Die Stimme hinter der Flinte klang heiser und nachlässig, aber trotzdem drohend.
»Hier ist eine Kontrollstelle. Wir kassieren Wegzoll. Was haben Sie in ...«
»Wir haben nur einen Reifen gewechselt«, warf Barbara ein.
»... Trilby gemacht?« fragte der Mann.
Das war also der Name des kümmerlichen Nestes, durch dessen einzige Straße sie vor zwanzig Minuten im Zick-Zack gefahren waren!
»Wir sind nur auf der Durchfahrt«, sagte Barbara rasch. »Wir zahlen gern einen Wegzoll.« Aber als sie mit der linken Hand den Reißverschluß ihrer schwarzen Tasche öffnen wollte, griffen zwei rote Hände danach und hielten sie fest. Dann wurde die Tasche durch das Fenster gezogen, und die Stimme sagte: »Der alte Knabe muß einer der Millionäre von Palm Beach sein. In der Tasche ist ein Haufen Papiergeld.«
»Er ist sehr krank«, stellte Barbara fest. »Wir müssen ihn in das nächste ...«
»Einer von den verfluchten Yankees«, unterbrach die heisere Stimme sie, »die hierher kommen und sich als große Herren aufspielen und den Niggern viel zu hohe Löhne zahlen und dann wie Hasen davonrennen, wenn der Herr uns prüft. Wir behalten das Geld für den Jubiläumsfonds. Die beiden Niggermädchen bleiben ebenfalls hier — wir brauchen jemand, der uns das Leben auf dem Hügel ein bißchen gemütlicher macht. Los, steigt aus, sonst bekommt der schwarze Hundesohn am Steuer eine Ladung ab!«
Jetzt , dachte Barbara, aber als sie den Revolver heben wollte, spürte sie, daß der alte KKK ihre Hand festhielt. Er räusperte sich und sprach dann so laut, wie sie ihn noch nie gehört hatte.
»Hat vielleicht jemand etwas gegen meinen Fahrer Benjy einzuwenden? Wem paßt seine Hautfarbe nicht? Ich dachte, hier lebten ehrliche Leute, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.«
Draußen wurde ein zorniges, aber unsicheres Gemurmel laut. Der alte KKK lehnte sich aus dem Seitenfenster und starrte die Männer in den blauen Overalls an. Dann fragte er nachdrücklich: »Wann hat die Schwarze Nacht ein Ende?«
Der Mann mit der heiseren Stimme zögerte und antwortete fast widerwillig: »Wenn der Weiße Tag heraufzieht.«
»Halleluja!« erwiderte der alte KKK. »Bestellen Sie dem Großmeister von Dade City einen Gruß von dem Großmeister von Palm Springs. Benjy, ich wünsche, daß du weiterfährst!«
Der Rolls-Royce setzte sich in Bewegung — einen Meter ... drei ... fünf ... zehn. Dann fuhren sie immer rascher und Hester sagte aufgeregt: »Vorsicht, da ist ein Baumstumpf, Benjy!« Der Wagen wich aus, wäre fast ins Schleudern gekommen und fuhr im letzten Augenblick geradeaus weiter. Benjy lachte begeistert, aber leicht hysterisch. »Der alte KKK hat wirklich bewiesen, daß er seinen Namen zu Recht trägt«, meinte er schließlich atemlos. Dann warf er einen Blick über die Schulter. »Entschuldigung ... Dad!«
»Er hat nichts mehr gehört, Benjy«, sagte Hester. »Er ist wieder halb bewußtlos. Die Anstrengung hat ihn völlig erschöpft.«
Helen starrte den Alten ängstlich von der Seite an. »Ich hätte nie gedacht, daß er zum Ku-Klux-Klan gehört«, flüsterte sie. »Und dabei ist er sogar Großmeister von ...«
»Sei lieber froh, daß er Klansman ist«, unterbrach Hester sie.
Doc übernahm die Leitung der Aufbruchsvorbereitungen, als der Himmel im Osten eben erst zitronengelb geworden war. Er äußerte sich allerdings dabei nicht über das Ziel der geplanten Fahrt und weigerte sich auch, endlich zu erklären, wie er den Felsen beseitigen wollte, der die Straße blockierte. Statt dessen reduzierte er die von Ida und McHeath vorbereiteten Frühstücksportionen um ein Drittel, gab Ray Hanks zwei Penicillintabletten und beantwortete Hixons Vorschlag, das Lager beizubehalten und nur kleinere Trupps zur Proviantsuche auszuschicken, mit einem Kopfschütteln.
Die beiden Limousinen wurden durchsucht. Im Handschuhfach der ersten lag ein geladener Revolver, auf dem Rücksitz ein schwarzer Hut. Doc beschlagnahmte beide Gegenstände für sich, steckte die Waffe ein und setzte den Hut sofort auf. »Paßt ausgezeichnet«, stellte er grinsend fest.
»Nehmen Sie ihn wieder ab, Doc. Das bringt Unglück«, protestierte Wojtowicz.
»Ein Sonnenbrand ist schlimmer«, antwortete Doc ungerührt. Er behielt den Hut auf dem Kopf.
Der Motor des ersten Wagens sprang sofort an, als Doc den Zündschlüssel umdrehte, aber die Batterie des zweiten schien erschöpft zu sein. Doc ließ nicht zu, daß Wojtowicz sich unter der Haube zu schaffen machte, sondern füllte das vorhandene Benzin und Öl in zwei Kanister ab und schob den Wagen dann über den Rand der Straße. Sekunden später zeigte ein Krachen an, daß der Wagen in der Schlucht zerschellt war.
Unmittelbar nach dem Frühstück versammelte Doc Hunter, Rama Joan, Margo und Clarence Dodd um sich und verschwand mit ihnen hinter dem Bus.
»Was machen wir jetzt?« fragte er. »Fahren wir in der bisherigen Richtung weiter — oder versuchen wir es mit Cornell und Malibu Heights? Wir müssen in Bewegung bleiben, sonst kommen die Leute auf dumme Gedanken.«
»Wie schaffen wir den Felsen weg, wenn wir weiterfahren wollen?« erkundigte der kleine Mann sich.
»Lassen wir das vorläufig, Doddsy«, meinte Doc wegwerfend. »Zuerst müssen wir wissen, was wir wollen.«
»Ein paar von uns könnten die Limousine nehmen und eine Erkundungsfahrt machen«, schlug Hunter vor.
Doc schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Unsere Gruppe ist so klein, daß wir uns nicht zersplittern dürfen.«
»Ich habe Freunde in Malibu«, begann Rama Joan zögernd.
»Und ich habe welche in Cape Cod«, antwortete Doc grinsend. »Wahrscheinlich schwimmen sie inzwischen schon in Richtung Plymouth Rock.«
»Aber ich wollte sagen«, fuhr Rama Joan lächelnd fort, »daß ich für das Tal stimme.«
»Weiß jemand, wie hoch das Tal liegt?« fragte der kleine Mann. »Vielleicht ist es ebenfalls überflutet.«
»Das merken wir früh genug«, meinte Doc.
»Wir müssen weiter«, warf Margo ein. »Vandenberg drei liegt am Ende dieser Straße. Und wir haben uns darauf geeinigt, daß Morton Opperly die Trägheitspistole untersuchen soll.«
Doc sah sich fragend um. »Gut, wir fahren in Richtung Tal«, stellte er dann fest. Er wandte sich an Margo. »Ich finde allerdings, daß ›Impulspistole‹ ein besserer Name dafür ist.«
»Aber der Felsen ...«, begann der kleine Mann.
Doc machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keine Schwierigkeit«, meinte er. »Kommen Sie, ich möchte Ihnen zeigen, was ich meine.« Er ging auf den Felsen zu.
Die restlichen Mitglieder der Gruppe versammelten sich neugierig, als Doc auf den Felsvorsprung über der Straße kletterte und Margo mit einer kurzen Geste zu sich heraufbat.
»Ich habe gesehen, daß der Felsen sich bewegte, als Sie auf den Mann mit dem Revolver schossen«, erklärte er ihr. »Versuchen Sie es mit einem längeren Feuerstoß — ich möchte wetten, daß er sich dann in Bewegung setzt. Alles zwanzig Meter weit zurück!«
Margo nahm die Pistole in die Hand, zielte auf den Felsen und drückte auf den Knopf. Zunächst war nichts zu sehen, aber dann kam der Felsen in Bewegung. Margo ließ sofort den Knopf los. Der Felsen überschlug sich, rollte in die Schlucht hinab und zerschellte dort.
Der kleine Mann holte sein Notizbuch aus der Tasche. »Das war wirklich unwahrscheinlich«, sagte er und schlug eine neue Seite auf.
»Ein gutes Drittel der Ladung ist noch übrig«, stellte Margo fest.
Doc untersuchte die Stelle, an der vorher der Felsen gelegen hatte. Die glatte Straßenoberfläche wies dort eine zwei Meter breite und etwa fünfzig Zentimeter tiefe Mulde auf, die sich über die Straße zog. Doc nickte plötzlich zufrieden.
»Ich weiß nicht recht«, meinte Hunter zweifelnd. »Ein kleiner Ausrutscher ...«
Читать дальше