herüber.
Fackeln flammten auf; der Wächter auf dem nächsten Turm schrie etwas herüber. Göring hatte sich aufgesetzt. Sein Körper war vornübergebeugt, und er umklammerte mit beiden Händen den Schaft der in seinem Leib steckenden Waffe.
Mit aufgerissenem Mund starrte er Burton an und stieß hervor: »Sie… haben… es… schon wieder… Sie…«
Dann fiel er aufs Gesicht. Ein letztes Röcheln erstarb in seiner Kehle.
Agneau, der jetzt wieder zu sich kam, befreite sich blitzschnell aus Burtons Griff und glitt zu Boden. Im Gegensatz zu Göring machte er nicht den geringsten Laut, denn er hatte zumindest ebenso viele Gründe wie Burton, sich leise zu verhalten. Burton war im ersten Moment so überrascht, daß er stumm mit dem in seiner Rechten zurückgebliebenen Lendentuch seines Gefangenen stehenblieb. Ein erster Impuls hieß ihn, das Stück Bekleidung fallen zu lassen, aber dann wurde ihm klar, daß dies kein gewöhnlicher Kilt war. Er fühlte sich anders an. Burton holte sich aus der Leiche Görings sein Assegai zurück und nahm die Verfolgung auf.
Der Ethiker hatte inzwischen eines der verstreut am Ufer herumliegenden Kanus ins Wasser geschoben und versuchte verzweifelt paddelnd mehr Abstand zwischen sich und das Ufer zu bringen. Mehrere Male sah er sich furchtsam um. Burton schwang die langschäftige Waffe über seinem Kopf, gab ihr großen Schwung und schleuderte sie über das Wasser. Sie bohrte sich in Agneaus Rücken. Der Ethiker klappte zusammen und fiel nach vorne. Das Kanu kippte um und trieb kieloben weiter. Agneau tauchte nicht mehr auf.
Burton stieß einen Fluch aus. Er hatte den Mann lebend fangen wollen, aber es wäre närrisch gewesen, ihn entkommen zu lassen. Und die Chance, daß sich Agneau mit den anderen Ethikern noch nicht in Verbindung gesetzt hatte, bestand schließlich immer noch.
Burton wandte sich wieder den Gasthütten zu. Trommeln wurden geschlagen, und Menschen mit brennenden Fackeln bewegten sich zwischen den Hütten dahin auf das Rundhaus zu. Er hielt eine Frau an und fragte sie, ob sie ihm einen Moment lang ihre Fackel leihen könne. Die Frau kam seiner Bitte zwar nach, überschüttete ihn jedoch gleichzeitig mit Fragen. Burton sagte, daß man vermute, ein Überfall der Nachbarn stünde bevor, und schaffte sie sich damit vom Hals. Wie alle anderen auch eilte die Frau dem sicheren Rundhaus entgegen.
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