Von Doc wurde kaum noch gesprochen, obwohl das die allgemeine Niedergeschlagenheit nur noch unterstrich. Hunter hatte Wojtowicz gefragt, was Doc zuletzt gesagt habe, und Wojtowicz hatte geantwortet: »Ich habe ihn noch einmal vor dem Hut gewarnt und ihm gesagt, daß das Ding nur Unglück bringen kann, aber er hat nur gelacht und geantwortet: ›Wojtowicz, wenn Sie später so kahl sind, wie ich es schon jetzt bin, und Ihre Glatze nicht einmal verstecken dürfen, wissen Sie, was das größte Unglück ist!‹«
Der Ladestock meinte mit einem traurigen Kopfschütteln: »Ich habe ihn ebenfalls davor gewarnt.« Dann fügte er leiser hinzu: »Hochmut kommt vor dem Fall.«
Wojtowicz war mit den Fäusten auf den Ladestock losgegangen, und der kleine Mann hatte zu vermitteln versucht, indem er sagte: »Ich glaube, daß Charles Fulby damit nur die Hybris gemeint hat — den fast unverständlichen Optimismus einiger griechischer Helden, der die Götter so neidisch und eifersüchtig machte, daß sie diese Menschen vernichteten.«
»Die alten Griechen sind mir völlig schnuppe, Doddsy!« hatte Wojtowicz erregt geantwortet. »Solange ich hier bin, sagt jedenfalls keiner etwas gegen Doc!«
Jetzt sah Hunter auf den gleichen schwarzen Hut hinab, den er die ganze Zeit über zerknautscht in der Hand gehalten hatte und er dachte an Doc, der dort unten neben den drei Mördern lag, als sei er einer von ihnen.
»Mein Gott, das ist wirklich ungerecht«, murmelte er vor sich hin. »Sogar Doddsys dämlicher Köter hat ein schöneres Begräbnis gehabt, als wir Doc geben können.«
Er überlegte sich, ob er den Hut irgendwo aufhängen sollte, aber das wäre nicht richtig gewesen. Schließlich glättete er die breite Krempe, wartete einen windstillen Augenblick ab und warf den Hut dann über die Felskante. Eine Sekunde lang glaubte er, der Hut würde vorher hängenbleiben, und überlegte sich, wie schrecklich unbeholfen das wirken mußte, aber das schwarze Ding segelte knapp über die Kante und verschwand.
Aus der Ferne drang leises Motorengeräusch zu ihnen herauf. Es schien von der verstopften Autobahn her zu kommen.
»Haben Sie das gehört, Mister Hunter?« rief Harry McHeath. Er kauerte auf der Ladefläche und hielt sein Gewehr schußbereit. Hunter dachte daran, daß Doc von den betrunkenen Halbstarken gesprochen hatte, die jeden Augenblick auftauchen konnten.
Hunter drehte sich um und zog Margo und Rama Joan hinter sich her auf den Thunderbird zu. Als er sich ans Steuer setzte — Margo zwängte sich in den Rücksitz, Rama Joan saß vorn neben Ann —, dachte er: Doc wäre in aller Ruhe gegangen. Oder doch nicht? Zumindest hätte er irgend etwas gesagt.
Er ließ den Motor an, drehte sich noch einmal um und hob den rechten Arm.
»Wenn hinter uns andere Wagen kommen, überholen Sie mich«, rief er Hixon zu. »Dann können wir die Impulspistole benützen. Wenn sie auf uns zielen, wird sofort geschossen. Okay, wir fahren!«
Das war nicht gut, überlegte er, als er anfuhr, aber es mußte eben genügen.
Paul Hagbolt sah in die bodenlose Dunkelheit hinab, als sei die durchsichtige Wand der Untertasse der gläserne Deckel eines großen Aquariums, durch das die Sterne, der Wanderer und die Erde wie geheimnisvoll leuchtende Fische schwammen. Dann glaubte er wieder, durch ein Mikroskop zu sehen, auf dessen Objektträger die Sterne sich wie diamantene Infusorien bewegten.
»Du denkst, der Raum sei leer«, sagte Tigerishka neben ihm, »aber in Wirklichkeit ist er übervoll. Euer Sonnensystem ist eines der wenigen Gebiete, das sich in seinem ursprünglichen Zustand erhalten hat — wie ein kleiner, völlig überwucherter Garten im Herzen einer Stadt, die bereits das ganze Land verschlungen hat.
In der Galaxis, aus der unser Wanderer stammt, kreisen so viele Planeten um jede Sonne, daß sie ihr Licht verdecken und die Galaxis in eine belebte Stadt verwandeln. ›Wo ein Sonnenstrahl hinfällt, schwebt einer unserer Planeten‹, sagen unsere Ingenieure stolz. Oder sie verankern dort ein Kraftfeld, das die Strahlen reflektiert.
Zehntausende von Planeten um jede Sonne rufen Zehntausende von Fluten hervor, so daß die Hälfte unserer Ingenieurkunst aus Gezeitenharmonisierung besteht. Die Planeten folgen einander so dicht auf gleichen Kreisbahnen, daß sie elliptische Perlenketten bilden, in denen jede Perle eine Welt darstellt. So sieht das Universum wirklich aus — das ist das wahre Gesicht der meisten Sonnensysteme.
Die Menschen wissen noch nichts davon weil das Licht sich so langsam bewegt. Könnten sie eine Milliarde Jahre warten, würden sie erleben, wie es im Raum dunkel wird — aber nicht etwa deshalb, weil die Sterne erlöschen, sondern weil ihre Besitzer sie vor den Blicken der Menschen abschirmen und ihr Licht ängstlich für sich bewahren wollen.
Nur sehr wenige der Planeten, hinter denen jetzt die Sterne verschwinden, sind auf natürliche Weise entstanden. Die weitaus meisten verdanken ihre Existenz unseren Ingenieuren und Wissenschaftlern. Trillionen erloschener Sterne, erkalteter Monde und kosmischer Gaswolken sind abgebaut worden, um diese Planeten zu schaffen — eure Pyramiden mit einer Unendlichkeit multipliziert. Auch die Milchstraße ist keine Ausnahme. Die dunklen zentralen Schatten, die eure Astronomen so verblüffen, sind in Wirklichkeit nur Sonnen mit unzähligen Planeten.
Ein Teich kann sich fast ebenso schnell wie eine Pfütze mit Infusorien füllen. Ein Kontinent füllt sich fast ebenso rasch mit Kaninchen wie ein Landstrich. Und intelligentes Leben kann sich in fast dem gleichen Zeitraum bis an die Grenzen des Universums ausdehnen, den es sonst brauchen würde, um auf einem einzelnen Planeten zur Reife zu gelangen. Die Planeten einer Billion Sonnen bringen eine Rasse von Raumfahrern ebenso schnell hervor wie die einer einzigen. Zehn oder hundert Trillionen Systeme lassen sich ebenso rasch von einem bestimmten Gedanken infizieren wie eines.
Das intelligente Leben breitet sich schneller als die Pest aus. Und die Wissenschaft wächst rascher als eine Krebsgeschwulst. Auf jedem natürlichen Planeten kriecht das Leben Millionen Jahre lang, aber dann kommt es über Nacht zu einer unvorstellbaren Blüte. Die Samen werden über weite Entfernungen hinweg zu anderen Planeten geschleudert, wo sie wie Unkraut wuchern, und dann kommt die Explosion ihrer Samen und so weiter und so weiter, bis die gekrümmten Enden des Universums erreicht sind.
Dabei gibt es dramatische Augenblicke des Zusammentreffens mit anderen Lebensformen — Erschrecken, Verwunderung, Erstaunen. Und dann kommt unweigerlich die Enttäuschung und die Langeweile. Die Pfütze, in der gestern erst einige Amöben schwammen, wimmelt heute vor Leben — und der Teich ebenfalls. Die Algen glänzen wie Juwelen, aber das Wasser wird bald trüb und undurchsichtig.« Tigerishka wies nach draußen, wo die Sterne strahlten. »Die Diamanten, die du dort siehst sind Lügen, Paul. Die Sonnen, die einmal dieses helle Licht ausgestrahlt haben, sind längst verdunkelt.
Das Universum ist nicht mehr leer, Paul. Überall gibt es intelligente Lebewesen, deren Planeten die Sterne verdunkeln, deren Ingenieure hemmungslos die Energien der Sonnen vergeuden, um immer mehr Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Das Universum verwandelt sich trotz seiner unendlichen Weite in einen Slum und stirbt dabei allmählich — wie das Wasser in einem Teich im Laufe der Zeit verdirbt, wenn es zuviel Leben enthält.
Die Lebewesen werden unsterblich gemacht, so daß dem Verstand für die Zukunft keine Grenzen mehr gesetzt sind. Deine Welt, Paul, ist eine der wenigen Inseln des Todes, die noch in dem Meer der Unsterblichkeit unverändert geblieben sind.
Durch Reisen im Hyperraum und telepathische Nachrichtenverbindungen sind die Enden des Universums einander näher als die Planeten eures Sonnensystems. Die Systeme sind zentralisierter als die Staaten der Erde — sogar mehr als die fünfzig Staaten deines Landes. Und der Kosmos wird von einer demokratischen Regierung beherrscht, die gnädiger und schrecklicher als jeder imaginäre Gott ist.
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